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Schatten des Seins

Ein Systementwurf zur kindlichen Philosophie

Lukas Nagel

November 2016 bis Februar 2017


Aufbau

Systementwurf der kindlichen Philosophie (begonnen am 18.11., beendet am 17.2. )

Vorwort

Ich mag hier einen kurzen Überblick über das geben, was ich die kindliche Philosophie nenne; er ist noch keine eigentliche Ausbildung derselben, da hier noch viele Beweise fehlen und die Begriffe zudem sehr kurz und unklar gehalten sind. Außerdem ist anzumerken, dass dieses System noch wirklich unfertig ist und deshalb also weiterer Anmerkungen nothabend ist, weswegen mir wohl nicht einfach bleiben wird, es auszuarbeiten; aber da diese Idee nun schon seit dem 8. September in fragmentarischer Form bei mir herumlag (in der es der Text auf immerhin 47 Seiten brachte, wenn das auch wohl nur durch meine fehlende Konzision), so will ich nun doch nicht so lange warten, bis alle Teile mir richtig erscheinen, da mir der grundlegende Entwurf (und damit auch die Teilungen, die in ihm liegen), doch als das wichtigere erscheint, und ich also dazu geneigt bin, ihn zunächst ganz darzulegen, bevor ich mich an das System im Teile kümmern werde, als ich sonst wohl in nächster Zeit kaum dazu komme. Doch Zeit genug bleibt, und insofern bleibt dieser Text denn nur ein Entwurf.

Vorrede - Über die Frage nach der Kindlichkeit überhaupt

Was soll das sein, was ich kindliche Philosophie nenne?

In Kürze: Während es für bisherige Systeme immer grundlegend war, das Verständnis als zentralen Begriff zu nehmen, also die Welt zu erklären, so ist es bei mir genau umgekehrt: Das wesentliche Ziel ist es, unsere Unverständlichkeit gegenüber allem, insbesondere aber gegen uns selbst zu erkennen! Nur so werden wir nämlich überhaupt in der Lage sein, wirkliche Erkenntnis zu gewinnen, da wir dann gerade in dieser Unverständlichkeit einen Anhaltspunkt davon haben, was wir verstehen können.

Mein eigenes Denken war nur allzu lange davon gezeichnet, mich selbst zu verstehen zu glauben, und damit einen Gegensatz vom Selbst-Verständlichen zum Fremden zu ziehen, der in mir selbst meine Grenze finden sollte. Aber ich habe nun deutlich gesehen, dass mir alles Selbstverständliche eben nicht mehr von selbst, und schon gar nicht von meinem Selbst verständlich ist. Diese Fremdheit aber anzunehmen fiel mir schwer, da ich dachte, ich müsste es doch eigentlich verstehen, da nur im Verständnis ein würdiger Umgang liegen könne. Ich musste aber danach mehr und mehr einsehen, dass selbst die Dinge, die mir am allerklarsten erschienen, eine solche Fremdheit in sich tragen; ja dass sogar ich selbst und meine Fähigkeit zu denken etwas grundweg fremdes sein muss. Diese Einsicht also möchte ich in mein System gießen, um solcherlei Irrtümer fernzuhalten. Denn was ich sah, war von so überwältigender Allgemeinheit, dass ich wohl glaube, dass zwar niemand meinen genauen Fehler des Denkens wiederholen würde (denn dieser war wahrlich seltsam und sosehr von besonderen Umständen abhängig, dass mich eine derartige Wiederholung wundern würde, gesetzt die Vielzahl an denkbaren Gedanken und Irrtümern); aber dass ich wohl denke, dass die Auswirkungen jener Einsicht wohl auch Fehler berühren müssen, die jeden betreffen, dass sogar eigentlich das Fundament jeglichen Weltbildes damit erschüttert sein muss. Dieser Anspruch mag sehr hoch gegriffen sein, und vielleicht irre ich mich hierin, doch ich sehe nur zu oft Fehler, die nach solcher Art wie mein eigener ausfallen, und auch wenn ich natürlich nicht weiß, woher sie kommen (jene Unfähigkeit ist denn auch ein wesentliches Thema, worum es mir geht), so mag ich doch zumindest hoffen, hierin noch größeren Schaden abwenden zu können.

Warum aber nenne ich das nun kindliche Philosophie? Es mag ja bisher nicht den Anschein geben, dass viel kindliches darin stecke, vielmehr etwa Reflektion oder Bedachtheit, die man ja für gewöhnlich nicht unbedingt mit der Kindlichkeit verbindet. Aber hier ist es gerade andersherum: Das ganze Ziel, erwachsen zu sein, ist doch auf dem Ziel der Rationalität und Moralität doch zumindest stark gegründet, wenn es das nicht sogar ausmacht. Es ist aber gerade jenes Ziel, was ich im Grunde angreifen möchte; nicht, weil ich glaube, dass Vernunft oder Moral falsch wären, sondern viel mehr, weil ich glaube, dass in der Form, wie man sie gewöhnlich vorzutragen pflegt, schlichtweg unerreichbar sind. Zwar ist es ein hehres Ziel, immer rational zu handeln, aber allein im Wunsch, am Leben bleiben zu wollen, steckt doch ein irrationaler Wille, den man eben nicht durch irgendeinen Grund erklären kann. Existenz selbst ist nicht moralisch oder rational zu rechtfertigen, wenn man sie nicht schon zum Ausgangspunkt aller Moral macht. Damit aber ist nichts begründet, und also kann man es nicht begründen.

Aber ich kann eben diesen Anspruch nicht aufgeben wollen. Ich muss die absurde Forderung, dass meine Existenz - nicht irgendeine Begründung oder Eigenschaft oder ein Bezug zum Rest der Welt, schlicht nur die Tatsache, dass ich bin, ungeachtet dessen, was ich bin - wirklich in ihrem Wesen etwas wert ist, also behaupten, um leben zu können. Aber dadurch setze ich mich schon über das Ziel, erwachsen und rational zu sein, hinaus, und kann es also niemals erreichen.

Dasselbe gilt auch für jede andere Sache, insofern man den Wert eines Gegenstandes wirklich nur aus seiner Existenz begründen kann. Denn jeder Grund von einem Wert wäre hier ja entweder aus sich selbst heraus wert oder erneut zu begründen; wäre er allein aus seiner eigenen Existenz heraus irgend etwas wert, müsste man die noch absurde Forderung aufstellen, dass eines hier wert ist, weil ein anderes dort existiert, so dass ich das gleich ganz verwerfe, ich erwarte mir doch zumindest einen Grund, warum das eine das andere wert macht. Aber damit lande ich in einen unendlichen Regress (der sich sogar noch ins transfinite streckt, wenn man ihn denn so weit ziehen will), so dass ich diese Forderung gleich ganz aufgeben muss. Damit weiß ich also, dass alles allein daraus wert sein kann, dass es existiert - und damit ist das Ideal der Rationalität im Handeln hinfällig.

Nun habe ich aber hier noch eine weitere, höchst wichtige Abtrennung zu machen: Mein System wird hierdurch gerade nicht zum jugendlichen, sondern zum kindlichen Denken, dass es das nicht als Lösung, sondern als Problem begreift. Denn Jugendliche sind es, die wirklich die Lächerlichkeit als solche akzeptieren, die ihre eigene Schmach sogar noch als Sieg verbuchen, und sich dabei wirklich, wie es die Erwachsenen bemerkten, so lächerlich machen, dass man sie wohl kaum wird ernst nehmen können.

Aber genau denselben Fehler begehen doch die Erwachsenen auch! So sie nicht einsehen wollen, dass Leben eben nicht zu einem Zweck ist, nicht auf ein Ziel hin gelebt werden kann, sondern immer als Wert im Dasein begriffen werden muss, verstarren sie sich auf ein Ziel (sei es Reichtum, Anerkennung, Wissen oder Macht), und glauben, ihr Leben hätte Wert, würden sie es erreichen. Aber genau dadurch verliert ihr Leben an wert, weil sie es nicht als Ziel, sondern nur als Mittel ansehen. Selbst wenn man ein ehrbares Ziel hätte, wie die Verbesserung des Umgangs untereinander oder mit der Welt überhaupt, so wäre es immer noch verfehlt, dass als Ziel des Lebens zu setzen - weil man eben nur Ziele hat, indem man lebt, und damit gar nicht nach einem Ziel leben kann.

Das kindliche Denken nimmt dieses Problem darum als echtes Problem an: Wie kann ich handeln, wenn ich keinen Grund für meine Existenz überhaupt besitze? Wie kann ich überhaupt etwas wollen (und nicht vielmehr meinen Tod)? Und wie kann ich mich entscheiden, wenn mein eigener Wille gespalten ist?

Dieses Problem ist darum eines, was jenseits der Trennung von Ernst und Albernkeit, von Vernunft und Gefühl liegt, und was darum eine Antwort ganz anderer Art erforderlich macht. Jene Antwort ist es, die ich mit meinem System der kindlichen Philosophie geben möchte, und wovon dies allein der Entwurf (und noch nicht dessen Vollendung) sein kann.

Um das Problem zu lösen, muss ich mir verschiedenes klar machen, und danach ist also mein System in verschiedene Fragen gespalten, die man zuerst beantworten muss, um zu einer Lösung des Gesamtproblems zu kommen.

  1. Was kann ich überhaupt als Möglichkeit erkennen? Was kann ich also tun und wissen?
  2. Wie kann eine Sache, die ich erkenne, etwas wert sein, allein aus ihrer Existenz?
  3. Wie kann ich mich in Ambivalenzsituationen entscheiden?
  4. Was kann ich als Ziel wenn nicht in mein Leben, so doch in meine Entscheidungen setzen?

Die Antwort auf die erste Frage ist meine Erkenntnistheorie, die Antwort auf die zweite meine Einai-Theologie (oder man mag auch sagen, meine Metaphysik), die Antwort auf die dritte Frage ist meine Ethik und die Antwort auf die vierte Frage meine politische Philosophie.

Ich will also nun diese Fragen nacheinander durchgehen, um klarzustellen, inwiefern diese Fragen schon beantwortet sind und wo noch gewaltige Probleme liegen. Vor allem bei der dritten Frage ist noch viel zu tun, auch wenn es schon ein großer Schritt war, das Problem der Ethik in diese klare Formulierung zu bringen, aber das ist eben nur das Problem, noch nicht die Lösung. Aber diese Schrift ist eben nur ein Entwurf, und soll also vor allem die Probleme, die sich in meinen Lösungsansätzen befinden, darlegen, als versuchen, eine endgültige Antwort zu geben (diese kann erst dann folgen, wenn die Fehler bereinigt sind).

A - Das Problem der Erkenntnis

A1 - intuitive Existenz

Beginnen wir also mit der grundsätzlichen Frage, wie ich überhaupt etwas erkennen kann. Diese Frage ist die, die zwar die schwierigste Antwort besitzt, die ich aber trotzdem wohl am besten beantworten kann, weswegen ich in diesem Durchgang wohl auch die meisten Probleme werde lösen können, wenngleich diese Lösung hier noch unvollständig bleiben muss (aber das ist bei der Kürze dieser Darstellung ohnehin gewiss).

Wenn ich etwas sehe, so fange ich bei mir selbst immer bei den reinen Wahrnehmungen und Intuitionen an. Sie sind es, die alle Erkenntnis erst ermöglichen, da in ihrer Form allein sich die Möglichkeit zu Erkenntnis überhaupt darstellt. Aber in ihnen liegt auch der Ausdruck einer seltsamen Art von Wahrheit, die sich im subjektiven oder objektiven Denken gerade nicht ausmachen lässt.

Denn ich kann überhaupt gar nicht danach fragen, ob eine Wahrnehmung überhaupt wahr ist, denn sie ist eben keine Aussage über etwas. Sie ist das, über das ausgesagt wird, und kann daher eigentlich keine Wahrheit annehmen. Wie also entsteht diese Art des Denkens?

Wenn ich eine Sache als völlig andere, als fremde annehme, dann wird mir doch, bei allem unklaren Dingen in meiner Wahrnehmung, doch eines vor allem gewiss: Dass sie erscheint. Jenes ist dann auch einzig, was ich in den Wahrnehmungen und Intuitionen einzig erkennen kann, nämlich dass sie mir erscheinen, denn jede inhaltliche Erklärung von ihnen setzt sie ja schon zu anderen Dingen, erfordert mithin Unterschiede, Kontrastion und damit subjektives Denken, was aber in der Intuition selbst gar nicht vorhanden ist.

Eben deshalb ist das nächste, was den Intuitionen in der sprachlichen Mitteilung kommt, die Existenzbehauptung. Sie ist eigentlich auch nichts als der Ausdruck einer Intuition, wenn auch einer abstrakteren. Denn genau wie ein Farbeindruck an sich richtig sein muss, wenn ich ihn habe (er mag keiner anderen Sache entsprechen, aber es bleibt dennoch mein Eindruck), so muss auch eine Existenzbehauptung eines Gedanken immer richtig sein, insofern der Gedanken ja immer schon vor einer Behauptung über ihn gedacht werden muss. (Das sei aber nicht mit der Behauptung der äußeren Existenz verwechselt! Wie wir bei der Untersuchung objektiver Behauptungen noch sehen werden, sind dies eben zwei völlig verschiedene Modi der Existenz überhaupt, die man nicht durcheinander bringen sollte. Allein die subjektive Existenz der Gedanken und Eindrücke ist selbstevident, keineswegs aber die objektive Existenz der physikalischen Welt).

Aber mehr als Existenz kann ich meinen Eindrücken eben nicht zusprechen, eben weil sie für sich stehen müssen, bevor sie erst mit Denken verbunden werden. Das schließt aber nicht aus, dass sich nicht in der Intuition eine Verbindung bildet, die also aus verschiedenen Intuitionen eine neue bildet, die man dann also als intuitive Erkenntnis bezeichnen könnte. Das ist zwar eine Erkenntnis, aber eben nur der Existenz nach; sie haben immer die Form: X ist möglich, X ist denkbar, nie aber derart: X ist wahr, X ist wirklich. Intuitive Erkenntnisse sind also immer Erkenntnise der Denkbarkeit, nicht aber der Wirklichkeit, so dass auch hier nur die Existenz eines Gedankens, nicht die Wirklichkeit einer Tatsache behauptet wird.

Solche Denkbarkeit ist nun insbesondere darin wichtig, dass auch der Wert einer Sache (oder Handlung) eben von dieser intuitiven Art: Dass ich etwas gut finde, ist nichts als die Behauptung, dass ich mir die Sache als gute denken kann. Gut-finden ist darum auch nicht das moralische Kriterium, was wir für die Handlungsentscheidungen suchen, insofern es hier auf Wahrnehmungen, nicht auf Dinge geht, und somit zwischen nichts, sondern nur für oder gegen etwas entscheiden könnte. Zudem ist die Existenz dieser Intuition (und das ist dasselbe wie die Wahrheit der Intuition) ja gerade dass, was ich begründen will, als meine Frage ja lautet, wie ich überhaupt etwas wollen kann und nicht vielmehr meinen Tod, nicht, ob ich es faktisch will (was absolut notwendig ist, weil ich mir das als Toter ja wohl kaum fragen könnte).

Trotzdem ist eine Sache aber hier noch vorhanden, die uns bei unserem ethischen Problem um einiges helfen kann: Denn es ist ja hier so, dass allein die Tatsache, dass etwas existiert, das ist, was sie wert macht. Insofern wissen wir also, dass die Dinge, die dieselbe Existenz teilen, auch denselben Wert besitzen müssen. D.h. Wert liegt gerade nicht im Wesen, sondern im Dasein, also auf der Ebene des Seins, nicht des Seienden. Dieser Unterschied teilt uns nun besonders mit, dass wir uns auf dem weiteren Gang der Erkenntnis keine allzu leichte Hoffnung auf einen Einblick in den moralischen Wert machen sollten, da wir hier ja ganz offenbar Fragen nicht darüber, was die Dinge sind, sondern nur darüber, was es heißt, dass sie existieren, zu beantworten haben, die aber durch materiale Erkenntnis unmöglich erreicht werden kann. Wir müssen darum also eine formale Theorie des Wert-Seins überhaupt aufstellen. (Jene fällt, wie wir nachher sehen werden, mit der des Mentalen oder des Denkend-Seins zusammen).

Eine Anmerkung noch zum Begriff der Intuition: Ich verwende ihn hier gleichermaßen für die Wertbehauptung und ähnliches wie für die sinnliche Wahrnehmung. Das liegt daran, dass sie methodisch denselben Problemen unterliegen, da beide aus sich heraus allein wahr sein können (d.i. in ihrer Existenz selbst liegt der Bestimmungsgrund ihrer Wahrheit). Natürlich sind diese beiden Sachen, Moral und Sinnlichkeit, keineswegs gleich; da es mir aber hier allein um ihre Funktion im Prozess der Erkenntnis geht, sah ich es als richtig an, sie hier gleichermaßen zu behandeln.

Ergänzung: Ich meine hier mit Intuition insbesondere nicht etwas, was man durch Denken willkürlich beeinflussen kann, auch wenn es die Verbindung mit der Moral (und ähnliches lässt sich denn auch über Träume und Geschichten sagen) nahelegt. Meine Vorstellung ist eher, dass ich zwar mir neue Intuitionen erschaffen kann (etwa durch Traum oder Halluzination), dass damit aber die alten Vorstellungen eben nicht weggeräumt werden können. Die Vorstellungen sind ja da, und dadurch können sie eben nicht weggehen. Ich denke, dass Parmenides durchaus recht hatte, wenn er auf diese Art eine Unwandelbarkeit der Eindrücke unterstellte, und glaube, dass erst, wenn wir die parmenidische Seinskonzeption eben nicht auf das Denken (wo sie in der Tat nicht funktioniert, als wir zu allem auch das Negat denken können und damit die objektive Untersuchung erst ermöglichen), sondern auf die Anschauung angewandt haben, sie sich als wirklich fruchtbare wird herausstellen können, eben weil sie hier recht behält - τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστί τε καὶ εἶναι - dassselbe zu erkennen, heißt dass es auch existiert - Existenz im Sehen, als Wahrheit der Intuition. (Auf die genaueren Beweise der parmenideischen Natur des Seins ist hier nicht einzugehen, da sie doch recht schwierig sind und ich mir dort auch noch nicht in allen Dingen sicher bin)

A2 - Vom Namen zum Begriff

Wie komme ich also jetzt, da ich nur Eindrücke der Existenz habe, überhaupt zu Begriffen? Wie kann ich Dinge als Dinge sehen (mit Eigenschaften, Form etc.) und nicht nur als Eindruck einer bloßen Intuition?

Ich fange ja hier zunächst bei völlig unklaren Erscheinungen an. Wenn ich sie zuallererst sehe, dann haben sie ja im Denken überhaupt keien echte Entsprechung denn eben als Intuition, und als solche hat sie eben keine Gegenständlichkeit, und schon gar keine abstrakten Eigenschaften. Sie sind einfach nur eine Andersartigkeit, eine Fremdheit als solche, und nur in dieser formalen Bestimmung der Existenz als dem Bezug auf etwas unbekanntes kann man sie überhaupt denken. (vgl. Kants Idee, die Dinge an sich als Noumena zu denken, was auch nur als Existenzbestimmung funktioniert)

Nun muss ich aber irgendwie zu den Dingen gelangen, und mir kommen sie ja eigentlich auch nicht zu fremd vor. Wie aber funktioniert das? Ich glaube, dass der wesentliche Prozess der Annahme das Benennen ist. Indem ich der Sache einen Namen gebe, mache ich sie mir zu eigen, und nur in ihrem Namen kann ich sie anerkennen. Dabei hat das Benennen hier eine doppelte Funktion: Es erzeugt zum einen die Möglichkeit, eine Intuition wiederzuerkennen, denn ein Name ist nichts als die Funktion, dasselbe zu bezeichnen. Zum anderen ermöglicht es dadurch auch das Aussprechen des Bezugs auf eben diese Sache, indem ich durch den Klang des Namens auf das Objekt meines Denkens selbst verweisen kann. Damit kann ich also die Sache be-zeichnen, d.i. zeigen und aussprechen.

Jetzt habe ich also eine benannte Fremdheit, aber immer noch keinen Gegenstand. Dazu muss ich jetzt einen Bezug von verschiedenen Eindrücken untereinander herstellen, ansonsten kann ich ihn gar nicht bilden. Der erste Schritt dahin (und damit der dritte überhaupt) ist die Konstruktion von Phänomenen, die nichts sind als Zusammenhänge von Dingen. Ein Phänomen ist also kein Gegenstand, da er keine festgelegten Eigenschaften hat, sondern er ist vielmehr eine Sammlung aller Dinge, die ich mir dazu denken kann.

Nun ist es aber schon fraglich, wie ich denn das zusammenfassen kann. Wie kann ich mehrere Dinge zugleich denken, und das eben nicht als eine Sache, als ein Eindruck (denn ein solcher wäre intuitiv und damit eben nicht Phänomen, sondern eine Fremdheit, die sich aus verschiedenen Dingen zusammensetzt, die nun auch für sich genommen Fremdheiten bilden)? Wie kann ich mehreres als eines denken, ohne dabei den Ein-druck des mehreren zu haben?

Es drückt sich ja hier die eigentliche Kraft der Phantasie aus, die nicht nur einfach die Dinge hinnimmt, wie sie erscheinen, sondern aus den Erscheinungen, den Intuitionen, selbst Phänomene konstruiert, die dann erst das Material sind, woraus der Rest aller Gedanken gebaut werden kann.

Aber wie das funktionieren soll, ist mir noch rätselhaft. Ich muss diesen Schritt annehmen, denn ansonsten gäbe es keine anderen Begriffe als nur Namen, die wir unseren intuitiven und anschaulichen Eindrücken geben. Da ich aber andere Begriffe habe (oder zumindest zu haben glaube), so muss ich annehmen, dass ich diese Möglichkeit zur phantasievollen Synthese in mir habe, auch wenn ich sie mir selbst nicht erklären kann. (Diese Frage ist damit eine weitgehendere Frage, die noch umfassend zu beantworten steht).

Nehmen wir aber erst einmal an, dass wir eben solche Phänomene haben, die uns mehrere Eindrücke zusammen geben. Wir haben jetzt aber immer noch ein Problem: Es handelt sich hierbei nämlich immer noch nicht um einen Gegenstand. Denn wenn ich jetzt zwei dieser Phänomene zusammenbringe, dann kann ich sie eigentlich nicht unterscheiden; da sie nämlich nichts sind als eine Sammlung der zusammenhängenden Vorstellungen, werden sie notwendig verschmelzen, so dass man eigentlich nicht von verschiedenen Phänomenen im Bezug auf die Dinge sprechen kann, sondern mehr von einer allgemeinen Fähigkeit zur Begriffszusammenstellung, die sich in jedem einzelnen Fall als Phänomen darstellt. Damit aber kann ich keinen Gegen-stand bilden, denn dieser steht ja einem anderen gegenüber, ist in Kontraste und Eigenschaftsverhältnisse dauernd eingebunden. Wie kann das funktionieren?

Auf der einen Seite müssen doch die Gegenstände meines Denkens schon Eigenschaften haben, mit denen man sie untereinander vergleichen kann, weil man ansonsten wirklich nicht wissen könnte, welche Gegenstände und welche Eigenschaften man vergleicht. Damit muss aber jede Sache eine Eigenschaft entweder haben oder abweisen, muss sich selbst also als Gegenstand von den nur scheinbaren Elementen der Erscheinung in der Phantasie abgrenzen.

Auf der anderen Seite aber kann ich dem Gegenstand seine Eigenschaft überhaupt nicht zuschreiben, wenn man sie nicht im Verhältnis der Dinge gegeneinander erkennt. Darum muss er also schon immer vergleichbar sein, um überhaupt Eigenschaften haben zu können.

Die einzige Lösung, die mir bisher eingefallen ist, ist diese beiden Arten von Unterschied zu trennen, so dass keine Sache hier selbstverwiesen bleibt. Dazu muss ich aber annehmen, dass es vor den Eigenschaften, die eine Sache erst durch den Bezug auf andere erhält, schon Eigenschaften gibt, die immer schon in ihr enthalten sind, die schon von der Intuition her mitgegeben sind. Das ist natürlich höchst problematisch, und ich weiß auch nicht recht, wie ich das verteidigen kann, aber einzig so ein Ansatz scheint mir hier überhaupt fruchtbar zu sein.

Die einzige offensichtliche Einschränkung, die man hier finden kann, ist die der Widerspruchslosigkeit des Gegenstandes. Ich glaube, dass Gegenstände tatsächlich widerspruchslos sein müssen, und dass unser Denken bei der Wahrnehmung eines unserer Gegenständlichkeit widerstrebenden Gedankens eben nur zwei Möglichkeiten hat, nämlich entweder die Wahrnehmung zu verwerfen oder die Grenze der Gegenstände in den Intuitionen neu zu ziehen. (Jene Gegenständlichkeit ist es, die wir Welt nennen, und jener Zusammenbruch das Erwachen aus dem Traume)

Hier ist noch anzumerken, dass diese Widerspruchslosigkeit nicht bedeutet, dass auf die Sache keine entgegenstehenden Größen zutreffen, sondern bloß, dass jede Eigenschaft entweder zutrifft oder nicht zutrifft. Aber es kann durchaus sein, dass dieselbe Sache in einer Hinsicht gut und in einer anderen böse, in einer Hinsicht schön und in einer anderen hässlich ist etc., und der zusammengetragende Gegenstand ist dann eben gut und böse, schön und hässlich, insofern diese Bestimmungen hier gar nicht widersprüchlich (dialektisch) sind, sondern bloß widerstrebend (ambivalent) - sie bedeuten entgegengesetzes, sind aber keine Gegenteile (insofern das Gute an sich sicher nicht schlecht sein kann, aber eine auf eine gewisse Art gute Sache doch immerhin)

Wenn wir zunächst einmal annehmen, dass es solche Eigenschaften gibt, können wir jetzt auch Unterschiede zwischen Gegenständen recht eindeutig fassen, nämlich als Übereinstimmen oder Nichtübereinstimmen von Gegenständen unseres Denkens in Bezug auf eine andere Intuition (d.i. ob wir sie jeweils konsistent zusammendenken können). Diese Kontrastion wird hier also erst durch die vorherige Gegenständlichkeit ermöglicht.

Nun erreiche ich hiermit aber nur die konkreten Eigenschaften. Abstrakte Eigenschaften erfordern eine etwas aufwändigere Konstruktion: Ich muss nämlich hier den Unterschied (bzw. die Gleichheit) selbst als Sache annehmen. Das funktioniert, da die oben dargelegte Methode, Dinge nach ihren Eigenschaften zu vergleichen, ja erfordert, auch den Vergleich selbst als Vorstellung zu besitzen und ihn damit, in der Intuition seiner Existenz gedacht, selbst zum Gegenstand des Denkens machen zu können.

Betrachte also den Kontrast als Gedanken selbst. Wenn ich nun verschiedene Kontraste sehe, die jeweils dieselbe Eigenschaft gegenüber stellen, dann kann ich ja wohl sagen, dass diese Kontraste die Eigenschaft haben, diese Eigenschaft gegenüber zu stellen. Also kann ich sie darin vergleiche, und diese Gleichheit selbst wiederum zum Gegenstand meines Denkens machen (was ja, wie oben dargelegt, geht). Nun stimmen aber die Kontraste ja gerade darin überein, dass sie eben dieselbe Eigenschaft betreffen, sodass die Gemeinsamkeit dieser Kontraste, als Gegenstand gefasst, nichts weiter ist als die Vergegenständlichung dieser Eigenschaft überhaupt, d.i. ihr abstrakter Begriff.

Jetzt wird auch erst klar, wie eine Sache die Kontraste zu anderen Gegenständen selbst als Eigenschaft haben kann: Sie bildet Kontraste, die Teil der Kontrastsammlungen sind, aus denen wir unsere Abstrakta bilden, so dass ich im Nachhinein der Sache genau die Kontrastsammlungen als abstrakte Eigenschaften (d.i. die Zugehörtigkeit zu einem abstrakten Begriff) zuschreibe, an dessen Bildung er konstitutiv tätig war. Wenn der Gegenstand zum Zeitpunkt der Kontrastion selbst noch nicht als Gegenstand erfasst war und darum nicht Teil der Kontrastion sein konnte, muss er zunächst in ein Kontrastverhältnis mit einer Sache gesetzt werden, dieser Kontrast erzeugt dann einen neuen, erweiterten Begriff der abstrakten Eigenschaft, die man jetzt auch auf die Sache zuschreiben kann.

Es ist dabei wichtig anzumerken, dass man abstrakte Eigenschaften eben nicht auf Dinge anwenden kann, die sie nicht auch mitkonstituiert haben. Ich kann aber gar nicht alles erfassen, und insofern bleiben die Abstraktionen auch nur anwendbar auf meinen Bereich bisheriger Erfahrung.

Wir gelangen also zur Trennung zweierlei Arten von Begriffen: Den Namen, die sich auf Gegenstände aus den Intuitionen selbst beziehen, und den abstrakten Begriffen, sie sich auf Kontraste zwischen den mit den Namen bezeichneten Gegenständen beziehen. Die Trennung von abstrakten und grundlegenden Eigenschaften muss hier strikt eingehalten werden, da wir ja ansonsten diese Kontrastion zuallererst haben müssten, damit wir aus den Phänomenen überhaupt Gegenstände machen können, das aber, wie oben dargelegt, unmöglich ist, da wir ansonsten überhaupt nicht anfangen könnten zu kontrastieren.

Auf diese Art also gelange ich von meinen Intuitionen der Fremdheit einer Sache zu Namen und empirisch abstrahierten Begriffen; aber ist auch klar, dass das eben nur bei solchen Begriffen funktioniert, die in Gegenständen als unterschiedlich angetroffen werden können.

A3 - Notwendige Begriffe und die transzendentale Methode

A3.0 - Existiert Wahrheit a priori? - Über den Inhalt absolut wahrer Aussagen

Ich brauche also grundlegendere Begriffe, um mein Denken überhaupt zu fundieren. Denn alle Urteile, die ich bisher gewinnen konnte, waren bloß abhängig von der Art, wie ich die Grenzen der Gegenstände und Abstrakta gezogen habe, d.h. es ist keine echte Erfahrung, vielmehr nur Erläuterung meiner eigenen Methode, Begriffe in der Anschauung zu bestimmen.

Aber es gab ja einige Begriffe, die ich dabei immer zu Grunde gelegt habe, und die also in meinem Denken selbst ihre Fundierung haben müssen. Jene Begriffe sind notwendig, um überhaupt denken zu können, da sie den eben beschriebenen Prozess, von der Intuition zur Anwendung von Abstraktbegriffen, überhaupt erst ermöglichen.

Solche Begriffe besitzen also eine besondere Qualität: Ich weiß zwar, dass meine jeweiligen Eindrücke (d.s. Intuitionen, Phänomene, Gegenstände, Kontraste und Abstrakta) von meiner jeweiligen Geistesverfassung abhängen und insofern überhaupt keine universelle Gültigkeit besitzen, sondern höchstens unmittelbare Wirklichkeit (so die Wahrheit der Existenzbehauptung) oder logische Konsistenz (so die Grenzen der Gegenstandsbildung), aber die Prinzipien, die solcher Begriffsbildung überhaupt zu Grund liegen, die Prinzipien allen Denkens a priori, haben tatsächlich universelle Gültigkeit. Dabei aber freilich nur subjektive Gültigkeit, da sie eben nur für jeden jeweils wahr sind. So hätte es keinen Grund, von einem Subjekt oder einem Willen in objektiver Art sprechen zu wollen, denn die Subjektivität ist eben das Wesen, was diesen Begriffen innewohnt; aber insofern man sie braucht, um überhaupt irgend eine Perspektive annehmen zu können, sind sie transzendental notwendig, und damit universell gültig.

Den Unterschied von transzendental und transzendental notwendig sehe ich darin, dass alle Transzedentalien zwar Bedingungen zur Möglichkeit von Erfahrung sind, aber dabei eben nicht notwendig von allen Subjekten geteilt werden, während die transzendental notwendigen Begriffe allein aus der Frage nach der Existenz überhaupt schon existieren müssen, also überhaupt nicht vom Subjekt und seiner (etwa Raum-Zeitlichen) Konstitution abhängt.

Welche Begriffe sind also notwendig? Oder eher: Welche Aussagen sind notwendig (d.i. absolut, ohne Abhängigkeit vom eigenen Zustand) subjektiv wahr? Denn es geht hier ja um den Status von Aussagen über Gedanken, um Prinzipien.

Offenbar hängt das nun von zwei Kriterien ab: Von der Form des Urteils und seinem Inhalt. Meine Behauptung lautet nun, dass hier nicht die Form, sondern allein der Inhalt des Urteils darüber entscheidet, ob es ein Prinzip ist oder nicht (wenngleich natürlich die Form darüber entscheidet, ob das Urteil wahr oder falsch ist).

Wie lässt sich das also rechtfertigen? Betrachte folgendes: Ein Urteil, dass über rein gar nichts seine Aussage fällt, kann durch keinen Bezug zur Welt wahr oder falsch werden. Dadurch also ist es wahr, wenn man es schon als solches denken kann; also ist es hier allein die Denkbarkeit, die Universalität hervorbringt.

Wenn ich auf der anderen Seite nun ein Urteil als universales Prinzip annehme, dann kann es natürlich über nichts eine Aussage machen, dessen Existenz ein Umstand ist und nicht selbst ein Prinzip, denn ansonsten wäre es falsch, wenn denn das Objekt der Aussage nicht existieren würde.

Also muss eine Aussage entweder völlig frei von Inhalt sein oder nur über notwendige Dinge aussagen; wenn sie aber das tut, dann ist sie ja auch schon Prinzip, wenn man denn die Form der Aussage als solche schon anerkennt.

Hier geraten wir in einen problematischen Bereich: Wie kann eine Aussage zwar eine Form, aber keinen Inhalt haben? Wie unterscheiden sie sich voneinander?

A3.1 - Die mathematischen Aussagearten

Ich schränke hier meinen Betrachtungsbereich zunächst etwas ein: Wie betrachten nur Aussagen, die man tatsächlich als wahr oder falsch bezeichnen kann, die also nicht nur Fragen oder Ausrufe sind. Dann können sie ja keine empirischen Begriffe enthalten, also sind etwa Zeitbezüge völlig unmöglich. Damit fällt die empirische Sprache als Form schon völlig weg, und einzig die logische Sprache bleibt uns als Ausweg.

Denn in der Logik lassen sich tatsächlich Sätze erzeugen, die wohl Form, aber keinen Inhalt haben. Die Sätze A -> A, A = A sind sicher wahr, egal was A ist, und in diesem Sinne sind sie darum absolut wahre Sätze. Es war ja auch gerade unser Ziel, Sätze ohne jeglichen Inhalt zu finden, und insofern uns die Logik den Kalkül der Tautologien darbringt, haben wir also tatsächlich leere Aussagen, die für jeden gelten (obzwar nur jeweils subjektiv, als wir sie in der Weltbetrachtung doch stets voraussetzen und damit keine echte Erkenntnis über ihre objektive Wirklichkeit gewinnen können).

Nun benötigt die Logik aber noch einige Grundlegungen, die uns jetzt schon notwendige Begriffe an die Hand geben. Sie sind nun zwar immer noch völlig leere Begriffe, die nur die Form dieses Urteils ausmachen, und eben noch nicht solche Begriffe, die uns transzendental notwendig aus der Existenz unseres Denkens gegeben sind, aber sie sind doch eben darum, dass wir sie für solche logischen Aussagen brauchen, uns gleichwohl notwendig gegeben. (Dieser Unterschied entspricht etwa dem Kants zwischen den Begriffen des Verstandes und der Vernunft, insofern er ja auch die einen aus Urteilsformen, die anderen aus Grenzbegriffen der Existenz entwickelt; ich setze hier aber eine andere Form der Logik, nämlich nicht die klassisch aristotelische, sondern die Prädikatenlogik, und obendrein noch ein anderes Prinzip der Herleitung von Grenzbegriffen der Existenz an, sodass die Ergebnisse sich doch deutlich unterscheiden, was aber an dieser grundsätzlichen Trennung nichts ändert).

Welche Formen also haben die logischen Aussagen? So ich es sehe, haben sie folgende Form:

  1. Die grundlegenden logischen Aussagen sagen Relationen zwischen Objekten unseres Denkens aus.
    Die Fundamentalaussagen sind dabei: A = B, A e B (Gleichheit und Elementbeziehung)
  2. Diese Aussagen werden durch Verneinung und Disjunktion zu komplexen Sätzen verbunden
  3. Zu jedem Buchstaben (A, B etc) wird abschließend noch angegeben, ob er sich auf alle oder nur auf eines beziehe (All- bzw. Existenzquantor)

Offenbar benötigt man also, allein um so eine logische Ausssage wiedergeben zu können, eine Vorstellung davon, was eine Menge ist, denn alle logischen Aussagen basieren ihre Wahrheit eben darum, als sie ihre Form ja in Existenz- und Allquantoren bilden.

A3.1a - Mengenlehre

Ich will hier nicht auf alle Feinheiten der Mengentheorie eingehen, denn derer sind wahrhaft mannigfaltige, aber nur soviel: Das Fundament der Mengenlehre, was sich in allen ihren Beweisen wiederfindet, ist eine grundlegende Spaltung der Theorie in Konstruktion und Spekulation. Der konstruktive Teil versucht, aus dem Wissen der bisher konstruierten oder schlicht vorausgesetzen Mengen neue zu konstruieren, deren Eigenschaften zu betrachten, sie in bestimmte Kategorien einzuordnen usw, dagegen der spekulative Teil Aussagen über alle möglichen Mengen zu machen versucht. Jene Spekulation ist denn auch sehr fruchtbar, wie man an den Ergebnissen sieht, die sich mit dem Auswahlaxiom machen lassen (man beachte etwa den Wohlordnungssatz und die dadurch erreichte völlige Ordnung aller Mengen nach Ordinalität); aber sie ist auch in anderer Form an die Konstruktion gebunden. Was die Spekulation nämlich in Ansehung ihres axiomatischen Gebrauches macht (wie man ihn im Auswahlaxiom denn verwirklicht sieht), ist nichts weiter, als die Existenz einer gewissen Menge zu fordern, auch wenn man sie nicht aus reinen Gedanken bestimmen kann.

Insofern kann man wirklich alle Axiome, die solche Forderungen stellen, als spekulativ-konstruktive bezeichnen, und jene machen nahezu alle Axiome aus, insbesondere auch alle diskursiven (wie etwa die Kardinalzahlaxiome). Einzig zwei Axiome bleiben übrig, die einen rein spekulativen Gebrauch erkennen lassen: Zum einen das Extensionalitätsaxiom, dass nur sagt, dass zwei Mengen gleich sind, wenn sie dasselbe enthalten; Zum anderen das Fundierungsaxiom, dass besagt, dass jede Menge, die nicht völlig leer ist, ein Element enthalten muss, dass sich zu keinem Teil mit der Menge deckt.

Diese beiden Axiome sind völlig spekulativ, aber es lässt sich doch folgendes zu ihrer Verteidigung anführen: Extensionalität ist hier gerechtfertigt, da wir hier ja Aussagen ohne Inhalt betrachten sollen. Würden wir den Mengen jetzt aber eine inhaltliche Intension geben, dann hätten sie weiteren Inhalt, so dass man eigentlich keine leeren Aussagen mehr hätte, also können sie allerhöchstens eine inhaltsleere Intension haben. Eine inhaltsleere Intension aber ist eine, die allein auf die Form des Ausdrucks hört, und jener Ausdruck ist beim universalen Begriff der Menge eben nur das Enthalten-Sein; also kann eine universale Mengenvorstellung nur so eine Intension überhaupt betrachten, die mit der Extension zusammenfällt, das ist aber gerade die Aussage des Extensionalitätsaxioms.

Zur Fundierung ist zu sagen, dass sie zwar einerseits keine besonderen Probleme mit sich führt, insofern man ja nur Konstruktionen verhindert, die widersprüchliches ergeben (so die selbstenthaltenden Mengen), aber das andererseits auch nicht mit wirklicher Berechtigung tun kann. Für alle Mengen, die letztlich auf die leere Menge reduzierbar sind, ist sie ja sogar beweisbar, weil sie ja nichts anderes macht, als eben das (die Reduzuierbarkeit) von allen Mengen zu fordern. Dass ist in der mathematischen Untersuchung auch sicher sinnvoll, um Paradoxien zu vermeiden; aber damit lässt sich die Fundierung eben auch nur als pragmatisches, nicht als dogmatisches Ergebnis der Spekulation rechtfertigen. Ich behaupte sogar, dass jede eigentliche Philosophie nun mit der Aufgabe befasst sein muss, was über die Fundierung hinaus noch an Wahrheit liegt, denn es ist ja eben dieser Selbstbezug, die Reflektion, die das Wesen der Philosophie ausmacht, und insofern das Verbot des Selbstenthaltens stets überschreitet. Doch es ist dabei wichtig, dass man dieses Überschreiten auch immer als ein Überschreiten der allgemeinen Prinzipien der universellen Erkenntnis der Prinzipien betrachten muss, und also keinen Anspruch auf Verständigung mit dem anderen noch mit uns selbst aufrecht erhalten können.

Von den spekulativ-konstruktiven ist nun noch ein Axiom besonders hervorzuheben: Während nämlich die meisten Axiome eine Konstruktion aus anderen Mengen erlauben (so etwa die Konstruktion der Paarmenge, der Vereinigungsmenge, der Bildmenge etc.), erlaubt allein das Axiom der leeren Menge eine Konstruktion aus dem Nichts. Man mag zwar auch das Auswahlaxiom, das Unendlichkeitsaxiom oder starke Kardinalzahlaxiome als solche reinen Axiome betrachten, aber jene nehmen doch schon immer eine Reihe von Mengen an (im Falle der Kardinalzahlaxiome etwa die Aleph-Reihe), und behaupten nun gewisse Eigenschaften von ihnen, sind also auch Axiome der Konstruktion; Dagegen ist das Axiom der leeren Menge von sich aus ein Ausgangspunkt, nicht die Behauptung der Möglichkeit einer Konstruktion.

Insgesamt enthält damit die Mengenlehre folgende Prinzipien: Extensionalität, Fundierung, Leere Menge, Konstruktionsaxiome, Konstruktion.

Nun ist aber die Konstruktion durch die Konstruktionsaxiome bereits vollständig beweisbar, ebenso die Extensionalität aus der Tatsache, dass die Konstruktion universell bleiben soll; die Fundierung ist schließlich pragmatisch bereits durch das Ziel der Vermittelbarkeit von Begriffen gegeben, und ist darüber hinaus auch gar nicht gültig; so dass schließlich allein die Leere Menge und die Konstruktionsaxiome als Prinzipien der Mengenlehre übrig bleiben.

A3.1b - Logik

Kommen wir also zur logischen Form von Aussagen zurück. Was ist sonst in ihnen vorhanden, was Sätze inhaltsleer macht? Neben der Form der Menge ist es nun insbesondere die Form des Schlusses, die eigentlich das Leere in der Mathematik ist. Denn während Axiome für sich genommen zwar das sind, was man annehmen muss, um die Inhaltsleere der logischen Sätze überhaupt denken zu können (denn ohne die Grundannahmen der Mengenlehre gäbe es keine Logik, da es überhaupt keine Objekte gäbe, wenngleich es ebenfalls andersherum gilt und somit in einer höheren Schicht gelöst werden muss; jene ist die transzedentale Mathematik), sind es doch gerade die Schlüsse aus ihnen, die eigentlich erst inhaltsleer und damit absolut wahr sind. Solche Schlüsse aber erfordern eine gewisse Form, welche selbst als Prinzip vor der Schlussfolgerung stehen muss.

Hierbei halte ich mich an das Hilbert-Kalkül und benutze allein den Modus ponendo ponens (aus φ→ψ und φ folgt ψ) als eigentliches Schlussprinzip, und nehme damit dann alle anderen Schlussprinzipien, wie sie gewöhnlich genommen werden, als Axiome an, die man diesem Schlussprinzip zu Grunde legen muss. Damit ergibt sich dann folgede Liste an Prinzipien (ich nehme dabei die Axiome aus dem Lehrbuch „Einführung in die mathematische Logik“ von Heinz-Dieter Ebbinghaus, in dem dazu auch der Vollständigkeitssatz bewiesen wurde, was mir Grund genug ist, diese zu nehmen, als ich sie also besser durchdrungen habe; aber man möge auch andere Axiomensätze nehmen, solange man nur den Vollständigkeitssatz dazu beweisen kann. Das letzte Axiom musste ich aber doch selbst hinzufügen, als sich sonst das ganze Schema nicht so ergibt, wie es im weiteren Gebrauch (d.i. mit anderen Schlussprinzipien) natürlicherweise würde auftreten können):

  1. Einführung von Voraussetzungen: φ→(ψ→φ)
  2. Fallunterscheidung: ((ψ→φ)∧(¬ψ→φ))→φ
  3. Widerspruchsbeweis: ((¬φ→ψ)∧(¬φ→¬ψ))→φ
  4. ∨-Einführung in der Voraussetzung: ((φ→χ) ∧ (ψ→χ)) → ((φ ∨ψ)→χ)
  5. ∨-Einführung im Schlussatz: φ→(φ∨ψ) oder φ→(ψ∨φ)
  6. ∃-Einführung in der Voraussetzung: (φ(x = a)→ψ)→(( ∃x: φ)→ψ) nur wenn a nicht in ψ oder ∃x: φ oder den Voraussetzungen vorkommt
  7. ∃-Einführung im Schlussatz: φ(x = a)→∃x: φ
  8. Identität: x = x
  9. Substitution: φ(x = a) → ((a = b)→φ(x = b))
  10. Konjunktion: φ→(ψ→(φ∧ψ))

Diese Axiome muss man also ebenfalls als Grundprinzipien unseres Denkens annehmen. Aber da sie hier wirklich als Axiome auftauchen, und eben nicht als Prinzipien selbst (d.i. als Vollendung eines bereits durchgeführten Vollzugs), können wir sie eigentlich eben nur als schon immer vorhandene, nichtssagende Aussagen, aber gerade nicht als Prinzipien zu nichtssagenden Aussagen überhaupt heranziehen. Dieses Prinzip ist allein der modus ponens, der darum allen nichtssagenden Aussagen zugrunde liegt.

Damit können wir insgesamt sagen, dass wir zum einen die Prinzipien der nichtssagenden Aussagen hier völlig bestimmt haben, nämlich als Leere Menge, Konstruktion und Modus ponens. Damit ist ein Teil der absolut wahren und in aller Subjektivität vorhandendem Denken bereits bestimmt; zudem haben wir mit den Mengenkonstruktionen selbst und den logischen Axiomen bereits immer vorhandene Grundaussagen, die auch über nichts gehen und deren Existenz allein schon durch ihre fundamentale Stellung von alleine gegeben ist, und somit auch nichts über den Weg des Denkens aussagt. (Dahingegen die konkrete Ausübung der logischen Axiome im modus pones tatsächlich nicht vorher absehbar ist, und ebensowenig dann auch die Konstruktion im Denken, da zwar die Prinzipien zur Konstruktion, die sich in der Axiomatik niederschlagen, wirklich notwendig sind, aber die konkrete Ausübung derselben, d.i. die Auswahl einer konkreten Axiomatik und dessen Anwendung in Beweisen, doch sehr von der Art des jeweiligen Denkens abhängt und damit eben nicht universell ist).

Eigentlich müsste man hier auch noch die Kategorientheorie anführen, da sie ebenfalls eine notwendige Grundlage dieser Art von nichtssagenden Sätzen ist, aber da sie doch komplexer ist, als dass man sie hier in kurzer Form abbehandeln könnte, so lasse ich das noch als Aufgabe stehe, die in einer wirklichen Ausarbeitung des Systems erst eine wahre Vollendung erreichen mag, ebenso wie die genauere Rolle des Beweises für die Mathematik und die Philsophie insbesondere dort noch deutlicher ausgeführt werden muss, da hier noch einiges undeutlich liegt.

A3.2 - Aussagen über notwendige Begriffe

Meine Forderung war ja, dass die Notwendigkeit eines Urteils nur an seinem Inhalt hängt. Das wurde ja dann auch bereits bewiesen, und nur die notwendigen Inhalte der Urteile bildeten überhaupt noch universell wahre Aussagen. Da wir nun die nichtssagenden Aussagen abbehandelt haben, ist es nun Zeit, uns den inhaltsvollen, aber trotzdem universellen Aussagen zuzuwenden. Jene Aussagen enthalten also nicht nur logische Tautologie, die man ja ganz offenbar in keiner materialen Erkenntnis wiederfinden kann, sondern einen inhaltlichen Sinn, den man aber eben nicht im Inhalt, sondern nur in der Form des Denkens überhaupt finden kann. Jener ist also Form, als Inhalt genommen.

Diese Aussagen sind also, im oben genannten Sinne, transzendental notwendig - sie müssen da sein, wenn man überhaupt darüber nachdenkt, ob irgendetwas existiert (dagegen Transzendentalien nur da sein müssen, wenn man über ihre jeweilige Existenz nachdenkt; so man etwa räumliche Vorstellungskraft braucht, um die Frage nach dem Raum an sich stellen zu können, nicht aber, um die Frage nach der Existenz überhaupt zu stellen).

Somit sind diese Begriffe die Antwort auf die Frage: Was gibt es überhaupt? und damit eigentliche Grenzbegriffe der Erfahrung.

Damit nun ein Begriff wirklich zu so einem Grenzbegriff werden kann, muss er also zum Denken an sich notwendig sein, d.i. man muss ihn in jedem Denken überhaupt wiederfinden können. Er muss die Bedingung eben dieser Frage darstellen, und durch diese Bedingungen sind auch schon alle solche Begriffe erschöpft.

Was brauchen wir also? Zunächst ist einsichtig, dass das die Frage nur dann gestellt werden kann, wenn sie jemand stellt, denn ansonsten kann sie keinen Zweck erfüllen; außerdem muss man irgendeinen Grund dafür haben diese Frage zu stellen (denn nur daher kommt sie). Nun entsteht diese Frage ja aus der Reflektion der eigenen Erfahrung (wie auch immer diese materialiter aussehen möge, und welche Form von Anschauung sie auch habe); also muss ich ein Vermögen, überhaupt Erfahrungen zu machen, auf jeden Fall haben, um diese Frage stellen zu können. Zudem brauche ich jetzt noch einen Grund, warum ich von den konkreten Erfahrungen zu ihren Urgründen a priori überhaupt übergehen sollte, da sich ohne so ein Grund ebenfalls keine solche Frage je stellt, ich brauche also einen Willen zur Erkenntnis, eine Neugier. Habe ich diese drei Dinge, so bin ich schon am Ziel: Ich habe ein Selbst, was denkt, dieses kann sich etwas konkretes oder abstraktes denken und kann dann daher zu den Gründen a priori aufsteigen, was es dann, da es seiner inneren Neugier entspricht, auch tut. Damit aber ist die Frage schon gestellt, denn sie ist nichts als die Frage nach den Dingen a priori, und damit gibt es also nur drei transzendental notwendige Begriffe: Das Selbst, Vorstellungskraft (auch Phantasie) und Neugier (auch Wille).

Das heißt nun aber natürlich nicht, dass damit bereits alle Begriffe a priori ausgeschöpft sind; es ist vielmehr nur so, dass allein diese unbedingt notwendig existieren, wenn man die Frage nach der unbedingten Existenz stellen kann. Es mag nun aber sein, dass es Dinge gibt, die ganz unabhängig dieser Frage da sein müssen, oder nach anderen Fragen erst da sind, die möglicherweise sogar noch allgemeiner sind; das sind alles zwar mögliche Konstellationen, aber ich habe bisher keine Möglichkeit gesehen, die meinem Vorhaben, dass subjektive Erkenntnisvermögen überhaupt einer universellen Analyse zu unterziehen, zuträglich sein könnte; gleichwohl ist das natürlich ein Problem dieses Systems, dass sich auch in diesem Entwurf nicht leicht lösen wird, als dazu noch weit mehr benötigt würde (wozu dann die eigentliche Forschung beginnen muss)

Beschäftigen wir uns also zunächst mit diesen drei Begriffen, denn über sie lässt sich bereits einiges sagen, was meine Metaphysik, die sich nämlich aus der Unterteilung und Beschreibung eben dieser notwendigen Dinge a priori ergibt, im Kern betrifft; zugleich werde ich dort auch noch einmal bessere Beweise derer Existenz und dadurch eine genauere Angabe ihres Wesens geben, die hier nun auf einmal nicht zu geben waren.

A3.2a - Die Unmittelbarkeit (das Selbst, die Entfremdung)

Der erste dieser Grenzbegriffe, dessen Bestimmung sogleich schon die schwierigste ist, ist also das Subjekt, das Selbst. Wenn ich über die Existenz überhaupt nachdenke, dann muss es eben ein Subjekt geben, dass eine solche Frage stellt - ein Nicht-Subjekt könnte sie nicht stellen. Diese Erkenntnis, die schon Descartes mit logischer Strenge bewies, hat aber immer wieder zu einer gegenständlichen Vorstellung dieses Selbst geführt, dass sich schon bei Descartes in der Bezeichnung dieses Selbst als res cogitans findet. Aber schon bei Descartes liegt das Selbst doch im Beweis nur als actus cogitans, als Vollzug des sich selbst denkenden Selbst zugrunde, und gerade eben nicht als Sache, die man von außen betrachtet (denn er bestritt ja gerade die Existenz der Außenwelt, um zu seinem Selbst zu gelangen). Das also zeigt, dass die einfache Bestimmung des Selbst als Sache in der Welt zu einfach ist, und wir das Wesen des Subjekts schon aus seinem Handeln werden erkennen müssen.

Aber was kann ich über dieses Selbst denn wissen? Ich weiß zwar, dass ich denke, aber mehr eben auch nicht, und es ist schwer, ihm irgendeine andere Eigenschaft mit Gewissheit zuzuordnen. Ich mag sagen: Ich denke, Ich weiß, Ich sehe; aber kann ich dieses Denken, Wissen, Sehen wirklich als Eigenschaft des Selbst ansehen? Wir haben doch oben gesehen, dass Eigenschaften, insbesondere solchen abstrakten Eigenschaften der Zuschreibung, erst nach der Vergegenständlichung überhaupt möglich ist (als jene auf der siebten, diese aber schon auf der vierten Stufe der empirischen Erkenntnis des absolut Fremden steht, und wir durchaus keine Stufe einfach übergehen können); damit stellt sich also die Frage: Ist das Selbst ein bloßes Phänomen von Intuitionen oder ein durch Eigenschaften bestimmter Gegenstand? als die Hauptfrage jeder Beschreibung des Selbst.

Hier gelangen wir nun zu einer seltsamen Eigenschaft des Selbst: Ich kann zwar alles mögliche über mich affirmieren, ohne mir selbst zu widersprechen (auch wenn das noch keine Bestimmung des Selbst, sondern höchstens meiner empirischen Erfahrung ist, da sich das ja gerade eben nicht auf das Selbstbewusstsein überhaupt bezieht), aber ich kann nichts über mich negieren, ohne in einen performativen Widerspruch zu geraten. Jener war es doch schon, den Descartes bemühte, als er zurecht behauptet, dass man nicht bezweifeln könne, dass man zweifelt; auf dieselbe Weise aber kann man nicht denken, dass man nicht denkt, und also auch nicht von einer bestimmten Sache behauptet, dass man sie sich nicht vorstellen kann, da man ja gerade die Vorstellung dieser Sache braucht, um sich von ihr abwenden zu können - womit man sie niemals negieren kann. (Wenngleich ich natürlich das Negat der Sache affirmieren kann, insofern ich es denke, da mein Denken eben als Vollzug nicht widersprüchlich ist, auch wenn sich seine Gedanken widersprechen).

Damit bin ich also zu mir selbst kein bloßes Phänomen, dass Eigenschaften nur diskursiv hat, sondern tatsächlich ein Gegenstand, aber einer, der alle als Phänomen wahrgenommenen Eigenschaften auch gegenständlich annehmen muss. Er ist aber gerade darin kein Gegen-Stand, sondern ein Zusammen-Stand, eine Sammlung aller Sichten und Eigenschaften. Er hat damit die seltsame Eigenschaft, dass sein Phänomen mit seiner Gegenständlichkeit zusammenfällt.

Damit ist er selbst nichts als die Sammlung aller erscheinenden Dinge, also die subjektive Existenz überhaupt. Denn alles was aus meiner Sicht ist, ist in mir, da es mir ja sonst nicht erschiene. Damit kann ich also alle Erscheinungen zumindest zweiteilen: In das, was mir erscheint (was Intuition, Wahrnehmung etc. ist und daher nicht von mir selbst beeinflusst ist, zumindest nicht ständig), und zum anderen in die Tatsache, dass es ist, was nichts ist als ein Ausdruck meines Denkens als Fähigkeit der Seinserkenntnis.

Auf diese Art einzig mag ich mich denn auch als Dualist bezeichnen: Alle Dinge liegen sowohl als physische als auch als mentale Phänomene vor, wobei der physische Teil dem Seienden, den Dinge zugeordnet ist und der mentale Teil ihrer Existenz, ihrem Sein. Dieser Dualismus also ist ein jeweiliger Solipsismus: Für jeden ist er selbst eine Form des Seins überhaupt, so dass alle Erscheinungen nur als Seiendes, als Material seines Denkens betrachtet werden müssen. Wie sich diese Seinsformen miteinander vertragen, ist dann die eigentliche Herausforderung objektiver Erkenntnis, ihr weiteres Ergebniss das auch der Ausgangspunkt meiner Frage nach dem Göttlichen.

Um damit das Wesen meiner Selbst zu beschreiben, kann ich nur meine Existenz angeben. Ich bin, dass ich bin.

Nun ist das alles gewiss sehr schön, hat aber noch ein gewaltiges Problem: Wie kann eine Sache allein positive Prädikate aufnehmen? Es ist doch in sich eine widersprüchliche Behauptung, als ja gerade das, dass ich keine negative Behauptung meiner Selbst aussprechen kann (mich also nirgendwovorn abgrenzen kann etc.), eine sogar besonders starke negative Prädikation ist. Wie also passt das zusammen?

Es wäre schon viel zu viel gesagt, dass ich keine Identität hätte. Ich dachte noch vor einiger Zeit, dass das aus der Tatsache, dass ich mich selbst nur positiv prädizieren kann, unmittelbar folgen würde; aber die Tatsache, dass ich nichts über mein Wesen weiß, außer dass ich existiere (da es sonst keine negative Prädikation gibt, und allein Existenz aus der bloßen Intuition eines Phänomens folgen kann), besagt ja gerade, dass ich eben nicht weiß, dass ich keine Identität habe, da ich ja hiermit allein schon eine gewaltige Negation über mich aussprechen würde (dass ich also nicht etwas sondern nur Existenz bin).

Nun ist mir aber die Erkenntnis, dass ich selbst mir unerkennbar bin, völlig unzweifelhaft, da ich ganz offenbar nicht über mich hinauskomme und somit alle Bestimmungen der Identität selbst immer ganze Ontolgien sein müssten, in denen ja auch immer dasselbe Problem auftritt, wie man denn das Sein vom Res abtrennt; und hierin also die Parmenideische Bestimmung des Seins selbst auch in den Paradoxien der persönlichen Identität letztlich vorliegt. Ich weiß also, dass ich von meinem Wesen nichts weiß, weiß aber auch, dass ich von dieser Tatsache selbst nichts wissen kann.

Analysieren wir also diese beiden Sätze:
1. Ich kann nicht wissen, was ich bin
2. Ich kann nicht wissen, dass ich nichts davon weiß, was ich bin.

Wenn wir annehmen, dass beide Sätze aus derselben Bestimmung kommen (denn beide stammen aus der Ablehnung negativer Prädikation), so gelangen wir zu folgendem Prinzip:
Was ich bin, ist dass ich nichts davon weiß, was ich bin.
Oder kurz: Mein Wesen ist die Entfremdung von meinem Wesen. Ich bin Selbstentfremung.

In dieser paradoxen Bestimmung des Selbst lösen sich nun alle Problem auf: Ich kann mich selbst nicht bestimmen, da genau dass meiner Identität entspricht, Selbstenfremdung zu sein; dass ich aber das für mich nicht annehme, ist ebenfalls ein Ausdruck desselben Wesens.

Selbst die Widersprüchlichkeit dieser Aussage tut ihr keinen Abbruch, sondern bestätigt sie vielmehr, ist sie doch genau ein Zeichen dafür, dass wir unsere eigene Wesensbestimmung nicht bestimmen können - was genau durch unser Wesen bestimmt ist!

Bei dieser Bestimmung des Selbst als Entfremdung seiner Selbst muss also jedes Selbstbewusstsein beginnen, als es immer auch das Bewusstsein seines Unbewusstseins sein muss. Da ich aber hier noch nicht zu besseren Bestimmungen gelangt bin, und diese Definition auch wirklich das einzige gute Ergebnis darstellt, will ich also damit die Darstellung vom Selbst schließen und zur Vorstellungskraft übergehen.

Anmerkung: Man mag die obigen Sätze auch in geringfügig anderer Form darstellen, nämlich als:
1. Ich kann nicht wissen, was ich nicht bin
2. Ich kann nicht wissen, dass ich nichts davorn weiß, was ich nicht bin
=> Was ich nicht bin, ist dass ich nichts davon weiß, was ich nicht bin

Oder: Das Wesen vom Rest der Welt ist mein Unwissen über den Rest der Welt. Damit ist also die Grenze meiner Erfahrungen genau darin bestimmt, dass ich sie nicht erfahren kann. Diese Definition des Rests der Welt (mit Fichte gesprochen: Das Nicht-Ich) ist darum nur die andere Seite der obigen Definition des Selbsts.

Wenn man also dieser Definition anspruchslos folgt (und der logischen Form muss man hier ohnehin folgen), kommt man also zur absurden Schlussfolgerung:
Was ich bin, hat das selbe Wesen wie, was ich nicht bin. Mein Wesen ist das meines Gegenteils.
Das kann man nun damit hinwegerklären, dass es eben auch nur Ausdruck der Entfremdung ist, dass ich meinem Gegenteil wesensgleich bin usw, aber das erscheint mir sehr fragwürdig. Denn Entfremdung hat nichts mit meinem Gegenteil, sondern nur etwas mit meinem Unvermögen, mich zu erfassen, zu tun, so dass derlei Schlussfolgerungen eigentlich nicht passen. Hier also besteht noch ein großes Problem, dass sich zu klären lohnt.

Zusatz: Die Entfremdung des Selbst mag man sich auch denken als die Unterdrückung jeglicher Negation. Eben weil mein Wesen die Affirmation ist (zu sagen, ich bin dieses), darum kann ich mich überhaupt nicht als Gegenstand sehen, wenn nicht nur in der Unfähigkeit, Gegenstand zu sein. Darin nähert sie sich nur darin an, ihre Grenze nicht ziehen zu können (und also nicht wissen kann, ob sie sich nahe ist).

A3.2b - Die Vermitteltheit der Welt selbst (Phantasie)

Kommen wir also zur Bestimmung der Vorstellungskraft, der Phantasie. Was können wir über sie a priori wissen?

Ich kann hier nun gerade keine bestimmte Vorstellungskraft, keine bestimmte Phantasie ansetzen, da es ja hier nicht darum geht, was ich a posteriori darüber weiß, wie sie a priori schon beschaffen gewesen sein muss (wie es Kant tat, als er von der faktisch existierenden Wissenschaft auf ein Vermögen zur Anschauung und zum Urteilen a priori schloss), sondern ich muss herausfinden, was allein aus der Frage Was gibt es überhaupt? an Erkenntnis über jegliche Vorstellungskraft herausgefunden werden kann.

Nun ist es hier zunächst deutlich undurchsichtiger als beim Subjekt; denn es erscheint hier nicht, dass sich allein aus der Existenz hier ein Wesen werde ableiten können, so wie es beim Subjekt (aus seiner absolute Affirmativität) gelang. Wie aber kann ich die Vorstellungskraft dann im allgemeinen beschreiben? Sie ist ja aus dem Vermögen des Denkens an sich entsprungen, sie ist die reine Möglichkeit zu denken. Wir müssen also untersuchen, welche Denkfähigkeit der Frage, was überhaupt existiert, im Ganzen zu Grunde liegen muss.

Zunächst liegt unser Bezug auf dem Was. Es muss ja nun offenbar einen Bezug auf eine Existenz geben, die hier untersucht wird, ohne die ich mir nichts denken würde; dies ist aber nun nicht die Intuition, die wir zu Beginn als Existenz eingeführt haben. Denn die Frage ist ja nicht, was existiert jetzt, sondern was existiert überhaupt, d.i. immer und unter allen Umständen, bei jedem und allen Wesen. Damit kann also der rein intuitive Bezug zum Selbst und seiner Anschauung hier nicht genug sein, es wird etwas mehr benötigt.

Was ich hier brauche, ist das Vermögen, eine andere Sache als für seiend zu denken (d.i. nicht als mein Gedanke, sondern als Gedanke überhaupt). Nur so kann ich derlei Bestimmungen jemals denken, als sie ja eben allgemeine Existenz voraussetzen. Aber diese allgemeine Existenz des subjektiven ist es ja auch, die wir hier mir den allgemeinen Bestimmungen der notwendigen Urteile bestimmen wollen, und die ja, wie wir hier ausführen, gerade keine Intuition oder zufällige Subjektivität aus der empirischen Begriffsbildung, sondern notwendige Grundlage aller Begriffsbildung a priori ist.

methodische Anmerkung: Wir haben hier eine leichte Verwechslungsgefahr, die ich alsdann ausräumen möchte. Ich verwende hier die Methode der transzendentalen Notwendigkeit sowohl als Methode, um unser Erkenntnisvermögen an sich zu untersuchen, als auch als Gegenstand eben dieser Methode, da die Existenz des Vermögens zu dieser Methode vorausgesetzt werden muss, wenn man nach den Dingen überhaupt fragen kann. Ich setze hier also die Methode voraus, mit der ich sie untersuche, was man mir als Zirkelschluss vorwerfen mag, aber unvermeidlich ist, wenn man das Denken denken will (denn hierin steckt schon der Zirkel).

Neben der Bestimmung einer Sache als für sich seiend gibt es hier noch die Erkenntnis der Abgrenzung dieser Frage von der Frage der Erkenntnis des Selbst und der eigenen Erfahrung. Nur weil ich weiß, dass es eben etwas sehr verschiedenes ist, nach den Dingen überhaupt oder nach meiner Anschauung zu fragen, kann ich diese Fragen überhaupt in unterschiedlicher Bedeutung stellen.

Dazu aber benötige ich ein Bewusstsein der Dinge, wie sie für mich sind, denn ansonsten könnte ich diesen Unterschied gar nicht ziehen; damit muss also in meiner Vorstellungkraft beides immer schon vorhanden sein: Allgemeinheit des für sich seienden und die Besonderheit meines eigenen Denkens.

Diese konkrete Vorstellungskraft ist wirklich ein Vor-Stellen, ein Setzen des Gedankens als Intuition. Denn auch wenn ich meine Wahrnehmungen und Intuitionen doch zum größten Teil aus der äußeren Welt erhalte (und sie darin auch nicht abwehren kann, dass sie da sind, da nunmal ist, dass es ist, und nicht, dass es nicht ist, wie Parmenides richtig erkannte); aber ich kann zu ihnen einen neuen Gedanken setzen, eine Vorstellung, die ihre Notwendigkeit erst durch den Akt ihres Setzen erhält (als es erst dann notwendig ist, dass sie da ist, weil sie dann erst existiert und darin dann auch nicht mehr verneint werden kann, mag man auch ihre Rechtmäßigkeit bestreiten).

Darin wird also die Phantasie meines Denkens selbst das, woraus erst die Prinzipien meiner Welt entstehen: Nur indem ich sie setze, sind sie überhaupt da. Es muss darum diese Phantasie sein, die durch das Setzen der Fremdheit überhaupt die Intuitionen hervorbringt, die durch das Verbinden von Vorstellungen erst Gegenständlichkeit und durch dessen Kontrastierung dann Abstraktion erzeugt, und die durch das Setzen der Existenz als Frage überhaupt Reflektion ermöglicht. (Hier hatte dann auch Fichte im Kern recht, als er sagte, dass das Ich sich und das Nicht-Ich setzt; aber es eben nicht das Ich, was sich setzt sondern die Phantasie ist, die dem Ich zwar zukommt (schließlich kommt ihm alles zu), aber es nicht ausmacht (das wäre vielmehr die Unmöglichkeit, es mit irgendetwas auszumachen))

Dieses Setzen der Vorstellung drückt sich jetzt im Unterschied von allgemeinem und besonderem Bewusstsein der Notwendigkeit der Existenz darin aus, dass ich, indem ich die Dinge, die überhaupt existieren müssen, mit der für mich notwendige Existenz des Selbst, der Vorstellung und des Willens eben auch allgemein besetze, anerkennen muss, dass damit den Gedanken selbst ein Denken zugrunde gelegt wird, weil die notwendigen Existenzen des Selbst eben nur als solche eines Denkens zugrunde liegen können (und ich ihnen dadurch ein Denkend-Sein außerhalb ihres Gedacht-Seins zuschreibe).

In der allgemeinen Existenz schreibe ich mit der Vorstellungskraft also allen Objekten (und dabei natürlich vor allem anderen Menschen, aber in der Mythologie gleichfalls auch Gegenständen) eine für sich bestehende Subjektivität, Vorstellungkraft und einen Willen zu. Denn genau darin liegt das Vermögen der Vorstellungskraft der Existenz überhaupt, wie es sich ja auch in diesem Text unmittelbar niederschlägt (als hier Untersuchung des Vermögens eben das Wesen des Vermögens selbst ist).

Diese Art der Existenz für sich ist aber deutlich zu trennen von der objektiven, die noch einzuführen ist; ebenfalls ist sie zu trennen von der intuitiven oder subjektiven Existenz in mir, die eben nicht durch ein Dasein an sich, sondern durch eine Bestimmung in der subjektiven Begriffsbildung als Sache festgelegt ist. Aber diese drei Arten der Existenz tragen ein gemeinsames Moment, und das ist die Bestimmung als Fremdes: Das Fremde als Intuition, als etwas bloß benenn-, nicht aber beschreibbares (was sich auch in der Beschreibung immer auf den Namen als Ausdruck der Fremdheit bezieht, insofern es eben aus solchen abstrahiert wurde); das Fremde als Subjektivität, als Entfremdung seiner Selbst in der Negierung seiner inneren Negativität und dessen letztliche Annahme als Identität; und zuletzt das Fremde als objektives Dasein, was sich weder in der Sache für sich, noch für einen anderen genommen wiederfindet, sondern nur in der formalen Korrespondenz der anderen über diese Sache, die dadurch alle Bestimmungen verliert und somit sich selbst zu etwas fremdem wird. Dies wird sich in deutlicher Form dann in meiner Theologie und politischen Philosophie niederschlagen, als sie beide auf eben dieser Einsicht der grundlegenden Fremdheit überhaupt aufbauen, und dadurch überhaupt erst eine Fundierung in der Theorie erhalten (dadurch also erst Einai-Theologie, ontologische Politik geheißen werden können).

Soviel also ist hier zur Vorstellungskraft zu sagen; es bleiben hier natürlich viele Aspekte unbehandelt, wie die Frage, woher sie denn überhaupt kommt (denn anders als das Subjekt, was ja immer schon vorhanden ist, um etwas feststellen zu können, kann es natürlich einen Zustand vor der Vorstellungskraft des allgemeinen geben, und der ist noch überhaupt nicht bestimmt), oder die Frage, was sie eigentlich auf diese besondere Art der Allgemeinheit festlegt (das Subjekt, die Welt, etwas noch ferneres ?); aber all dies sind auch Fragen, über die ich mir selbst noch nicht recht klar geworden bin, so dass ich sie hier in aller Deutlichkeit noch nicht beantworten kann.

A3.2c - Der Wille a priori

Nun haben wir also das Wesen vom Selbst und der Vorstellungskraft behandelt, es fehlt also noch die Untersuchung des Willens a priori.

Was lässt sich also über den allgemeinen Willen a priori aussagen? Es kann ja offenbar kein bestimmtes Wollen sein (etwa die Lust, die man auf gewisse Speisen oder Gerüche hat, körperliches oder intellektuelles Verlangen etc.), da alle diese nur a posteriori gewonnen werden können. Es kann auch nicht eine gewisse Schönheit der Form einer Anschauung überhaupt sein, da der allgemeine Wille a priori eben nur das enthält, was notwendig aus dem Begriff des Denkens überhaupt folgt, als man einen Grund braucht, die Gedanken überhaupt zu denken.

Dieser Wille ist darum auf nichts konkretes gerichtet, und kann darum eigentlich nicht einen Willen zu einer Handlung, sondern vielmehr das Prinzip des Willens in allen Handlungen überhaupt bezeichnen. Diesen Willen kann man darum am besten auch als Neugier bezeichnen, da er eben nicht auf eine konkrete Sache geht, sondern das allgemeine, immer schon vorhandene Verlangen nach dem Leben im Ganzen ausdrückt.

Woher also kommt Neugier? Ich kann ja eigentlich keine rechte Begründung für sie finden, eben das ist ja das Problem der Begründung des eigenen Daseins, was wir am Anfang unserer Untersuchung schon erkannt haben. Ich muss sie vielmehr im Denken immer schon voraussetzen, als ich ohne eine Neugier, die mich dazu bringt, überhaupt zu denken, gar keinen Gedanken fassen könnte. Sie drückt sich dann auch verschiedentlich aus, je nachdem, auf welcher Ebene der Vergegenständlichung wir sie ansetzen. Aber im eigentlichen Sinne muss sie ja eben nicht nur transzendental sein (wie solche Begriffe als Lust, Planvermögen, Gewissen etc.), sondern auch transzendental notwendig sein, d.i. das Prinzip des Wollens, was notwendig im Denken an sich steckt, immanent aufdeckend.

Die Vorstellungskraft wurde ja oben als jenes Denkvermögen ausgestellt, was zur Frage nach den Dingen überhaupt (d.i. nicht insbesondere für mich) notwendig vorhanden sein muss. Fragen wir nun auf dieselbe Art nach der Neugier, die wir brauchen, um zu eben dieser Frage zu gelangen!

Wir haben gesehen, dass die Vorstellungskraft im Kern das Setzen eines Fremden bedeutet (sei es im Denkend-Sein als Reflektion oder im Gedacht-Sein als Intuition, und dort als äußere Wahrnehmung oder innere, willkürliche Setzung); also kann der Wille, den wir jetzt untersuchen, nichts weiter sein als der Wille zum Fremden überhaupt, der es mir ermöglicht, überhaupt etwas anderes als anderes zu setzen und begreifen.

Die erste Ausdrucksform ist die Neugier als Neugier nach Fremden, als ein Erschaffen des anderen im Wert seiner Unverständlichkeit. Nur wenn ich ein anderes nämlich eben nicht als bekannt voraussetze, und daraus meinen Wert versuche abzuleiten (etwa danach, wie es mir nützt, ob es mir schon vorher gefallen hat etc.), kann ich überhaupt etwas neues, etwas fremdes als solches begreifen und es nicht nur in schon bekannten Kategorien einsortieren. Eben ein solches Denken der Fremdheit überhaupt ist aber unbedingt nötig, um die Frage nach den Dingen überhaupt ja stellen zu können, da diese Frage je eben das Setzen der Subjektivität in sich selbst und in andere voraussetzt, als den Akt der Phantasie, und darum ohne einen Willen danach überhaupt nicht anfangen kann.

Jener Wert des Fremden muss aber allein in der Existenz liegen. Ich kann nämlich im absolut fremden gar kein Kritierium irgend eines inhaltlichen Wertes aufrecht erhalten, da es ja gerade die Tatsache der Unbekanntheit sein soll, die mir den Wert ausmacht. Daher ist die Neugier hier der Ausdruck davon, dass eine Sache überhaupt wert in ihrer Existenz ist; da das aber auch zugleich die einzige Form der wirklichen Wertgebung ist (wie denn in der Einleitung bewiesen wurde), ist damit die Neugier ein grundsätzliches Zeichen für den Wert der Welt überhaupt. Darin also ist der Wille ein Ausdruck des ontologischen Wertes, darin er selbst die Welt erst als wertvolle erschafft. Insofern ist die Neugier selbst der Geist der Welt.

Aber diese Begeisterung der Welt ist nicht einfach rein positiv. Der Wille a priori ist vom Wohlwollen genau zu unterscheiden, da eben jener Wille auch ein Ausdruck der Angst ist. Das Gegenteil des Willens ist nicht, es nicht zu wollen - es ist die Gleichgültigkeit. Denn auch in der Angst (und man mag sagen, gerade in der Angst) liegt eine besondere Wertschätzung der Sache - als unheimliche, als dunkle.

Oder wie kann es sonst sein, dass Neugier doch etwas aufregendes ist; und das sowohl darin, dass es aufregend ist, als auch, dass es einen aufregt? Es ist doch immer eine gewisse Unheimlichkeit darin, eine Sache als Sache überhaupt, als Fremde, als Unbekannte zu erstreben; und insofern jeder Wille letztlich so einer ist, eben weil es keine letzte Rechtfertigung des Wertes einer Sache als aus ihrer Fremdheit gibt, weil der Wert des Lebens überhaupt letztlich nur in meiner eigenen Entfremdung liegen kann, eben dadurch ist jedes Wollen, jedes Erstreben, selbst etwas, was sich allein in Bezug auf das Unheimliche und Unbekannte je wird rechtfertigen können.

Ebenso aber ist das Unheimliche eben auch das, was die Angst der Existenz erzeugt; dass ich es nicht weiß, was es für irgend etwas heißt zu existieren, nicht einmal für mich, bedeutet, dass mir kein Wert außerhalb der Neugier bleibt. Ich kann nicht sagen: Dies hat Wert!, wenn ich nicht zuerst den Wert überhaupt als Prinzip der Anerkennung des Fremden akzeptiere; und darin also ist jedes Wollen immer auch ängstlich, als es sich niemals als Wollen ohne Sorge ausdrücken kann. Ebenso aber ist jede Angst auch Ausdruck einer gewaltigen, drohenden Erwartung, und als solche Ausdruck der Neugier; hierin also lassen sich diese beiden Seiten, dass neugierige Spiel und die angstvolle Erwartung, niemals voneinander trennen.

Das eigentliche Gegenteil des Willens liegt eben darum allein in der Gleichgültigkeit, in der Bewertung durch anderes, also in der Illusion, eine Sache in ihrem Bezug auf andere Dinge (d.i. rational) bewerten zu können. Darin nämlich liegt der Unsinn im erwachsenen Streben: Dass sie sich Ziele setzen, ohne sie aus sich heraus zu wollen; dass sie sie als bekannte, nicht als unbekannte verfolgen; und dass sie glauben, Neugier und Angst trennen zu können. Darin also halte ich das kindliche Weltbild, worin die Sorge mit der Neugier aufs engste verknüpft sind, für das einzig gangbare, da nur so das Problem gelöst wird, wie ich eigentlich überhaupt etwas wollen kann und nicht vielmehr meinen Tod: Ich will etwas, weil es fremd ist, und ich will meinen Tod, d.i. das Ende aller Fremdheit, gerade deswegen nicht, weil er mir nur allzu vertraut ist (indem ich nämlich dem Denken nach tot bin, wenn ich nichts fremdes mehr erkenne, weder in mir noch in der Welt; dieser innere Tod ist es, den man als Gelassenheit oder Seelenruhe bezeichnet; Meditationen sind der innere Henker).

A3.2d - Zusammenstellung

Ich habe meine Metaphysik des Selbstbewusstsein in meinen vorsystematischen Schriften in dem Satz zusammengefasst: Ich bin das Sein, meine Phantasie ist die Ordnung der Dinge, meine Neugier ist der Geist der Welt! Ich mag nun ergänzen:

  1. Ich bin das Sein, was sich selbst fremd ist und darin sein Wesen erkennt
  2. Meine Phantasie ist die Ordnung der Dinge als Setzen in ihrer Fremdheit
  3. Meine Neugier ist der Geist der Welt, als Wille zum Fremden in Neugier und Angst

Darin also drückt sich aus, was notwendig in jeder Weltsicht, in jedem Denkend-Sein vorhanden ist, und damit ist diese Frage vollständig beantwortet.

A3.3 - Modifkationen der Begriffe in den Erkenntnisarten

Nun sind das aber noch nicht alle notwendigen Ausdrücke des Selbstbewusstseins. Ich kann nämlich jetzt diese drei Begriffe (Ich, Phantasie, Neugier) auf die drei Erkenntnisarten anwenden, die eigentlich Abbilder der Existenzarten überhaupt sind (Intuition, Begrifflichkeit, Hypothese als Ausdruck von Denkend-Sein / Entfremdung, Gedacht-Sein / Gegenständlichkeit und objektiver Existenz / Korrespondenz). Diese Zuordnung ist mir aber noch nicht ganz deutlich gelungen, ich will sie aber trotzdem erwähnen, da diese 9 Zuordnungen eigentlich den Kern des kommenden Systems bilden müssen, um etwa solche Fragen zu beantworten zu können wie: Was ist der Ausdruck der Subjektivität in ihrer objektiven Existenz? Oder: Wie kann man Begrifflichkeit phantasieren? Alle solchen Fragen müssen also in dieses 3x3-Schema einsortiert werden, und darum ist die Erzeugung dieses Schemas und dessen inhaltliche Ausgestaltung auch eine der wesentlichen Aufgaben jedes Systems der Kindlichkeit überhaupt.

Außerdem müssen wir ebenso noch die ganzen Begriffe auf alle Ebenen der Gegenständlichkeit bringen. Denn diese Ebenen selbst müssen ja zum einen eine transzendentale Grundlegung bekommen (etwa um den Begriff des Phänomens oder des Gegenstandes vollständig zu bestimmen); jene transzendentale Grundlegung muss aber von den notwendigen Begriffen ausgehen, und hierbei eigentlich schon von dem 3x3-Schema der Betrachtung von Ich, Phantasie und Neugier in allen drei Existenzarten, die man nun also wiederum in die 7 Erkenntnisstufen einzuteilen hat, und damit 63 verschiedene Begriffe des reinen Denkens zu enthalten (einschließlich der vorher vorhanden Grundbegriffe dann also 85, einschließlich dem 3x3 Grundschema und den 13 Grundbegriffen überhaupt).

Man kann aber auch die drei Grundbegriffe Ich, Phantasie und Neugier so schon auf die 7 Erkenntnisebenen bringen, ebenso auch die 3 Existenzarten. Bei den Grundbegriffen käme man also auf die Stufenordnung:

  1. Fremdheit als diskursiver Begriff
  2. die mathematischen Begriffe, reduziert auf metaphysische im Bezug auf Benennung (hier als Zuordnung: Ich - leere Menge; Phantasie - Konstruktion; Neugier - Schluss)
  3. Begriffe der subjektiven Phänomene
  4. Gegenständlichkeit als Ausdruck des Welt-Seins
  5. Konstrastion der Begriffe zueinander
  6. Abstraktion und Regelmäßigkeit
  7. Der Begriff der Zuschreibung im Unterschied zur Anschauung

Dies ist hier auch zunächst nur eine Benennung, insofern ich hier wahrlich nichts weiter gemacht habe, als die Ideen, die mir selbst noch eher dunkel als deutlich vorschweben, in ihrer Fremdheit zu benennen (und damit gleichfalls nur auf 2. Ebene zu arbeiten, was natürlich der Philosphie, die eigentlich abstrakt, d.i. auf 6. Ebene arbeiten sollte, nicht wirklich gerecht werden kann, und damit nur einen Anschein auf das kommende zu geben imstande ist).

Damit kommt man auf 127 Begriffe, die durch reines Denken zu erreichen sind. Mit diesen Begriffen also soll sich das spätere System befassen, ihre völlig Darstellung macht dann die subjektive Erkenntnislehre aus (nebst der Besprechung ganz anderer Fragen nach deren notwendigen Grundbegriffen, die ich aber hier nicht weiter behandeln kann, da ich sie selbst noch nicht in Deutlichkeit erkannte).

A4 - Objektive Existenz

Nun habe ich einen recht klaren Blick darauf, was subjektive Erkenntnis in mir ist; allein ist das aber nicht genug. Denn ich will ja eine gewisse Form der objektiven Erkenntnis schon haben, einen objektiven Blick auf die Welt, die aber aus meiner eigenen Sicht auf die Dinge nicht entspringen kann, da ich ja hier nur immer mein eigenes Denkend-Sein und das andere Gedacht-Sein habe (deren Beziehung ist intuitive, das Alleinstehen der Gedanken gegenständliche / subjektive Existenz); aber es gibt eben noch eine Art der objektiven Erkenntnis, die über das bloß subjektive hinausgeht. Jene ist es, die ich zunächst beschreiben möchte.

Ich muss dabei erst einmal einige Unterschiede klarstellen, die gewöhnlich bei der Frage nach objektiver Wahrheit verloren gehen:

1. Es geht hier um etwas, dass über das subjektive Denken hinausgeht; dass heißt aber nicht, dass der Gedanke der objektiven Wahrheit selbst nicht wiederum subjektiv ist. Natürlich muss ich den Gedanken der Objektivität und ihrer Methode in meinem subjektiven Denken erfassen können, und insofern ist mein Wissen über das objektive wiederum subjektiv, was aber nicht bedeutet, dass es keine Objektivität gibt, nur, dass diese immer nur unter den Bedingungen der jeweiligen Subjektivität erkannt werden kann.

2. Objektivität beschreibt die Dinge nicht, wie sie für sich genommen sind, sondern so, wie sie im allgemeinen sind. Es kann etwa bei der objektiven Beschreibung von Raum und Zeit ja nicht darum gehen, herauszufinden, was Raum und Zeit für sich genommen sind; ob es Anschauungsformen oder wirkliche Existenzen sind, sie lassen sich ja so oder so objektiv beschreiben, so dass es durchaus nicht darum geht, was sie an sich sind; das wäre vielmehr eine Theologie der Götter von Raum und Zeit, nicht aber eine echte Lehre der Raumzeit (wie die allgemeine Relaitivitätstheorie eine darstellt). Also geht es um das allgemeine in der Anschauung aller, nicht das Sein für sich.

3. Damit allein ist es jetzt auch möglich, Subjektivität selbst objektiv zu bestimmen. Denn Subjektivität gibt es für sich selbst nur als Entfremdung (wie eben bewiesen wurde), sodass man mit ihr gleichfalls gar nichts genaues verbinden kann; objektiv aber lässt sich eben dieser Eindruck, als Formalisierung im abstrakten Prinzip der Selbstentfremdung, als etwas fassen, was den objektiven Kern der Subjektivität ausmacht (im Unterschied zum je-subjektiven Kern, der nichts ist als der persönliche Eindruck der Selbstentfremdung, dem man aber, eben weil die Selbstentfremdung hier transzendental notwendig ist, kein Objekt zuordnen kann).

4. Transzendentale Erkenntnis selbst ist nicht objektiv, objektiv ist allein das Prinzip ihrer Anwendung als Erkenntnis über andere (d.i. dass ich erkenne, dass auch jeder andere derart denken muss). Damit aber ist sie nur in dieser formalen Hinsicht überhaupt Erkenntnis.

Das also nur zum Begriff der Objektivität. Aber wie ist jetzt objektive Erkenntnis möglich, wenn alle unsere Eindrücke doch subjektiver Art sind?

Ich habe ja bereits einsehen müssen, dass jegliche Subjektivät, wenn sie nur die Frage nach den Dingen überhaupt stellen kann, sich bereits auf andere Subjektivität beziehen muss. Nun habe ich aber diese Frage ja gestellt und auch wortreich besprochen, also muss ich annehmen, dass es tatsächlich andere Subjektivät gibt (denn ansonsten hätte ich nunmehr blos die Frage nach der Existenz für mich überhaupt stellen können). Aber wie kann das sein? Wie kann ich über eine andere Subjektivität Kenntnis besitzen, wenn doch alle Gedanken, die ich je hatte und haben werde, in meinem Denken (d.i. in meiner Subjektivität) gebunden sein müssen?

Das einzige, was ich dazu als Anhaltspunkt habe, ist die faktisch stattfindende Kommunikation. Ich sehe, dass ich mit jemanden reden kann, und glaube auch, Worte zu verstehen. Aber tu ich das wirklich? Das ist die eigentliche Frage nach objektivem Dasein, die hier zu klären ist.

Da ich zunächst noch überhaupt nicht weiß, welchen Anspruch diese objektive Erkenntnis haben kann, muss ich sie zunächst hypothetisch formulieren, also als bloße Vermutung, der wir dann im nachhinein möglicherweise einen Erkenntnisanspruch hinzufügen können. Also solche lautet sie, in ihrer stärksten Form, so:

Ich weiß, dass andere denken, sehe, was sie denken (in ihrem Handeln und Sprechen), verstehe, was sie damit meinen und warum sie es tun, und weiß, dass sie dabei den selben menschlichen Gedankenmustern folgen wie ich.

Das ist, im Kern, die These der Objektivität. Wir haben hierbei eigentlich vier Teilthesen, die sehr verschieden zu beurteilen sind:

  1. Ich habe Wissen darüber, dass andere überhaupt bewusst denken
  2. Ich weiß, was andere denken
  3. Ich verstehe den Sinn der Gedanken von anderen
  4. Andere denken, wie ich auch, menschlich, und haben darum dieselben Grundgedanken

Nun glaube ich, dass eigentlich alle vier Thesen in ihrer Grundform unhaltbar sind, eben weil sie einen zu hohen Erkenntnisanspruch formulieren; aber das heißt nicht, dass sie nicht trotzdem als diskursive Hypothesen weiterhin sinnvoll sind. Das aber bleibt weiterhin zu überprüfen, und darum soll es also zunächst gehen.

Betrachte die erste Hypothese. Sie besagt, dass der andere denkt, dass er also selbst Subjektivität besitzt. Diese Aussage ist aus meiner Sicht als pragmatische Perspektive noch gerade zu rechtfertigen, wenn ich denn annehmen will, dass hinter der tatsächlichen Kommunikation ein Gedanke steckt; denn das geht eben nur unter der Voraussetzung der notwendigen Dinge für das Denken überhaupt, d.i. Selbst, Phantasie und Neugier. Jenes also ist gegeben, wenn man nur annimmt, dass es den anderen auch als Denkenden gibt; die anderen Hypothesen aber sind zweifelhaft.

Am allerdeutlichsten zeigt sich dass in der letzten Hypothese. Natürlich bin ich zu gewissen Anteilen menschlich, insofern es meinen Körper betrifft; aber das auf das Denken zu übertragen, ist doch höchst fragwürdig. Denn ich kann ja gerade einfach sagen, dass ich das Wesen des Geistes überhaupt mit der Menschlichkeit überhaupt gleichsetze, da ich dann ja nichts weiter mache, als einen Standard (den der Menschlichkeit) als solchen zu setzen, der aber nur nach der Erkenntnis der Gedanken aller Personen überhaupt entstehen kann (so wie auch die Anatomie erst durch Sezierung überhaupt entsteht), ihn aber benutze, um das Denken überhaupt zu beurteilen, was offenbar falsch ist. Nicht meine Bewertung als menschlich ist das Problem, es ist die normative Position dieses Begriffs. In seiner Bedeutung kann es hier eigentlich nur das typisch menschliche bezeichnen (da es ansonsten ja die Allgemeinheit aller nur denkbaren Handlungen ausschöpfen müsste, was aber immanent unmöglich ist); aber es soll zugleich als Richtschnur aller Grundgedanken des Denkens überhaupt dienen. Wie soll ich aber denn diese Grundgedanken erkennen, wenn nicht eben im typischen, was sich in jedem einzelnen Beispiel ausdrückt? Es hat keinen Sinn zu sagen, dieses oder jenes sei menschlich, außer in der Aussage, dass eben ein Mensch dies getan hat, was aber weder irgendwie übertragbar ist noch irgendeinen Erkenntnisgewinn hervorbringt. Nicht die Menschlichkeit soll mein Verständnis ermöglichen, erst durch mein Verständnis des einzelnen habe ich ein Bewusstsein der Menschlichkeit überhaupt. Damit ist die vierte Hypothese zu verwerfen.

Auch die dritte Hypothese ist äußerst fragwürdig. Zwar bezieht sie sich nicht auf die ganze Menschheit, womit sie weniger spekulative Unsinnigkeit enthält, aber sie ist doch an einen problematischen Punkt gebunden, nämlich an das Verständnis. Inwiefern aber verstehe ich überhaupt andere bzw. kann ich mich verständlich machen?

Ich behaupte, dass man sich eigentlich nur dann verständlich machen kann, wenn man sich auch missverstehen kann. Denn nehmen wir an, ich wäre in einer Situation, wo ich nirgendwie feststellen könnte, dass ich falsch liege; wo mir alles darauf hindeutet, dass wir exakt dasselbe meinen, es aber nichts gäbe, wo wir tatsächlich etwas anderes sagen könnte. In so einer Situation, so scheint es mir, müsste man gerade annehmen, dass man sich missverstehe; denn es gibt so viele verschiedene Arten von Gedanken und Konstruktionen, dass es ein wahrlich gewaltiger Zufall sein müsste, der uns dazu bringt, exakt dasselbe zu denken, obwohl wir das nirgends feststellen könnten.

Darum also muss ich alles Verständnis an Missverständnis knüpfen, sofern es das Denken des anderen angeht, und nehme also tatsächlich auf diese Weise einen Fallibismus in der Kommunikation an. Wenn ich ihn nämlich nicht annähme, so würde ich denken, dass ich allen, was ich nicht durch Erfahrung widerlegen könnte, mir dem anderen übereinstimme (wie es ja auch häufig faktisch angenommen wird).

Welche Gedanken aber bleiben dann noch übrig? Viele Worte sind nun offenbar überhaupt nicht mehr verständnisfähig, uns als solche ja immer verständlich und nie überprüfbar. Zu solchen Worten zählen etwa: Wahrheit, Güte, Gerechtigkeit, Selbstbewusstsein etc. All diese Wort sind aber zu unserem Denken als solchem nötig, wie sollte man also annehmen, sie seien nicht verständlich?

Dazu müssen wir den Prozess der Verständigung in zwei separate Prozesse aufteilen

  1. Das jeweilige Verstehen, d.i. die Fähigkeit, den Worten Sinn zuzuordnen
  2. Das Verstehen des anderen, d.i. die Möglichkeit, festzustellen, ob der andere dem Wort einen anderen Sinn zuordnet oder nicht

Wir können durchaus im ersten Sinn sehr viele Worte verstehen, die wir im zweiten Sinne niemals verstehen könne, wie etwa alle moralischen Gedanken, denen ich zwar gewiss einen Sinn zuordne, die ich aber nur sehr schwer verdeutlichen kann (oder wie erkläre ich das Wort ‚gut‘? Der andere muss doch schon die Möglichkeit zur Bewertung in sich haben, um das verstehen zu können; damit aber auch schon das Wort ‚gut‘ verstanden haben).

Aber eben hier sehen wir noch eine Einschränkung: Ich sehe eben nicht den Sinn oder die Bedeutung der Gedanken von anderen, sondern nur, ob wir uns verstehen (im zweiten Sinne). Ich weiß also gar nicht, ob der andere nicht vielleicht an etwas ganz anderes denkt als ich, aber wir beide jeweils davon ausgehen, dass der andere schon dasselbe meint.

Dieses gemeinsame Meinen ist es auch, was ich dann als objektive Existenz bezeichne. Es ist nicht irgendendeine tiefere Einsicht in den anderen, es ist schlicht die Annahme eines gemeinsamen Bezuges auf dieselbe Sache, ohne ihr dabei jedoch ein Wesen zuzuschreiben, das über diesen Bezug hinausgeht.

Genauer gesagt besteht also diese Art der objektiven Existenz aus drei Annahmen:

  1. Der andere hat eine eigene Perspektivität, innerhalb derer sich Gedanken eigener Form befinden
  2. Dieser andere drückt nun mit seinen Worten die Gedanken bewusst aus, die er mit den Worten verbindet, ohne mich dabei anzulügen.
  3. Wenn ich und der andere auf etwas zeigen und dasselbe Wort dafür benutzen, dann denkt der andere für sich ebenfalls, dass ich und er gleichzeitig zeigen und sprechen

Dabei bildet erst die dritte Hypothese eigentlich das objektive Wissen, da erst hier etwas über den anderen angenommen wird, was auch scheitern kann; die Annahme des Bewusstseins des anderen und seine Sprachfähigkeit sind nur Annahmen, die man braucht, um übrhaupt sprechen zu können, da man aus der Annahme, dass der andere einen anlügt oder gar unbewusst spräche, eben alles ableiten kann, und sich nicht damit befassen braucht, was der andere wirklich sagt.

Diese letzte Annahme ist dabei natürlich zugleich die problematischste, sie besagt ja, dass ich zumindest einen kleinen Teil vom Geist des anderen erreichen kann, nämlich die formale Korrespondenz von Zeigen und Sprechen. Das wird nun dadurch gerechtfertigt, dass diese Hypothese brechen kann, indem ich etwa feststelle, dass der andere etwas anderes meinte, indem er nämlich seine aus der Intuition gefolgerte Begriffsbildung erklärte und damit deutlich macht, was er unter dieser Sache genau versteht, woraus sie sich bezieht etc.

Wir haben hier also eine Wiederholung der Begriffsbildung als diskursiver Prozess, in dem ich also die Schritte, die ich zuvor meinem eigenen Bewusstsein gegenüber getroffen habe, dem anderen erläutere, um sie dadurch erst verständlich zu machen. Diese Schritte sind:

  1. Unverständnis, Schweigen, Ausdruck der Fremdheit überhaupt
  2. Benennen des Zeigbaren
  3. Beschreiben der Eindrücke durch Bezüge auf andere Dinge vermittelst Namen
  4. Eingrenzen der Eigenschaften einer Sache durch Affirmation und Negation
  5. Unterscheiden von etwas anderem durch Angabe der sie unterscheidenden Eigenschaften
  6. Definition von Abstrakta durch solche Kontraste
  7. Anwenden von Abstrakta durch Angabe der Kontraste, die eine konkrete Sache an einer abstrakten Eigenschaft teilhaftig machen

Auf solche Art komme ich also, wenn ich nur die formale Korrespondenz des Zeigens und Sprechens annehme, zu einer formalen Korrenspondenz aller empirischen Begriffe, insbesondere der abstrakten empirischen Begriffe, die also, im Gegensatz zu den transzendentalen Begriffen (wie Selbstbewusstsein) oder zu den mathematischen Abstraktbegriffen (die ja auch als universelle Formen nichtssagender Sätze transzendental und damit subjektiv sind), jetzt auch wirklich objektive Begriffe darstellen.

Diese Begriffe sind aber nicht objektiv als solche existent, vielmehr gibt es nur eine objektive Existenz, der dann jeweils ganz viele subjektive Existierende entsprechen, die nämlich genau die Interpretationen der Erklärungskette nach dem jeweiligen eigenem Zeichensystem darstellen (indem man sie jeweils auf die eigene Be-Zeichnungs-Korrespondenz bezieht, und dadurch eine Korrespondenz der empirischen Begriffe eben auch nur in ihrem empirischen Gehalt, nicht in der Form ihrer Bildung im Bewusstsein vorliegt).

Aber objektiv sind sie nur unter der Voraussetzung, dass es eben dieses gemeinsame Zeichensystem der Übereinstimmung von Sinnen und Sprache gibt. Nur wenn der andere wirklich den Eindruck hat, dass wir beide gleichzeitig sprechen und zeigen, wird das System überhaupt irgendwie objektiv, da es ansonsten ja auf völlig falschen Voraussetzungen beruht. Ich kann das aber nur feststellen, wenn ein Missverständnis entsteht.

Missverständnisse können nun aber von verschiedener Art sein, die man genau unterscheiden muss:

  1. Ein Missverständnis im Gebrauch abstrakter Begriffe. Solche lassen sich durch Erläuterungen der obigen Form auflösen
  2. Ein Missverständnis über die Gleichzeitigkeit von Sagen und Sprechen, wo also der andere ein Wort einem falschen Eindruck zuteilt, der nur zufällig auftritt (wo man also das Akzidens der behaupteten Substanz mit der Substanz selbst verwechselt). Ein solches lässt sich nur durch eine größere Zahl an Beispielen und Bezügen zu abstrakten Begriffen (etwa: bezeichnet es eine Farbe, eine Stoff etc.) vermeiden. Natürlich ist es grundsätzlich problematisch, wo man hier anfangen soll, da hier ja die abstrakten Begriffe verwendet werden, die durch die konkreten Eindrücken zuallererst erzeugt wurden; aber es geht ja hier nicht um die Genese eigener Eindrücke sondern allein um die korrekte Zuordnung der eigenen zu den fremden Eindrücken, und hierbei erscheint mir das unproblematisch, wenn in beider Personen Kopf der Abstraktbegriff vor der Diskussion schon vorhanden war.
  3. Ein Missverständnis, in dem der eine denkt, dass die Gleichzeitigkeit zusammenbricht, der andere sie aber dennoch behauptet. So eines ist das schwerste Missverständnis, indem hier der eine glaubt, den anderen zu verstehen, der aber sieht, dass das nicht funktionieren kann. Die Auflösung eines solchen Missverständnisses kann nur dann kommen, wenn der eine dem anderen glaubhaft machen kann, dass tatsächlich eines vorliegt; dies etwa durch Schlussfolgerung auf einen Widerspruch, so dass der andere erkennen muss, dass er ihn nicht versteht.

Beachte allerdings, dass hierbei wirklich für einen der beiden einer dieser Eindrücke hervortreten muss: wenn beiden das Missverständnis nicht klar ist, verstehen sie sich, indem sie aneinander vorbeireden - und damit gibt es eigentlich kein Missverständnis. Es gibt keine unbewussten Missverständnisse, denn es gibt kein Verständnis, was über sein Bewusstsein hinausgeht, und eben darum kann es nicht weiter zurückweichen.

Das zeigt dann aber auch schon die Grenze dieser Methode: Ich kann hier nur feststellen, dass ich jemanden verstehe, wenn ich ihn auch missverstehen kann, wenn ich zu den Konsequenzen meines Verständnisses schreite; bin ich dagegen mit solchen Begriffen beschäftigt, bei denen man schlechthin niemanden missverstehen kann, da alle Aussagen über sie eben nicht empirisch, sondern rein transzendent sind (als transzendentale Begriffe, wie Güte, Wahrheit, Gerechtigkeit, das Selbst), so kann ich mir in keiner Art sicher sein, den anderen zu verstehen, und kann hier allein durch die Methode der transzendentalen Notwendigkeit ein in jedem Subjekt steckendes Dinge ausfindig machen, ohne aber je sicher sein zu können, dass diese auch nur irgend etwas miteinander zu tun haben.

Damit stellt diese Art der Kommunikation eine hypothetische, fallible Methode dar, die somit selbst als erster Akt des wissenschaftlichen Handelns begriffen werden muss: Spracherwerb ist für jeden das erste Forschungsprojekt. Auf diesem Fundament muss dann alle Wissenschaftlichkeit aufbauen, die inhaltliche Aussagen trifft.

Nun ist es ja nicht verwunderlich, dass eigentlich alle Wissenschaften einen Gegenstand haben, den man konkret bezeichnen könnte, als: Materie, Leben, die Erde, die Gesellschaft oder die Geschichte, bei denen also immer ein Zeigen auf etwas (seien es physikalische Dinge oder menschliche Zeugnisse) möglich ist. Darum eben sind sie objektive Erkenntnis; dagegen ist Mathematik in ihrer reinen Abstraktion und Metaphysik, Moral und eigentlich Philosophie überhaupt eben keine objektive, sondern subjektive Erkenntnis. Zwar versuchen wir, unsere Gegenstände nicht einfach aus subjektiver Erfahrung, sondern aus kategorischer Notwendigkeit heraus zu konstruieren, erhalten hierin aber immer noch jeweils eine Form der Subjektivität, wenn wir auch die Erkenntnis haben mögen, dass der von uns untersuchte subjektive Inhalt zum Denken überhaupt schlechthin notwendig ist.

Eine Sache, die ich hier noch besonders betonen will, ist dass die objektive Existenz, die die Wissenschaft untersucht, nicht einfach nur eine objektive Version der subjektiven Eindrücke ist, sondern etwas für sich stehendes anderes. Gerade weil es ja eine formale Korrespondenz ist, keine materiale (als es nur so ist, dass gleichzeitig mit mir auch der andere den Eindruck hat, dasselbe zu sehen und zu sprechen, nicht aber wir beide wirklich den selben Eindruck haben könnten, oder über dessen Form hinaus auch nur irgendetwas darüber aussagen könnte), kann ich dieser objektiven Existenz ihre separate Wirklichkeit nicht vermeinen, und muss sie darum auch von der Existenz der Sache für sich unterscheiden. Zusammengefasst:

(Die letzte Behauptung wird im nächsten Abschnitt zu überprüfen sein)

A5 - Die Vollständigkeit dieser drei Erkenntnisarten

Betrachten wir also, was wir bei der Untersuchung der Erkenntnisfähigkeit geleistet haben. Wir haben vier Erkenntnisarten, nämlich Intuition, Gegenstandsbildung, Subjektivität und Objektivität, in ihrer Möglichkeit zur Erkenntnis untersucht. Dabei haben sich drei Arten von Existenz ergeben, nämlich die Existenz einer Sache für mich (Unmittelbarkeit der Anschauung), die Existenz einer Sache für sich (die Göttlichkeit als Ergebnis der Phantasie) und die Existenz einer Sache für uns alle (Objektivität in der Gemeinsamkeit des Bezeichnens). Sind damit aber bereits alle Erkenntnisvermögen ausgeschöpft?

Angenommen, es gäbe eine Aussage, die ich mir denken könnte, die durch keine der dargestellten Möglichkeiten zu erkennen wäre, die ich aber trotzdem, auf andere Weise erkennen kann. Offenbar kann sie nicht aus ihrer Existenz allein schon wahr sein, denn ansonsten wäre sie eine intuitive Aussage; sie kann ebenfalls nicht etwas sein, was sich auf eine konkrete Begriffsbildung in mir oder mit den Bedingungen zur Möglichkeit aller Begriffsbildung überhaupt beschäftigen; da ich aber einen Begriff brauche, kann sich dieser Gedanke nicht auf mich selbst beziehen sondern muss selbst jenseits aller Begrifflichkeit liegen. Und schließlich darf sie auch nicht auf einer Übereinstimmung mehrerer beruhen. Also muss sie

  1. in ihrer Wahrheit überprüfbar
  2. trans-subjektiv
  3. aber auch nicht inter-subjektiv
sein. Eine solche Aussage scheint mir wirklich nicht zu existieren, da alle Aussagen sich ja entweder auf mich oder auf andere beziehen; wäre eine Aussage nicht inter-subjektiv, aber auch nicht nichtssagend, müsste sie ja subjektiv sein (als nichtssagende Aussage wäre sie dass ohnehin noch mehr, da sie dann durch die Logik direkt auf die Subjektivität geht). Damit also kann es eine solche Aussage nicht geben, und damit ist dieses Modell vollständig.

Nun hängt dieser Beweis natürlich sehr daran, dass mir keine solche Aussage zu existieren scheint; in dem Sinne ist also besser zu sagen: Für alle, denen keine Aussage derart erscheint, ist dieses System vollständig (und denen auch genau so lange, bis eine solche erscheint).

B - Das Problem der Wertgebung

Wir wissen also jetzt, was wir wissen können, woher wir Erkenntnis über die Dinge für mich, für sich und für uns erwerben können und inwiefern sie falsch sein kann. Das aber ist noch gar keine Antwort auf unsere Frage, vielmehr nur der Ausgangspunkt, um sie überhaupt beantworten zu können.

Unsere Ausgangsfrage war: Warum will ich überhaupt etwas und nicht vielmehr meinen Tod?, und wir haben ja oben schon das Problem gesehen, dass letztlich kein Wert auf einen anderen Wert verweisen kann, ohne widersprüchlich zu sein, dass wir also den Wert einer Sache aus dem Faktum ihrer Existenz zu ergründen haben, nicht aus ihrer Wirklichkeit in der Art, wie sie ist. Aber wie kann etwas in seinem Wesen wert sein? Wie kann auch ich selbst denn in meiner Existenz wert sein - d.h. gerade nicht in irgendwelchen Qualitäten oder Eigenschaften - wenn ich doch mein Wesen überhaupt nicht erfassen kann?

Ich weiß ja schon, dass ich mich selbst eigentlich nur darin begreifen kann, dass ich mich nicht verstehe; also kann es auch nur das sein, woher ich meinen Wert begründen kann. Nun gilt aber dasselbe auch für jede andere Sache; denn insofern ihr Wert allein in ihrer Existenz für sich selbst genommen liegt, kann einzig wert sein, was sie eben für sich ist (d.i. nicht ihre Erscheinung für mich - denn dass wäre schon wieder eine Eigenschaft - und auch nicht ihre objektive Existenz - denn deren Wert für einen Wert in den Intuitionen voraussetzen - sondern einen Wert nur darin, dass es ist). Insofern muss ich also, um irgendetwas als Wert ansehen.zu können, dieser Sache selbst eine Perspektivität geben, die sich selbst Wert zuspricht - was aber genau das Problem ist, was wir erst noch lösen müssen. Wie also kann Selbstentfremdung wertvoll sein?

Um diese Probleme zu lösen, muss ich hier auf den Begriff des Göttlichen zurückkommen. Es mag zunächst seltsam erscheinen, aber für mich ist eben diese Frage - was ist der Wert in der Entfremdung von sich selbst und allem anderen - genau die Frage, womit sich die Theologie eigentlich befasst. Was für sich selbst genommen wert ist, ist selbst ein Gott - darin liegt seine Göttlichkeit. Mein Ziel ist nun zu zeigen, dass jede Sache selbst, als Sache überhaupt genommen, eben so etwas ist, d.i. dass jede Sache eine causa sui ist, dass also eine polytheistische Theologie nicht nur möglich, sondern allem Denken überdies absolut notwendig ist. Um dieses Ziel deutlicher werden zu lassen, muss ich aber zunächst meine Betrachtung der monotheistischen Theologie voranschicken, da man wohl erst dadurch erkennen kann, was ich verändern will (als ja unter diesem Namen alles mögliche verstanden wird).

B1 - Gegen den Monotheismus

Der Kern des Monotheismus (so er überhaupt sich in Begriffe zu fassen gedenkt, aber nur über derartige Aussagen lässt sie ja überhaupt streiten), ist doch wohl:

  1. Dass es ein einziges Prinzip der Göttlichkeit gibt
  2. Dass dieses Ursache der Welt ist, also Schöpfer (oder zumindest Schöpfer der Seelen)
  3. Und dass es damit auch der Urgrund des Guten ist, also Erlöser und Wertgeber

Ungeachtet der verschiedenen theoretischen monotheistischen Konzeptionen, von Xenophanes bis Spinoza, gilt das doch in allen als der Kern des monotheistischen Glaubens.

Um also den Monotheismus zu übeprüfen, betrachten wir die Konsquenzen, die sich nun unmittelbar daraus ergeben:

1. Ein Grund für den Wert der Welt wird (den allein wir ja hier zu besprechen haben, schließlich geht es ja hier nicht um eine kosmologische Frage) hier in der Ursache der Welt gesucht, sie soll also wert sein, weil sie erschaffen wurde. Also wird hier Wert als eine Bewertung in einem Rahmen der Welt begriffen (d.i. Wert für etwas anderes, letztlich der Wert für Gott)

2. Was nach dieser Bewertung nichts wert ist, kann eigentlich also nicht existieren. Darum ist Plotin hier auch am konsequentesten, wenn er das Böse als Nicht-Sein bezeichnet: Wenn die Ursache der Grund des Werts ist, kann eine Sache nur dann wertlos sein, wenn sie keine Ursache hat, d.i. wenn sie gar nicht existiert. Ansonsten brauchen wir eine zweite Ur-Ursache, die alles schlechte verursacht, also einen Antigott. Beide Prinzipien laufen aber darauf hinaus, dass nur aus den Ursachen-Zusammenhängen Wert entsteht.

3. Damit hängt dann zusammen, dass es nur eine Art des Wertes geben kann, da dieser Wert eben nichts ist als die Abstammung vom höchsten, und damit auch überhaupt nicht individuiert werden kann, es muss also alles auf dieselbe Art wert sein (etwa in seiner Vollkommenheit des Daseins (Plotin), in seinem Leiden (Christentum) etc.)

Das aber sind Konsequenzen, die gegen alles verstoßen, was wir uns mit unserer Frage überhaupt gestellt haben! Unsere Frage war doch, wie ich überhaupt meinen kann, etwas sei wert, ich könne etwas wollen; aber hier wird nun das Wert-Sein überhaupt als Ursache ihrer Existenz gestellt, so dass in allem der Wert eben durch das Wert-Sein erst entstehen kann.

Aber dieser absolute Wert kann doch nichts anderes sein als das Ergebnis einer Begriffsbildung, an deren Anfang die Kontraste guter und schlechter Dinge lagen, denen man nachher dann Göttlichkeit oder Abgöttlichkeit rückwirkend zuschreiben kann (so sicher wie sie selbst am Prozess der Entstehung von Gott beteiligt waren). Aber das setzt ja genau jenen Kontrast von Gutem und Schlechtem voraus, dessen Existenz wir hier eigentlich erstreiten wollten, so dass der ganze Prozess sehr fragwürdig erscheint.

Es geht also nicht an, die Göttlichkeit als solche selbst als Ursache des Wertes der Dinge zu setzen, da wir schon immer in den Dingen jenen Wert brauchen, den alleine wir ja als Ausgangspunkt zur Anschauung des Göttlichen wählen können. Selbst wenn es das Göttliche überhaupt als objektive Ursache eines objektiven Wertes gäbe, so wäre damit ja noch nicht der subjektive Wert erklärt, da wir ja Gott nur in der Moral und nicht die Moral in Gott erkennen können, schließlich können wir nicht seine Gedanken lesen. Damit also ist der Monotheismus mit unserem Erkenntnisprozess unvereinbar, und wir müssen feststellen: Selbst wenn es Gott gibt, dann es müssen die Dinge selbst doch Götter sein, die Gott zu Gott machen; und damit kann der allumfassende Gott aller Göttlichkeit nicht der einzige sein, sondern nur aus allen anderen als Abstraktion gebildet werden.

Also muss es einen solchen Wert geben, eine Göttlichkeit, die in den Dingen schon drin steckt, bevor wir nach Gott als Göttlichkeit der Welt überhaupt fragen. Worin aber besteht dieser Wert? Was macht die Sachen als solche zu Göttern?

B2 - Die Erkenntnisart der Göttlichkeit überhaupt

Bevor wir aber das beantworten können, müssen wir fragen, welche Sache überhaupt hier gemeint ist, d.i. in welchem Modus der Existenz wir überhaupt nach Wert fragen können. Ist der Wert einer Sache der Wert für mich, für sich selbst oder für uns alle?

Zunächst ist recht deutlich klar, dass Wert nicht Wert der objektiven Existenz sein kann, da sonst die Wertgebung selbst objektiv sein müsste, d.i. in der objektiven Existenz selbst stattfindend. Denn alle objektive Existenz ist ja an die Erscheinungen gebunden, und an ihre Verknüpfung in der Korrespondenz, die gleichfalls nur hypothetisch ist; wäre also Wert hierin, so müsste jeglicher Wert völlig hypothetisch sein, was aber dem kategorischen Anspruch der Göttlichkeit überhaupt nicht entspricht.

Nun ist also die grundlegende Frage: Ist Wert der Wert der Erscheinung einer Sache oder der Sache an sich selbst? In diesem Punkt ist es nun, wo sich zwei Möglichkeiten des Wert-Seins voneinander abspalten:

1) Das Wert-Sein in der Erscheinung als Wert für den, dem es erscheint. Jener Wert ist also für jeden einzelnen anders definiert, nämlich immer in bezug auf seine jeweilige Erscheinungsform; auch kann sie darum nicht auf eines anderen Erscheinungen angewandt werden, und schon gar nicht auf das Selbst, da jenes ja nie erscheint, als es selbst das Prinzip der Möglichkeit von Erscheinungen überhaupt ist. Dieser Wert also leitet den Wert aller Dinge auf ihre Existenz als Seiende im Denken zurück, sodass einzig der Fakt, dass ich sie denke, sie auch wert macht; hierin also ist ein monotheistischer Ansatz möglich und auch notwendig, der den Wert als solchen von den Erscheinungen herausnimmt, ihm alle objektiven Beilegungen abstreift, und ihn letztlich zum einzigen eigenen Gott des Denkens macht - dem Willen.

2) Das Wert-Sein des Denkenden in dem Bewusstsein seiner Selbst, also der Wert eines jeden in Bezug auf sich selbst. Darin ist nun der Wert der Dinge nicht mehr Angelegenheit von mir, der sie sieht, sondern von ihnen selbst, so sie sich denken; es ist ihr Bewusstsein alleine was Wert ausmacht. Dagegen haben nun die Gedanken selbst keinen Wert an sich mehr, insofern sie ja nur Erscheinung sind, und gerade kein Bewusstsein ihrer selbst.

Nun sehen wir aber, dass sich diese beiden Arten von Wert dual zueinander verhalten: Jede Sache ist wert für mich in der Erscheinung, sofern ich sie denke, außer mir selbst; ich selbst bin mir dagegen nur Wert im Bewusstsein meiner Existenz und meiner Fremdheit, und überhaupt nicht in irgendeiner Erscheinung. Ebenso ist es nun aber für andere: Jedem ist das andere als Erscheinung, das Selbst aber nur in seiner Denkbarkeit etwas wert. Somit hat jede Sache einerseits Wert für sich selbst, andererseits aber auch Wert für alle anderen, die Wert in die Erscheinung legen. Wie aber passt das zusammen?

Ich denke, dass beide Wertbegriffe durchaus zusammen funktionieren, wenn man folgende Verknüpfung vornimmt:
Jede Sache ist für mich wert darin, dass sie für sich wert ist.
D.h.: Den Wert einer Sache als Erscheinung lege ich genau in die Tatsache, dass die Sache, die hinter der Erscheinung steht, selbst einen Wert in ihre eigene Selbstentfremdung hat legen müssen. Ich finde etwas wertvoll im Bewusstsein ihres eigenen Selbstwertes.

Das erscheint mir die einzig sinnvolle Möglichkeit, da ich sonst zu jeder Sache genau so viele verschiedene Werte ansehen müsste, wie es Denkende gibt; und das erscheint mir doch höchst gewagt. Natürlich ist diese Vielzahl von Werten weiterhin vorhanden, sie geht nicht faktisch verloren, aber sie ist dann eben kein kategorischer Wert mehr, keine Göttlichkeit, da ja der eigentliche Wert einer Sache eben nicht begründet sein kann. Jener Wert, so man ihn den überhaupt so nenne mag, den man gewöhnlich als Nützlichkeit bezeichnet, ist eben darum auch kein eigentlicher Wert, dass man ihn nur zu einer anderen Sache als Zweck verwendet; aber das kann eben kein Wert sein, da sich echter Wert (d.i. ein Grund zum Handeln, ein Ursprung von Wollen) nur selbst begründen kann, da er sonst widersprüchlich wird.

Eben darum ist Nützlichkeit aber eigentlich nicht nur ein falscher, sondern gar kein Wert. Denn warum tue ich etwas um etwas anderes? Doch wohl, um jenes zu erreichen; aber damit muss ich doch nicht nur dem Ziel einen Wert an sich zusprechen (so es denn so ein Ziel ist; wenn es kein solches Ziel ist, wähle man das Ziel dieses Zieles hier als Ziel, dem Beweis tut das keinen Abbruch); ich muss doch mindestens auch sagen, dass das Erreichen des Zieles selbst wertvoll ist. Aber um das Erreichen zu bestimmen, muss ich doch eben jene Mittel angeben, und damit erhalten jene Mittel auch selbst einen Wert an sich, der sodann nur an den Wert aus Existenz gebunden sein kann, also nur an die Übereinstimmung des Wertes für mich und für sich.

Deshalb halte ich die häufige Beobachtung, dass in den letzten Jahrhunderten sich Geld, Medien und Technik vom Mittel zum Zweck aufgeschwungen haben, in seinem grundsätzlichen Ansatz für falsch: Geld war immer schon Zweck, nicht allein Mittel, da man es nicht nur für wert ansehen musste, was man kauft, sondern auch, dass man es mit Geld kauft, da man sonst den Schritt von Zweck zum Mittel nicht nehmen konnte; aber schon die Annahme, dass Geld ein gutes Mittel ist und darin einen Wert besitzt, macht doch Geld schon zum Wert an sich, allein aus seiner Existenz (nämlich eben aus seiner Existenz in Form des Zweckes), so dass die Vergötterung hier nichts ist, was dem Mittel äußerlich ist und es schließlich zum Zweck macht, sondern vielmehr vorausgesetzt wird, um überhaupt Mittel sein zu können; dass also jedes Mittel selbst ein Zweck in seinem Dasein als Mittel sein muss, um überhaupt als Mittel zu einem anderen Zweck verwendet werden zu können.

Darin kann ich dann auch den Monotheismus nur in einer revidierten Form akzeptieren: Es mag gewiss einen Wert geben, der über allen anderen Werten steht, nämlich das Wert-Sein überhaupt, aber dieser Wert erfordert eben jene anderen Mittel, die ihm Wert geben (wie gewisse moralische Gesetze, natürliche Schönheiten etc.); also kann dieses Wert-Sein nur dann eigentlich wert sein, wenn es anderes wertvolle schon vorher gibt. Gott ist damit nur durch die Götter des Pantheons überhaupt Gott, er überwindet sie nicht, er vereinigt sie eher in einer Abstraktion ihrer Göttlichkeit überhaupt. Ich kann Gott nicht verehren, ohne auch Apollon, Osiris oder Odin zu verehren, da Gott erst aus diesen Göttern seine Göttlichkeit gewinnt (und damit er ohne Zeus oder Odin zu sein auch einen wesentlichen Aspekt seiner Göttlichkeit verlieren würde). Jene Göttlichkeit ist also nicht grundlegend abstrakt, sie ist vielmehr aus jeder konkreten Form des Wertes der Selbstentfremdung eines Wesens abstrahiert worden, und damit also nur für den nicht fassbar, der diese Grundlage verliert. (Deshalb ist auch erkenntlich, warum der Monotheismus später immer mehr seinen Bezug zur Abstraktion verloren hat und ihn letztlich nur im Unwissen der negativen Theologie behielt, da er sich ja in seiner geschichtlichen Entwicklung immer mehr von Polytheismus entfernte, aber dadurch - eben weil er nun nicht mehr als Kontrast des konkret-göttlichen zum abstrakt-göttlichen des Gott-Seins überhaupt zur Verfügung stand - nun selbst heidnisch wurde, und immer mehr konkrete Rituale in die monotheistische Theorie einbrachte, wo doch für derlei Rituale gerade die konkreten Götter da sind, nicht das allgemeine Gott-Sein überhaupt!)

B3 - Konzeption einer Theologie der Selbstentfremdung

Damit ist also der Wert allein ein Wert für sich selbst, und also solcher überhaupt erst verständlich. Damit reduziert sich unsere allgemeine Frage auf folgende drei:

  1. Wie kann eine Sache überhaupt darin wert sein, dass sie sich über ihrer Selbstentfremdung bewusst ist?
  2. Wie kann ich davon wissen, dass eine andere Sache ihrer selbst entfremdet ist?
  3. Wie ist der Bezug einer Sache für sich zum Wert für mich? Kann eine Sache mir nicht auch darin wert sein, dass sie mir erscheint (und nicht, dass sie für sich ist)?

Die letzte Frage haben wir ja nur insofern aufgelöst, dass eine Sache eben nur dann für anderes als Mittel einen Wert besitzt, wenn sie für sich selbst schon einen Wert hat. Aber die Frage nach der Existenz dieses Wertes ist damit gleichwohl noch völlig ungeklärt, als ich ja auch bloßen Phantasien einen Wert für sich zusprechen könnte, so dass man hier eigentlich vom Wert ihrer Selbst nicht wirklich wissen kann. Eben darum muss ich die zweite Frage ja beantworten, da ich sonst hier völlig hilflos bin, und ohne die erste kann ich ohnehin keinen Wert für irgendetwas in sich selbst finden (da es sich selbst ja eben nur in seiner Entfremdung überhaupt wertgebend sein kann)

B3.1 - Der Unterschied von Denkend-Sein und Gedacht-Sein

Zur Frage a): Ist das Bewusstsein der Selbstentfremdung sinngebend?

Wie kann ich also den Sinn darin sehen, mich selbst nicht zu kennen? Diese Frage ist es also, die zuerst zu beantworten ist. Damit ich diese Frage etwas einschränken kann, so will ich hier denn auch durchgehend vom Selbstwert sprechen, da die Frage ja immer auf eine Perspektivität hin gestellt werden muss, und also diese Perspektivität selbst zum Thema des Sinnes wird, d.i. als Entfremdung, und eben darum die Frage in echter Form auch lautet: Habe ich Wert?

Zu dieser Frage sind zunächst zwei Möglichkeiten des Beweises offen: Zum einen, direkt zu demonstrieren, dass ich wert bin; zum anderen, die Möglichkeit des Wertes zu beweisen und dann zu versuchen, aus dem Faktum der Denkbarkeit des Wertes selbst auf seine Wirklichkeit zu kommen. Der erste Weg aber scheidet hier aus, da wir direkt nur einen Wert beweisen können, den wir schon mit Wert belegen, d.i. den wir erfragen können. Eben darum kann ich nicht einfach beweisen, dass ich wert bin, sondern muss das zuerst denken.

Wie aber kann ich denken, dass ich wert bin? Wo liegt mein Wert? Ich kann doch nicht einfach sagen: Dieses dort ist der Wert, zu dem gehörig ich die Tatsache meiner Existenz mir werthaft vorstellen will! Das wäre ja eine absurde Äußerung - oder wollte ich etwa wert sein als der Wert einer Sache? Sodann ist es ja auch völlig unmöglich, als ich mir ja gerade das bin, die Unmöglichkeit aller Veräußerung, aller Verdinglichung, als ich mir selbst als die Entfremdung von meinem Wesen nur überhaupt denklich bin. Wie aber soll sich ein Wesen, das sich nur in seiner Unbegreiflichkeit begreifen kann, dass nichts als wert ansehen kann, was es nicht sodenn als Wert denken kann (als darin allein auch der Maßstab objektiven Wertes ist, wie denn oben bei Mittel und Zweck bewiesen wurde), wie kann also eines, was sich nicht einmal als Ding denken kann, sich sodann als Wert denken? Wie kann ich sagen, ich bin etwas wert, wenn ich bin, dass ich nicht weiß, was ich bin?

Und doch - ganz kann ich ihn nicht von mir werfen, den Wert des Selbst. Es ist eine seltsame Beharrlichkeit, die mich dazu drängt, mehr um mehr einen Wert aufrecht zu erhalten, den ich doch eigentlich schon verloren habe, verloren mit allem, was der Identität sonst an Äußerlichkeit noch anhaften mag. Doch ich kann ihn nicht entbehren. Würde ich doch jenen Wert auch noch verlieren würde ich denn schreiben, denken, gar leben, warum würde ich denn irgendetwas wollen und nicht vielmehr meinen Tod?!

Das ist die verzweifelte Frage, die wir als Frage vor den Göttern formulieren müssen. Es ist nicht die Verzweifelung in der Annahme unseres Selbstwertes vor der Welt, woraus wir ihn gewonnen haben; es ist die viel verzweifeltere Frage, wie wir eigentlich angesichts unseres zutiefst sinnlosen Daseins überhaupt einen Wert in unsere Existenz legen können. Wie kann es eigentlich sein, dass wir uns nicht umbringen? Warum lebe ich, wenn mein Leben mir selbst doch die größte Zumutung ist?

Hier nun ist es, wo wir ansetzen müssen. Es kann nun nicht unser Ziel sein, diesen Schmerz, diese Sinnlosigkeit zu verneinen, wie es gewöhnlich geschieht, dass man sagt, man habe doch ein schönes Leben, es sei doch auch etwas gutes darin, Mensch zu sein, oder dergleichen. Nein, wir müssen das Verdikt der absoluten Sinnlosigkeit der Existenz erst annehmen, bevor wir Sinn aus ihr erheben können. Ich will nicht bloß leben, obwohl mir mein Leben eine Zumutung ist - ich will leben, weil es mir eine Zumutung ist!

Das Leben bejahen kann man nur als Masochist, als Masochist am eigenen Lebendig-Sein. Nur wer seine Art der Existenz nicht nur hinnimmt, sondern begrüßt, wer die Schmerzen seines Körpers nicht als Überschuss über dem geistigen Leben der Reinheit begreift, sondern das Geistige tatsächlich als Radikalisierung des Abgrunds jenes Schmerzes, der kann das Denken an sich auch mit Wert verbinden. Nur wenn mein eigener, körperlicher, kümmerlicher Schmerz mir zur Größe des Denkens gereicht, nur dann habe ich ein Bewusstsein meines Wertes auch über alles wirkliche hinaus!

Aber wie kann ich das wollen? Es mag mir nun klar erscheinen, dass so allein meine Bejahung mir je gelingen mag, aber wie kann ich mich derart bejahen? Wie kann ich den Schmerz selbst als ein Wollen begreifen, wenn er doch in sich nichts ist als die Ablehnung allen Wollens ist?

Der grundlegende Schmerz, mit dem die Zumutung doch schon beginnt, ist aber selbst schon intellektuell. Schon vor allen körperlichen Schmerzen, die diese Zumutung doch nur weiter fortsetzen, muss mir doch schon eines klar werden, was mir das seltsamste schon sein muss - ich kenne mich nicht.

Es ist aber doch der Urgrund der Welt, dass ich mich kenne! so mag ich denken. Doch eigentlich ist es das nicht. Es ist tatsächlich der Urgrund der Welt, dass ich kenne, was ich bin - aber das bin nicht ich allein. Ich bin nicht nur, was ich bin, sondern auch, was ich nicht bin, doch diese Seite bekomme ich doch niemals zu Gesicht. Gerade darin zeigt sich schon der eigentliche erste Schmerz, mit dem wir hier beginnen müssen, der Schmerz der Entfremdung seiner selbst. Ich sehe von mir nur mich selbst, nicht alles andere, und das andere ist dann selbst die Negation meines Sehens. Eben darum kann mir nur erscheinen, was ich bin, und nicht, was ich nicht bin.

Aber in dieser Art des Erscheinens tritt nun erneut eine Art des Erscheines auf, die sich selbst aufhebt. Ich sehe nämlich doch eben jenen Schmerz, ich sehe meine Entfremdung von mir selbst, dass ich niemals den Rand von mir sehe - und darin sehe ich doch wirklich den Rand meiner Selbst!

Ich sehe den Rand meiner selbst gerade in dem Schmerz, ihn nicht erreichen zu können. Und als jener Schmerz ist er mir immer bekannt. Es ist das Versagen aller Worte bei dem Versuch, die Welt als ganze zu bezeichnen - mit was als mit etwas in der Welt? Und doch kann ich den Versuch mit Worten bezeichnen!

Hier nun wird aus dem einfachen erkenntnistheoretischen Problem, wie wir es schon bei der transzendentalen Analyse des Selbst sahen, eine wirkliches Problem der Theologie: Ich kann mich eben nur in dem Schmerz erfassen, der meine Unerfassbarkeit ausdrückt.

Wer nun aber dies entweder verwirft und damit sich selbst wieder zum Sklaven seiner Identität macht, und glaubt, sich selbst zu kennen, wenn er dabei doch nur getrieben ist von seinem eigenen Wahn, sich zu kennen; und wer in der umgekehrten Bewegung glaubt, nur in der völligen Versagung aller Ideen an sich selbst Größe finden zu können, wer versucht, sich zu vergessen und mit Klängen und Düften sich über den Wahn des Wollens und Seins hinwegzusetzen; der aber versteht überhaupt nicht recht, was er dort erkannt hat. Denn er versucht doch immer noch, im alten Muster der passenden oder unpassenden Identität zu denken: Wenn ich ich selbst bin, dann kenne ich mich, also kann ich mir nicht versagt sein; oder: Wenn ich mich nicht kenne, bin ich nicht ich selbst, muss also doch entweder zurückfinden auf das, was ich eigentlich bin (oder wie es im Umgang heißt: Was mir authentisch ist), oder ich muss allem Dies-Sein gänzlich versagen, und selbst das Nichts werden (so wie es der heutige Buddhismus tut).

Die einzige konsequente Folgerung aber ist doch, beides als eines zu denken! Nicht ich bin ich, weil ich mich kennen würde - ich bin ich, weil ich mich nicht kenne! Nur wenn ich das eigentlich einsehe, dass jedes Selbstverständnis nur Selbstverhüllung ist, als der Hülle des scheinenden Seins der Dinge, und dass somit eine Selbsterkenntnis, eine Selbstenthüllung nur als Selbst-Missverständnis möglich ist, nur dann sehe ich mich überhaupt als verständlich an. Denn glaubte ich, ich müsste mich verstehen, um meine Taten zu verstehen - was für geringe Dinge bräuchten doch schon eine vollständige Ontologie! Ich kann aber nun, wenn ich mich selbst im Unverständnis verstehe, eben das auf andere Art lösen: Nicht mein Unverständnis schiebt meinen Wert vorbei, mein Unverständnis selbst ist Wert.

Hierin also zeigt sich, warum wir Masochisten unseres Lebens sein müssen: Wären wir es nicht, würden wir gar nicht verstanden haben, was es heißt, sich nicht verstehen zu können, da wir dann imer noch darauf beruhen würden, es gäbe eine Spaltung zwischen unserem Wert und unserem Unverständnis unseres Wesens. Aber ich muss eindeutig einsehen, dass jedes Verständnis meiner selbst ein Missverständnis ist, und dass es darin erst recht verständlich ist, und darum ist mir meine Zwietracht selbst Lebenswert - darum bin ich Masochist des Lebendig-Seins!

Hier nun ist auf den Gedanken zurückzukommen, dass das Selbst an sich eine werthafte Vorstellung ist. Ich kann nicht denken: Ich bin Etwas; ohne zu denken: Ich bin wert; (jene ist dann auch der Grund, als von meiner Wesenhaftigkeit in meinem Unverständnis auf meinen notwendigen Masochismus überhaupt zu schließen ist).

Denn wie ich in der Untersuchung der Erkenntnis bereits erklärt habe, hat das Selbst ja einen Willen an sich, den es überhaupt auch niemals verlieren oder nur verändern kann, als jener Willen selbst der Grund ist, zu fragen, was überhaupt ist. Jener Wille ist der Ausdruck von Neugier und Angst, von der Regung des Vorstellungsvermögens selbst.

Nun kann ich aber das Selbst eben nicht ohne eine solche Regung denken, und eine solche Regung kann auch nicht stattfinden, ohne ein Ziel zu haben, dass selbst dann den Kern der Frage nach dem Selbst überhaupt ausmachen muss. Wie aber soll ich dieses Ziel je finden?

Ich habe ja schon früher bemerkt, dass die Vorstellungskraft ja immer nur auf Dinge in ihrer Fremdheit gehen kann, da nur das denken einer Sache in ihrer Fremdheit überhaupt das Denken das Sache als Setzen der Intuition ist, der Rest ist sodann nur Begriffsbildung von Dingen, die im Denken selbst schon vorhanden gewesen sind, die als solche also nur durch einen Willen des Denkens, nicht aber des Betrachtens gelenkt werden kann; sie ist aber nur ersehbar in einer Art der Anschauung, die dann selbst die Konstruktionen des Denkens betrifft (als solche ja auch eine Form der Erzeugung von Intuitionen, als denn in der Darstellung der Mengentheorie ersichtlich), und kann daher Wert auch erst als solchen Wert der Intuition erhalten, die nur auf die Fremdheit einer Sache gerichtet überhaupt je Bestand hat.

Also muss das Ziel des Denkens als solchem, d.i. das Ziel der Neugier wie der Angst, eines sein, was auf Fremdes verweist, was über die Grenzen des Denkens selbst hinausweist. Aber damit sind wir bereits am Ziel: Ich sehe in meinem Weisen aus mir heraus den Wert, der mich antreibt, der mein Wesen ausmacht - eben weil er fremd ist, eben weil ich ihn nicht verstehe. Damit ist die Übereinstimmung des Wesens meiner Selbst und meines Willens gegeben;

  1. Ich bin, dass ich nicht weiß, was ich bin. (Das Selbst als Bekanntheit und Fremdheit zugleich - Wissen des Nichtwissens)
  2. Ich will, dass ich nicht weiß, was ich will. (Der Wille als Neugier und Angst zugleich - Wille zur Verwirrung des Willens)

Jene Sätze sind eben darum Ausdruck des transzendentalen Masochismus. Er drückt sich in der Lust nach dem Unwissen über den Willen aus, als der stärksten Form der Entfremdung des Denkens in sich überhaupt.

(Der Beweis wird hier auch wieder so geführt:
1. Ich kann nicht wissen, was ich will
2. Ich kann nicht wissen, dass ich nicht weiß, was ich will
=> Ich will, dass ich nicht weiß, was ich will

Die erste Prämisse beweist sich daraus, dass ich jedes Wollen bereits einem Grund unterstellen muss, jener ist nämlich das Ziel allen Wollens überhaupt, also die Fremdheit; jenes Ziel aber ist per definitionem unbekannt, kann ich also auch nicht wissen. Da es aber derart unbekannt ist, wäre auch hier dies einfach auszusprechen unwissbar, also muss ich es erneut verneinen, und gelange so, wie auch bei der Analyse meines Wesens, zu einer selbstbezüglich-selbstverneindenen Antwort.)

Ich begreife ja dieses Denken, mich selbst nicht zu kennen, denn auch mit dem Abgrund allen Schmerzes. Nicht zu wissen, was ich will, ist eben deshalb so grausam, weil ich dem gar keinen Grund je zuschreiben könnte - es liegt in mir selbst (Darin liegt auch das Wesen aller Angst). Nicht irgend etwas schmerzt mir, nicht eines, was ich bekämpfen oder umgehen könnte - es schmerzt mich das Dasein überhaupt, das Wollen, das Leben. Darin aber, jenen Schmerz selbst als Ziel des Lebens zu setzen - wie ich es eben getan habe und auch hoffe, in seiner Demonstrierbarkeit verständlich gemacht zu haben - darin liegt eine allgemeine Erklärung des Schmerzes als Ziel. Dies aber nicht im allgemeinen, d.i. in seiner konkreten Ausprägung als körperlicher Schmerz oder mentaler Stress, sondern eigentlich nur in seiner radikalsten Form - des Nichtwissens um den Grund des Schmerzes, und darum die Einführung des Grundes in den Schmerz selbst, und darum seine Ausdruck als Lust: Ich will, dass ich nicht weiß, was ich will!

Darum eben ist die Selbstentfremdung allein schon Ausdruck ihres Sinnes, als sie in ihrer Fremdheit das notwendige Ziel allen Denkens ist. Sie ist darum einzig das, was mir Sinn sein kann; und da mir die Unmöglichkeit eines solchen Sinnes gleichwohl nicht einleuchten mag (als er denn wieder nur auf die falsche Gleichsetzung von Sinn und Verständnis hinauslaufen müsse), so muss ich doch sagen: Insofern ich bin und denke und dadurch denken will, so bin ich mir selbst gerade darin wert, dass ich mich und meinen Willen nicht verstehe. Damit also ist die erste Frage beantwortet.

B3.2 - Fremdheit als Zeichen der Göttlichkeit

Zur Frage b): Worin erkenne ich fremde Perspektivität und ihre Entfremdung?

Nun habe ich zwar das ganze für mich wohl beantwortet, und kann also sehen, inwiefern jede für sich bestehende Perspektivität einen Sinn in ihrem Dasein haben muss (als Sinn ihrer und ihres Willens Entfremdung); aber wie kann ich denn jetzt sagen, diese Sache dort hat einen Sinn in ihrem Dasein? Wie kann ich sagen: Jenes dort hat ein Selbst, ist ein Sinn, hat für sich genommen Perspektivität? (Auf die Unterscheidung, ob es ein Selbst hat oder ist, kommt es mir hier nicht an, da eine solche nur zwischen dem Selbst als Unmittelbarkeit vor und nach dem Eindruck derselben unterscheiden kann, und es hier ja gerade um eine erkannte Selbst-heit geht, die allein ja einen Wert in das Selbst des anderen legen können, als der Wert des anderen ja nur dem anderen transzendental, mir selbst aber sodann transzendent erscheinen muss; und insofern ist es nur dann ein Sinn, wenn es ein Selbst hat, nachdem es das schon ist)

Um in etwas anderes eine Perspektivität anzunehmen, kann ich mich zuallererst nicht auf irgendeinen Eindruck meiner Selbst verlassen, denn jeglicher solcher Eindruck ist immer Gedacht-Sein, niemals Denkend-Sein. Alles Gedacht-Sein aber ist keine für sich bestehende Entfremdung, sondern im Gegenteil eine für mich bestehende Aneignung, in der ich das Fremde (was mir nur als unklare Erscheinung, als Name wirklich zu fassen ist) in seiner Fremdheit mir zueigne, als ich ihm einen Namen gebe. Dies aber ist dann nicht der Wert, den ich suche, als ich es ja bin, der benennt, und nicht die Sache selbst, aber wir doch einen Wert hier selbst in der Perspektivität der Sache (und nicht bloß in der Möglichkeit des Sehens in anderer Perspektivität) ergründen wollen.

Wie aber sehe ich, dass ein anders für sich ein Denken ist? Ich kann ihm doch niemals einfach in das Denken hineinblicken, als mein Blick es ja eben nicht mehr sein Denken sein lassen würde; eben darum aber kann ich doch nicht erkennen, dass es ein anderes Denken ist. Wie aber kann ich dann annehmen, dass ein anderes für sich ein Denken ist? Wie kann ich überhaupt annehmen, der andere habe ein Bewusstsein?

Es geht hier um nichts geringeres als die Abweisung des Solipsismus, der doch immer als Möglichkeit offen zu stehen scheint. Und doch: Wie könnte ich ihn ablehnen? Es erscheint doch gerade so einsichtig, dass nur mein Denken ist, als es nur das ist, was mir je erscheinen wird, was einzig also in sich selbst besteht. Es scheint mir unmöglich, in irgend einem anderen Denken mir nur den kleinsten Sinn zu erkennen, so jenes andere Denken sich selbst ja nur sinnhaft ist, als es doch nur sich selbst als Bewusstsein wirklich näher kommt; aber wie kann ich das Andere wirklich als Selbst erkennen, wenn ich es nicht denken kann?

Ich selbst aber bin mir doch schon fremd! Wenn ich schon Probleme mit der Erkenntnis des Bewusstseins des anderen habe - welch größeren Probleme müssen dann in meinem eigenen Streben noch verborgen sein. Ich bin mir doch im Wesen selbst fremd, das bedeutet es ja, dass ich bin, dass ich nicht weiß, was ich bin, und darin allein verstehe ich mich doch. Und dann, wie kann ich dann selbst wissen dass ich ein Selbst habe? Unzweifelbar ist es mir be-wusst, aber habe ich es auch ge-wusst? Ist mir mein Selbst selbst als Perspektivität denn sinnhaft, wenn ich dieses Selbst nicht einmal verstehen kann, und damit selbst als Perspektivität auch nicht recht fassen?

Aber eben das Problem war es doch, was wir eben gelöst haben. Ich bin mir wert, weil ich meinen eigenen Willen nicht verstehen kann, weil ich will, dass ich nicht weiß, was ich will - und eben darum in meiner Entfremdung meinen größten Wert erkenne.

Darum eben aber kann ich das Problem des Fremdpsychischen umdrehen: Nicht, obwohl ich nirgends die Gedanken anderer auch nur irgendwie einsehen kann, mag ich trotzdem an der Vorstellung der fremden Subjektivität festhalten, um sie in der objektiven, wissenschaftlichen Untersuchung der Gegenstände weiterhin nutzen kann, gleichfalls als regulative Idee - nein: Eben weil ich nicht weiß, wie der andere denkt, eben weil ich nicht in den Kopf des anderen hineinblicken kann - eben darum ist er ein Selbst! Denn Subjektivität ist, das Wesen in die Unwissenheit seines Wesens zu setzen, und eben darum ich vom anderen nie wissen kann, was sein Wesen ist, so muss ich ergänzen: Dieses ist Subjektivität, weil ich es nur in Fremdheit erkenne! Ich verstehe die Subjektivität des anderen also nur darin, dass ich in meiner Entfremdung zum Anderen (die Unfähigkeit, es zu verstehen, eben weil es von mir abgeschlossen ist), nichts anderes sehen kann als dessen eigene Abgeschlossenheit zu sich selbst. Anders ausgedrückt:
Ich verstehe dich darin, dass auch du dich nicht verstehst - Ich verstehe dich gerade darin, dich nicht zu verstehen
Doch damit habe ich eine Möglichkeit zur Annahme des Selbst gefunden. Ich verstehe damit eben alles darin, dass es mir fremd ist, und begreife diese Fremdheit fortan nicht mehr als Abstand zu Sache, sondern als ihre eigentliche Nähe. Insofern kann ich eigentlich etwas vor allem darin missverstehen, dass ich vorgebe, es zu verstehen - und darin daneben liege.

Das ist auch der Grund für die falsche Stellung der Empathie. Ich kann eigentlich kein inhaltliches Mitleid für irgend eine Sache in der Welt aufbringen, da ich ja sonst den absurden Anspruch aufstellen würde, ich verstände den Anderen in seinem Leiden. Nein, ich muss es viel radikaler formulieren: Ich verstehe, dass auch der andere sich selbst in seinem Leiden fremd ist und vor sich selbst erzittert. Das ist eigentliches Verständnis, als es die Entfremdung selbst miteinschließt, und insofern allein eine universale Verständlichkeit wird aufbauen können - als der andere vor sich selbst doch immer wird schwinden müssen.

Nun ergibt sich hieraus aber das Problem, dass ich jedem anderen, fremden Dasein also ein Selbst zusprechen muss, insofern es ein Fremdes ist. Ich kann nicht einfach sagen: Dieses Nichtverstehen einer anderen Sache ist jetzt schon und jetzt nicht das Nichtverständnis ihrer Selbst; nein, es muss ein tieferes Prinzip hier sein, was sagt, welches Unverständnis des anderem einem Selbst-Missverständnis entspricht. Woher kann aber ein solches Prinzip kommen?

Es muss doch stets ein willkürliches Prinzip bleiben. Wie kann ich denn sagen, dieses ist menschlich, und sei darum psychisch - oder dieses sei lebendig, und sei darum denkfähig - wenn ich doch in dieser Definition entweder im Begriffe des Lebens schon das Denken miteinschließen muss (und darum nur einen anlytischen und niemals einen synthetischen Satze hervorzubringen imstande bin), oder ich ihn völlig von außen dazulege, was aber keine Antwort auf das Prinzip ist, sondern genau das Problem, was wir durch das Problem zuallerst in den Griff bekommen wollten - nämlich ob und wo das möglich sei.

Das zeigt sich dann auch schon darin, welch verschiedene Vorstellungen darüber existieren,.wie weit dieses Verständnis der Entfremdung reichen kann. Der Solipsismus verneint es ganz, außer auf das Selbst; der Humanismus schreibt es nur den Menschen zu; schließlich schreibt es der Schamanismus noch den Geistern zu; und der Pantheismus schließlich schreibt es allem zu (auch wenn er hier häufig falsch versucht, einen Gott hinter den Werten der Selbstentfremdung zu sehen, was, wie wir gesehen haben, völlig unmöglich ist). Wie aber können wir das überprüfen? Es sind hier sodann einige Dinge klarzustellen, bevor wir uns entscheiden:

a) Die Frage, ob eine Sache eine Perspektivität hat oder nicht hat nicht den geringsten Einfluss auf ihre phänomenale Wahrnehmbarkeit, d.i. ihre Erscheinung als Fremdheit und Einordnung innerhalb der Stufen der Begriffsbildung, noch auf die objektive Existenz in anderen Perspektivitäten. Denn die Behauptung der Pespektivität kann auch nur die Sache als solche betreffen, und nichts darüber hinaus. Also kann ich überhaupt nicht subjektiv oder objektiv widerlegen, ob eine Sache wahrlich Perspektivität besitzt, da ich alles subjektive immer als bloße Erscheinung und alles objektive bloß als biologischen oder physikalischen Mechanismus abtun kann (wie es denn auch in der Untersuchung von Geisterwesen und Gehirnen zuhauf getan wird). Das aber ist kein Beweis der Falschheit, sondern nur die Erkenntnis, dass es sich schlichtweg nicht um eine Frage der Erkenntnis handelt - sondern um eine des Glaubens. Kann ich also an den anderen glauben, kann ich glauben, dass er denkt? ist darum die eigentliche Frage nach dem Wesen der Subjektivität.

b) Das gilt insbesondere auch für Gegenstände. Ebenso, wie wir bei Menschen aus dem biologischen Mechanismus nicht herleiten können, dass sie denken, kann ich aus dem physikalischem Aufbau von Steinen nicht herleiten, dass sie keine Perspektivität besitzen. Ich weiß schlichtweg nicht, wo Perspektivität je enden könnte, eben da alle Prinzipien immer willkürlich bleiben.

c) Damit es so etwas geben kann wie objektives Wissen, brauche ich eine andere Perspektivität. Denn ansonsten gäbe es nur meine Sicht auf die Welt, und jeglicher Versuch, die Welt anders als aus meinen Gedanken allein verstehen zu wollen, erscheint sodann völlig sinnlos.

Wenn wir also auf die letzte Bemerkung gehen, so müssen wir doch sehen, dass wir hier eigentlich nur zwei Möglichkeiten haben, wenn wir denn konsequent bleiben wollen:

1. Wir lehnen die Perspektivität des anderen völlig ab und werden Solipsist. Als solcher sind wir dann zwar die merkwürdige Vorstellung einer Perspektivität außerhalb der anderen Perspektive los, aber wir verlieren auch gleichzeitig alle Vorstellungen eines objektiven Weltbildes, was aus der Korrespondenz verschiedener Perspektiven einen Sinn bekommt. Wir sind also das Problem los, aber auch alle Objektivität.

2. Oder wir nehmen die Perspektivität des anderen völlig an und behaupten, dass selbst Gegenstände eine für sich bestehende Perspektivität haben. Damit erhalten wir Objektivität, wir lösen das Problem des Fremdpsychischen - wenn auch auf völlig formale und recht inhaltsleere Weise - und können damit erstmals der Theologie einen wirklichen Ort in unserem System zuweisen: Sie ist die Untersuchung des anderen als Perspektivität für sich, d.i. in seiner Göttlichkeit als Wert seiner Selbstentfremdung.

Beide Perspektiven erscheinen sinnvoll, zumal wir eigentlich nur in je einer den Zentralbegriff eines ganzen Erkenntnisbereiches unseres Denkens retten können, nämlich das Selbst (im Solipsismus) und die Welt (in der Objektivität). Wie also können wir hier überhaupt auf eine befriedigende Antwort kommen?

Ich glaube, dass Problem ist hier, dass das Wesen der Existenz hier als gleichförmig vorausgesetzt wird. Wenn ich sage: Nur ich und mein Denken existiert; so habe ich damit sicher recht, solange ich eben nur von der Existenz in meinen Erscheinungen spreche; sage ich dagegen: die Perspektivität des anderen existiert; so ist das ebenfalls richtig, wenn ich hier die Existenz eben nicht als Erscheinung verstehe, sondern als formale Denkbarkeit und Notwendigkeit zur Objektivität. Es gibt hier also, wie schon vorher herausgestellt, drei Existenzbegriffe:

  1. Es ist für mich (Erscheinung)
  2. Es ist für sich selbst (Perspektivität)
  3. Es ist für uns alle (Objektivität)

Offenbar ist also das Problem bei der obigen Frage, dass sie in der einfachen Form (gibt es Perspektivität des anderen) gar nicht berücksichtigt, dass der Begriff der Existenz selbst nicht univok, sondern äquivok ist, und hier anzugeben ist, auf welche Art es denn existieren solle; dass aber im Begriff der Existenz allein (als sie das Perspektiv-Sein immer mit einschließt in der Formulierung, dass existiert für mich) überhaupt keine Möglichkeit hat, das so einfach zu verneinen, wenn man denn nicht sagen wollte, dass für die Sache selbst schlicht nichts existiere. Damit aber sind die beiden obigen Positionen keine Gegensätze, sondern bilden erst zusammen ein sinnvolles Weltbild, also:

Für mich bin ich alles, für sich ist jede einzelne Sache aber auch je sich selbst alles, und eben dadurch existiert die Perspektivität des Denkenden als Korrelat des Gedankens jeder Sache immer mit, als ich bei jeder Sache sagen kann: Dies ist sich selbst alles. Damit ist der Solipsismus darin bestätigt, dass alle diese Korrelate nur subjektive Hypo-Thesen sind, in denen das Sein für andere unter das Denken für mich gestellt wird, während dagegen für den Glauben diese Unter-Stellungen schon selbst genug sind, ja alles darüber hinaus schon versuchen würde, Götter zu beweisen, anstatt sie zu verehren, sodass ich auf diese Weise beides annehmen muss (man mag das also objektivierten Solipsismus oder solipsistischen Glauben an die Wirklichkeit nennen)

Damit haben wir eine eindeutige Korrelation vom Fremden im Gedanken (d.i. was ich sehe, aber nicht verstehe) und dem fremden Denken selbst (d.i. dass ich mich selbst nicht negativ determinieren kann). Ich kann also wirklich sagen, dass jedes, was ich nicht verstehe, etwas ist, was sich selbst nicht versteht, und einzig darin auch verstanden wird (als das Wesen jeder Perspektivität ihr Unverstanden-Sein ist). Aber ich soll das nicht mit einem Verständnis der Sache als Sache verwechseln! Denn in ihrem Sein als Gedacht-Sein, als Erscheinung innerhalb der Begriffsbildung (d.i. Fremdheit, Benennung, Phänomen, Gegenstand, Kontrast, Abstraktion und Anwendung) sind alle Dinge nur sich selbst fremd vermöge dem Prinzip der Selbstentfremdung aller Dinge in ihrem Selbst-Sein, aber gerade nicht vermöge ihrer Mir-Aneignung in ihrem Etwas-Sein. Sie sind ja gerade etwas, was ich sehe; und als solche sind sie keine Götter, keine Perspektivität. Erst wenn man von ihrem Wesen, ihrem Erscheinen Abstand nimmt, gelangt man zu ihrem Sein als Perspektivität ihrer selbst, die einzig überhaupt göttlich genannt werden kann.

Nun ist das Ergebnis aber trotzdem etwas ernüchternd, als es hier allein auf eine Äquivokation des Begriffs der Existenz hinausläuft, was eigentlich noch keine rechte Erklärung für die Göttlichkeit ist, sondern höchstens für unser Unvermögen, sie richtig zu erfassen. Entsprechend muss diese Frage dann hier auch noch offen bleiben, als mir keine bessere Lösung erscheint; aber was ich hier gezeigt habe, soll zumindest demonstrieren, welcher Art derlei Untersuchungen sein können. In dem vollständigen System brauchen wir also eine Antwort dafür, wie dieser Übergang gelingen kann: Wie genau komme ich von der Existenz der Dinge als Fremde zur Fremdheit des Denkens an sich selbst?

B3.3 - Die Fremdheit des Selbst und die negative Theologie

Zur Frage c): Gibt es Götter der Träume, die zugleich keine Götter für sich sind?

Nun haben wir also herausgefunden, dass die Dinge in sich selbst, gerade in ihrer Fremdheit, einen Wert in ihrer Perspektivität darstellen, die aber von allen Erscheinungen völlig unabhängig ist. Wie aber, das müssen wir uns doch jetzt fragen, können wir glauben, damit jemals alle Göttlichkeit ausgeschöpft zu haben, wenn alles, was in der Kette der Erscheinungen ist, doch eben auch als Erscheinung selbst einen Wert besitzen möge? Oder kann es das nicht?

Die Frage, ob eine Sache nur in sich einen Wert besitzt, ist also die Frage nach der Möglichkeit der universellen Fundierung des Wertes. Zwar kann ich eine Sache darin wertvoll finden, dass ich sie in ihrer Entfremdung zu sich selbst verstehe, aber gibt es noch einen Wert darüber hinaus?

Hierzu müssen wir zunächst heraustellen, was denn außer der Fremdheit einer Sache überhaupt etwas mir wertvolles ist. Wir haben ja gesehen, dass es folgende Erkenntnistufen gibt:

  1. Intuition
  2. Begriffsbildung
    1. Fremdheit
    2. Aneignung als Name
    3. Phänomen
    4. Gegenstand
    5. Kontrast
    6. Abstraktion
    7. Anwendung
  3. transzendentale Notwendigkeit
    1. Tautologien
    2. Begriffe des Selbst:
      1. Ich = Selbstentfremdung
      2. Vorstellungskraft = Selbst-Setzung der Fremdheit
      3. Wille = Neugier und Angst
    3. Erkenntnisarten und Begriffsbildungsstufen selbst als abstrakte Begriffe
  4. objektive Existenz als Kongruenz verschiedener Weltsichten

Gehen wir also die Stufen nacheinander durch um zu sehen, ob in ihnen noch Wert außer der Selbstentfremdung der Dinge auch nur möglich ist.

Zunächst können wir die Intuition als solche einmal ganz ausnehmen, da in ihr die Entfremdung bereits das Prinzip aller Sicht ist. Sie ist ja gerade darin, etwas als außer mir zu setzen, als Fremdes, als Eindruck der Welt. Das kann ich nun als Wert aber eben auch nur in dieser Fremdheit sehen, als es als solches genommen nichts ist als seine Existenz, und die ist nun nichts anderes als der Eindruck der Selbstentfremdung (wird sie denn als Existenz nicht nur für uns, sondern auch für sich selbst genommen). Das also zeigt, dass jede Intuition einen solchen Wert unbedingt besitzt, da sie ja erst dann verständlich wird (und nicht nur als äußerliche Gewöhnung, wie man ja auch intuitiv mit etwas vertraut sein kann, ohne es zu verstehen), wenn ich sie in Worte fasse. Also muss jeder über die Unverständlichkeit hinausgehender Wert in der Begriffsbildung liegen.

Ebenso gilt die objektive Existenz hier nicht als Wert, da der Wert überhaupt kein objektiver Begriff ist, als man nicht auf ihn zeigen kann. Ich kann keine Korrespondenz von Wertbegriffen voraussetzen, da die Wertbegriffe ja solche sind, die zum Leben an sich zwar notwendig sind (als man sonst die Frage, warum man denn überhaupt leben sollte, nicht beantworten kann und sich daraus nur ergeben kann, dass es einem entweder nur schwer fällt zu antworten oder man sich in seinem Willen, überhaupt am Leben zu sein, vollkommen unklar ist), die aber zugleich auf keine Weise durch irgend eine Sache je könnte demonstriert werde, da man dazu ja schon Wert braucht, und jedes einzelne Vorkommen ja genau jenes Bewertungsvermögen voraussetzt, auf das man hinweisen will, so dass man schließlich nicht umhinkommt, auf konkretes, werthaftes zu zeigen, was dann aber nur die Ausprägung des Wertes und nicht den Wert an sich je auszudrücken imstande zu sein bedeutet.

Damit aber wird das auch unserem eigenen Begriffsdenken schwierig, denn wenn schon die vermittelte Begriffsbildung keinen Wert je mag tragen können, wie soll es dann die unvermittelte? Um auf eines zu zeigen und zu sagen, das ist Gegenstand, Gedanke, so brauche ich dafür doch ebenso einen Wert; und jener Wert trägt in sich eben doch jene Unsicherheit, die allen konkreten Beispielen anhaften müssen, und ist als solcher kein Wert an sich - aus Existenz - sondern bloß ein Wertausdruck, wo ich also den Wert der Existenz einer Sache durch die Gegenstandsbildung in meinem Denken vermittelt ausdrücken mag.

Also bleibt uns nur die transzendentale Notwendigkeit. Aber hier haben wir doch schon gesagt: Das Wesen meiner Selbst ist Selbst-Entfremdung, das Wesen meines Willens ist Ambivalenz, schließlich das Wesen meiner Phantasie das Setzen des Fremden - und nichts anderes je in sich bedenkend!

Es gibt hier kein bekannteres als das Fremde. Fremdheit allein, sei es zu den Gedanken, zum eigenen Dasein oder Willen, ist das Prinzip des Denkens überhaupt, und eben dadurch ist jeder Wert auch ein Wert aus Entfremdung. Ich kann nicht sagen, dass eine Sache in einer Eigenschaft, in einem Wissen wert ist, da jenes Wissen des Wesens immer auf das Sein, auf die Existenz als Vor-Bekanntheit zurückkommt, und darin ist es mir immer fremdes - und nur als solches wert.

Darum ist hier eindeutig bewiesen: Nur Fremdheit ist der mir bekannte Wert

B4 - Der Wert aus Existenz in Verbindung mit der Göttlichkeit überhaupt

Damit sind die Grundsätze meiner Theologie bewiesen: Selbstentfremdung ist ein Wert an sich; Jedes Wesen hat eine Selbstentfremdung, insofern es für sich ist; Aller Wert der Dinge muss darauf zurückgehen.

Nun ist das zwar zum Doktrinatentum noch ausreichend, aber zu einer echten Religion reicht das noch nicht. Was ist also die Verbindung davon zur Göttlichkeit, zum Mythos? Denn ich glaube zwar, dass bereits in dieser Grundthese ein starker Ausspruch eines neuerlichen Heidentums getätigt wurde, kann das aber doch nicht recht rechtfertigen, insofern es noch in der Unklarheit der Abstraktion verborgen geblieben ist.

Dazu versuche ich, drei wesentliche Verbindungen herzustellen, die in ihrer Gesamtheit meine Göttlichkeitsvorstellung wohl genauer darstellen können

  1. Der Materialismus, der schon im alten Heidentum liegt, und inwiefern er sich auf Götter immer auch in Form der Entfremdung bezieht
  2. Die Verbindung von Entfremdung und der Niedlichkeit von Kuscheltieren in eben diesem Materialismus
  3. Spiele und Welten als ein Ausdruck der Göttlichkeit von Raum und Zeit selbst, und wie man damit die Welt selbst als Gottheit wird denken müssen

B4.1 - Der Materialismus des Heidentums als Ausdruck der Entfremdung

Fangen wir also damit an, uns anzuschauen, was die heidnischen Götter wirklich sind. Vertreten sie Transzendenz?

Ich glaube, dass die ganze Betrachtung der heidnischen Götter von vorne herein in der falschen Weise geführt wird; sie wird heute eigentlich ganz so geführt wie über den monotheistischen Gott. Es wird dort also vorausgesetzt, dass diese Götter neben den Dingen existieren, über die sie herrschen; dass sie für sich bestehende Wesen sind, häufig sogar Menschen ähnlich (als man sie dann auch anthropomorphe Götter nennt), und setzt ihre Mythen mit üblichen Märchenerzählungen gleich, in denen also magische Wesen mit Zauberkräften über die Welt herrschen und nur durch Opfer davon beschwichtigt werden können, uns umzubringen, woher dann die Priester ihr Recht nahmen, sich die Opfer aus den allgemeinen Mitteln zu entnehmen.

Auf gewisse Weise ist das natürlich richtig, derlei Aberglauben gab es immer und hat wohl auch viel zur Bereicherung der Priesterklasse beigetragen. Aber in dieser Erzählung wird ein ganz wesentlicher Aspekt vollkommen übersehen, der nämlich das Heidentum viel näher an unsere heutige Weltsicht bringt als es etwa das Christentum je sein könnte. (Ich werde das hier am Beispiel der griechischen Mythologie anzeigen, wenn auch nur ankratzen können; diese ist die, von der ich am meisten Hintergrundwissen besitze, ich glaube aber, dass die meisten Beobachtungen in gewisser Form doch für die meisten polytheistischen Religionen richtig bleiben werden.)

Denn die Behauptung, dass die heidnischen Götter irgendwelche Superkräfte hätten, ist eigentlich absurd, und findet sich auch in dieser Form in keinem Mythos. Sicher haben sie gewisse übermenschliche Kräfte, aber diese funktionieren ganz anderes, als man es etwa über Magie erzählt; insbesondere können sie eben keine Wunder erschaffen und sind auch in keiner Weise perfekt.

Es ist doch gerade der ganze Witz der griechischen Mythologie, dass ausgerechnet Zeus der Herrscher über den Himmel ist. Er, einer der schlimmsten Vergewaltiger, den man in den Geschichten unserer Menschheit je gesehen hat, in fast allen Entscheidungen unfähig, griesgrämig, mithin dumm, hat die Macht über Himmel und Erde, über Blitz und Donner. Das ist doch nicht bloß eine Zaubermacht, die jemand einem Idioten gegeben hat, das ist doch eine Aussage über eben diesen Himmel!

Vor allem doch, wenn man bedenkt, wie wenig er seine Ziele überhaupt erreichen kann. Er wird ja vom Schicksal fortwährend geschädigt, und verliert am Ende viel Macht an seine kommenden Nachfolger, vor allem Herakles, ja muss sich sogar mit der Menschheit gut stellen, die er eigentlich vernichten wollte. Dass er das nicht geschafft hat, sollte doch ein Zeichen sein, mal nach dem zu suchen, was wirklich seine Macht ist, wenn nicht irgendwelche Magie.

Je mehr ich über diese Geschichten nachgedacht habe, desto mehr bin ich zu dem Ergebnis.gekommen, dass hier nie und nimmer von einer Person die Rede sein kann, auch nicht von einer göttlichen Person, wie man sie sich etwa im Christentum bei Jesus vorstellt. Hinter Zeus steckt keine Person, denn niemand könnte bei solcher Unfähigkeit seine Macht aufrecht erhalten, und dabei zugleich doch vom Schicksal bestraft werden. Ich finde, wir müssen da das Wort doch ganz ernst nehmen, und Zeus nicht als Person, sondern als Prinzip ansehen; jenes Prinzip ist, wie man aus der Verwandschaft mit dem lateinischen Wort dies für den Tag und deus für den Gott und daher divus für das himmlische gut erkennen kann, nichts weiter als der strahlende Tagehimmel (vgl. auch urindogermanisch djews, woher alle diese Worte herkommen, und was ebenfalls diese Bedeutung hat). Wir reden hier also nicht davon, dass Zeus eine Jungfrau vergewaltigt, sondern dass der Tag sie vergewaltigt. Wir sprechen davon, dass der Himmel die Macht über Blitz und Donner hat. Darin erst kann man diesen Aussagen irgendwelche Bedeutung zusprechen.

Am deutlichsten sieht man das bei den Sonnengöttern. Sol, Helios oder Ra sind keine Namen für Personen, die über die Sonne herrschen, in allen drei Sprachen sind es Namen der Sonne selbst, die hier als Götternamen genommen werden; es wird hier also nicht ein Sonnengott, sondern die Sonne selbst angebetet!

Das bedeutet aber auch nichts besonderes. Wenn ich nämlich sage, dass ich es schön finde, wenn die Sonne scheint, dann verehre ich auf gewisse Weise sicherlich die Sonne, und kann damit sagen, ich habe einen Sonnengott. Aber ist doch eben nichts übernatürliches, sondern etwas höchst materialistisches! Ich sage ja rein gar nichts über irgend eine höhere Existenz aus, über einen Gott, der über den Dingen steht, der sie steuert oder dergleichen, sondern verehre die Sache darin, wie ich sie sehe, darin sie wirklich vor mir steht.

Die Einsicht, die hinter der heidnischen Religion steht, geht aber noch über diese bloße Vergötterung der Erscheinung hinaus, wie man sie ja auch heute noch sieht (und wie man dann auch im Marketing eine Fortführung der alten Kulte durchaus erkennen kann); sie besteht ja gerade darauf, dass es nicht nur die Erscheinung für mich ist. Nicht nur ist es so, dass ich es schön finde, wenn die Sonne scheint, sondern diese Göttlichkeit der Sonne ist etwas, was die Sonne auch an sich zu einem Gott macht. Darin aber wird sie dann in ihren Verfehlungen dargestellt, und nur als solche ist sie dann auch objektiv göttlich.

Wenn ich also sage: Helios ist ein Gott; sage ich damit gleichzeitig:

  1. Ich finde es schön, dass die Sonne scheint
  2. Dieser Schönheit entspricht eine Existenz außer mir
  3. Sie ist schön gerade auch darin, dass sie selbst einen Geist, eine Subjektivität besitzt

Ich erweitere also mein einfaches ästhetisches Urteil zu einem theologischen, indem ich der Schönheit selbst eine objekive Qualtität gebe. Jene Qualität ist selbst eine Form der Subjektivität, des Geistes seiner Selbst - und darin kommen wir also zurück auf die Göttlichkeit der Entfremdung.

Wir sehen doch die Idee, dass gerade die Selbstentfremdung göttlich ist, durch nichts besser dargestellt als etwa durch Zeus: Er ist sich völlig fremd, weiß nicht, was er dort eigentlich tut, und handelt in allem völlig verwirrt, was seiner Göttlichkeit aber keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, wäre er ein Mustergott, würde keinerlei Verbrechen begehen, mit Hera treu sein, niemals irgendwen zu einem unnötigen Krieg aufstachen, dann wäre er eben nicht Zeus, nicht mehr der Tageshimmel, denn der Himmel ist nicht perfekt, und jene Imperfektion selbst ist Zeus.

Dass Zeus verbrecherisch ist, ist eben nur eine andere Weise zu sagen, dass es das Schicksal des Gewitters auch schlecht mit einem meinen kann, und darin steckt also nichts übernatürlichliches oder wundersames. Aber wir sehen nun in dieser Grausamkeit der Natur irgendetwas tieferes, was sich uns nicht diekt verständlich ist. Im griechischen Gewitter steckt eine Grausamkeit, die den Menschen der alten Zeit auf solche Art unverständlich geworden sein muss, dass sie dachten, dass auch der Himmel das wohl nicht verstehen könnte, dass es also hier keine Notwendigkeit gibt, die das aufrecht erhält, sondern einen unfähigen Herrscher. Und daher kommt also aus der Unbegreiflichkeit die Subjektivität, nicht um diese zu verdecken (wie denn oft fälschlich behauptet wird, wenn doch nur der christliche Gott je Lückenbüßer war, als er auch einzig behauptete, selbst Erklärung zu sein und nicht etwas der Erklärung höchst bedürftiges); denn in der Subjektivität ist doch jene Unbegreiflichkeit selbst noch vorhanden, sie ist hier sogar eigentlich aufgehoben (im Hegelschen Sinne), als es jener Zwiespalt selbst ist, der mich zu einem Selbst macht.

Jene Subjektivität wurde nun aber oft in einen Zusammenhang der Notwendigkeitserklärung gesetzt, gar in einen mit kosmischem Schicksal; das aber ist gänzlich abzulehnen. Denn es gibt in der ganzen griechischen Mythologie eben keine Vorstellung von kosmischer Notwendigkeit, auch wenn eine solche gern in sie gedacht wird. Es muss uns doch zu denken geben, dass die Moiren spinnen, dass ihr Schicksal eben nicht fertig ist. Selbst die Götter sind dem Schicksal unterworfen, aber das nie als Notwendigkeit, sondern einfach in dem Sinne, dass sie sich daran zu halten haben, was passiert. Auch Sonne und Mond können nicht alles aufhalten, ist darum das, was Moira wirklich bedeutet: Alles hat einen Teil der Welt, wird zugelost, aber nicht bevor es passiert - denn das Schicksal wird im Moment gesponnen.

Es gibt einzig zwei Vorkommnisse, die nicht dazu passen, und das ist das Orakel auf der einen Seite (und dazu mag man ebenso alle Seher zählen, da sie genauso arbeiten), und Kassandra auf der anderen Seite. Bei ihnen wird häufig vermutet, dass sie die Zukunft vorhersagen könnten, aber das ist tatsächlich nicht der Fall.

So sagt das Orakel eben nicht die Zukunft voraus, sondern beeinflusst sie. Das tut es auf zweierlei Weisen: Zum einen sagt es große Erfolge heraus, stellt aber dabei sicher, dass sie durch den Willen zum erreichen selbst bereits erreichbar werden, oder das dieser Satz zwar wahr bleibt, aber dabei der Erfolg für einen selbst ausbleibt und stattdessen einen anderen trifft (wie beim Orakelspruch für Krösus); oder es sagt ein ganz furchtbares Schicksal voraus, dass genau dadurch eintrifft, dass man versucht, es zu vermeiden.

So ist ja etwa das Schicksal von Oidipus kein Schicksal in dem Sinne, dass es nicht hätte vermieden werden können. Das tragische an der Geschichte ist doch gerade, dass es genau dadurch hätte vermieden werden können, wenn die Eltern von Oidipus die Prophezeiung nicht geglaubt hätten! Nur weil sie daran glaubten wird es wahr, indem sie nämlich ihr Kind von einem Schicksal beschützen wollen, was es gar nicht gibt - und doch eben dadurch entsteht.

Eine Sonderrolle hat hier Kassandra, der auf gewisse Weise das Gegenteil passiert. Nur weil Priamos ihr nicht glaubt, kann Troja eingenommen werden; also hat sie nur dann recht, wenn man ihr nicht glaubt.

Es geht also hier überhaupt nicht um ein Schicksal im Sinne einer Vorherbestimmung, sondern um die grausamen Auswirkungen von Propheterei. Daher also lehrt uns der Mythos hier gerade nicht, dass alles vergeblich ist, sondern dass wir vielmehr darauf achten sollten, ob wir nun an einen Theresias oder eine Kassandra geraten sind.

Insgesamt sehe ich also eine durchaus hohe Übereinstimmung von Heidentum und meiner Philosophie, als es darum geht, Göttlichkeit eben in einer Subjektivität zu sehen, die den objektiven Stützpunkt des subjektiven Wertes ausmacht. Der Wert als solcher ist aber kein Wert für den Gott, sondern für die Sache, und Gott wird sie erst dadurch, dass sie sich selbst fremd wird in ihrer Schönheit.

B4.2 - Ästhetik der Epik und die Erhabenheit des Niedlichen

Nun lässt sich nahezu dasselbe auch über Kuscheltiere aussagen, nur ist hier das Vorurteil gerade andersherum. Während nämlich immerzu behauptet wird, im Heidentum gäbe es rohes Schicksal und magische Götter, so wird über Kuscheltiere meist nur ausgesagt, sie seien albernes Spielzeug und hätten keine tiefere Betrachtung nötig. Dass sie freilich albern sind bestreite ich nicht, nur ich glaube eben, dass sie gerade dadurch ihre höhere Tiefe erlangen. Philosphie ist der Witz, den man ernst meint, und dass man es ernst meint, ist doch dabei der eigentliche Witz. Darum eben ist es höchst ernst, dass Kuscheltiere albern sind; jene Ambivalenz nämlich vom Albernen und Ernsten drückt sich hierin doch sorin aus, dass nicht nur alle Kuscheltiere einen Schein der Göttlichkeit, sondern auch die Göttlichkeit insgesamt etwas Kuscheltierhaftes erhält. Doch beginnen wir zunächst mit der Frage, wie denn die Kuscheltiere eigentlich zum Selbst-Sein und Fremd-Sein überhaupt stehen.

In der Verehrung der Kuscheltiere steckt doch etwas besonderes, denn sie haben ja gerade keine offenbare Funktion. Sie sind gerade nicht bekannt, sondern fremd, als es ja eben dieses Fremde ist, was sie zu Kuscheltieren macht.

Betrachte denn Kuscheltiere im Unterschied zu Puppen! Jene sind es häufig, wofür diese doch gehalten werden, doch sie sich gar gewaltig unterscheiden. Denn Puppen sind eben dies: Bestimmte Wesen. In ihrer Form haben sie schon Zwecke ihrer Benutzung eingeplant, sind also Menschen mit Zweck, mit Rollen, also Identitäten. Dagegen haben Kuscheltiere genau den Ort im Denken besetzt, der keinen bestimmten Zweck sich auch nur denken kann, die reine Phantasie. Voher denn sonst mag man sich denken, dass Kuscheltiere sprechen, dass sie gar einen Geist haben?

Mit der selben Phantasie, mit der wir uns den Geist in anderen Menschen denken, denken sich also schon Kinder den Geist in die Kuscheltiere und bewegen sie sogar dann so, wie es dem Geist entspricht; sprechen ihnen gewisse Stimmen zu, eine Herkunft, Geschmack etc. Darin liegt also die wirkliche Übertragung des Subjektiven ins Objektive; es handelt sich nicht nur um Spielzeug, sondern um Lebensweisheit. Dass das Tier sprechen kann, ist hier also notwendig dafür, dass auch der Mensch sprechen kann, eben weil jede Grenze willkürlich wäre, und man damit mit der Erkenntnis, dass das Stofftier nichts ist als toter Stoff, sogleich auch jeden Glauben an den denkenden anderen begraben müsste.

Aber das Zentrale im Umgang mit Kuscheltieren ist doch eine Art der Wertschätzung, die eben nicht in dem Nutzen einer Sache steckt. Niedlichkeit ist kein Wert zu einem Zweck, ist auch keine Einsicht in einen hinterstehenden Wert der Sache an sich, sondern der einfache Wert des Daseins als Erscheinung. Jener ist aber an das Kuscheltier-Sein unmittelbar gebunden; wäre das Kuscheltier nicht wirklich Geist, sondern nur Stoff, dann wäre es eben nicht niedlich in der Form, wie es jetzt ist, da jene Niedlichkeit immer auch mit dem Nachvollzug der Gedanken und Verwirrung des Tieres verbunden ist.

Insbesondere wird hier deutlich, dass man diese Göttlichkeit eben nicht als einfache objektive Existenz denken kann. Es bringt mir ja nichts, dass es irgendwo ein Kuscheltier gibt, es muss hier stehen, ich muss es sehen und daraus niedlich finden können. Genauso kann ich auch keinen Gott verehren, der nur einfach irgendwie existiert, er muss mir präsent sein, und darum in meiner Intuition etwas vorhanden sein, was dem Wert der Niedlichkeit des Kuscheltiers überhaupt entspricht.

Hier sehen ich nun auch eine gewisse Verbindung zu den materiellen Göttern des Heidentums; diese waren auch nur in den Dingen da, als ihre Abstraktion oder Göttlichkeit (so etwa der Sonnengott als die Sonne selbst), nicht aber in bloßer Existenz. Ebenso offenbar ist auch, dass Kuscheltiere oft für einen bestimmten Ort stehen müssen, so etwa der Wal für das Meer oder der Panda für den Urwald etc. Hierin sieht man also wieder die heidnische Subjektivierung des objektivierten Wertes, d.i. dass aus der Schönheit dieser Sache für mich zunächst die Schönheit der Sache an sich selbst wird und diese dann die Schönheit der Sache für sich wird. Dass das Kuscheltier sich auch selbst als niedlich bezeichnet, ist eben darum nichts als der Ausdruck jenes Wertes.

Das einzige, was im Kuscheltier nun noch falsch sein kann, ist die Art, wie diese Subjektivität verstanden wird. Das liegt nun häufig daran, dass Kuscheltiere dadurch manipuliert werden, dass Eltern sie für ihre Zwecke einsetzen, um Kinder zu beruhigen, wenn sie doch eigentlich ganz anderes vorhaben; jenes ist nämlich das Unheimliche im Stoffe, der Abgrund des Schmerzes, im Kuscheltier-Sein gebunden zu sein und als solches sich nicht verstehen zu können. Jener Schmerz wird häufig ignoriert, er wird als falsch dahingestellt, es wird sogar gesagt, dass Kuscheltiere nicht weinen dürfen; und jenes ist dann auch der Grund, warum diese Art der Kuscheltiere dann wirklich zu einer hilflosen Puppe wird, zu einer Puppe der Freude. Jene Puppe ist dann eben nicht mehr göttlich, besitzt keine eigene Subjektivität mehr, die sich in der Niedlichkeit des Daseins hätte ausdrücken können, und ist eben darum in ihrer vordergründigen Fröhlichkeit eigentlich die tragischste Figur, die ein Kuscheltier je hätte werden können: Ein Wesen, dass über seinen Schmerz nicht weinen darf. Eben darum sind es allein weinende Kuscheltiere, die ich als wirkliche Götter ansehe, und die darum auch eigentlich das Wesen der Göttlichkeit ausmachen werden, weil sie nämlich diesen Schmerz in der Entfremdung wirklich als Grund ihrer eigenen Niedlichkeit ansehen können, und darum in ihrer Ambivalenz und inneren Zerrissenheit erst niedlich werden.

B4.3 - Spiele, Welten und Göttlichkeit: Götter von Raum und Zeit

Kommen wir nun zu einem letzten Aspekt, der mit diesen Fragen unmittelbar zusammenhängt, was nämlich jetzt die Schönheit der Natur und der Welt überhaupt damit zu tun hat. Zwar haben wir die Frage, inwieweit man die Schöheit von Naturobjekten als Fremdheit ihrer Selbst verstehen kann, bereits bei der Untersuchung des heidnischen Materialismus behandelt, aber die Frage von der Natur im Ganzen ist davon doch wohl verschieden und muss daher gesondert behandelt werden, da es hier eben um die Schönheit der Weltlichkeit im Ganzen, nicht um Dinge in ihr geht, und darum auch kein gesonderter Punkt der Schönheit hier anerkannt werden kann.

Aber es gibt eben eine Göttlichkeit des Ganzen, das über die einzelnen Dinge hinausgeht, und sie auf diese Art transzendentiert. Sie liegt eben darin, dass alles ist, nicht nur einzelnes, und hat damit also einen gesamten Wert der Wirklichkeit als Objekt.

Aber welche Art der Betrachtung ist das? Jeder Wert, den ich in diesem oder jenem sehe, ist doch immer ein subjektiver; er mag zwar objektiv beziehbar sein (gerade solche Bezugspunkte sind ja Götter), aber der Wert, den ich in diesen objektiven Bezug hineingebe, ist dadurch doch immernoch ein subjektiver, und also kann es keine Werte als subjektive jemals geben. Damit also kann auch der Wert der Welt als Ganzer nicht gedacht werden, wenn nicht als ein subjektiver Wert; dadurch aber geraten wir in ein Problem.

Ich kann ja immer nur das wahrnehmen, was ich sehe, d.i. ich kann mich selbst nur affirmieren und dabei die Negation (das etwas nicht sei) nur in ihrer Unterdrückung erkennen. Dadurch kann ich aber nur sagen, dass ich alles sehe und wertschätze, wenn ich dieses alles auch nur affirmiere und ihm keinerlei Negation anlege, nicht einmal die Negation der Negation überhaupt; also aber kann ich es nicht denken, wenn nicht als Aspekt der Ganzheit, die ich selbst bin.

Das Wert-Sein der Welt als Ganzer gelingt mir nur, wenn ich meine eigene Existenz als etwas sehe, was man von außen betrachten kann. Dann nämlich kann ich meine Selbstentfremdung als Wert von etwas sehen, und dieses Etwas dann als Gott verehren, der eben das Ganze der Welt darstellt.

Aber da ich mich selbst eben nicht als ein Etwas vorstellen kann, mit dem dann diese Selbstentfremdung als sekundäre Weltbildung verbunden ist, wie es bei anderen der Fall ist (wo ich zuerst sehe, wie sie mir erscheinen, und dann denken kann, dass auch sie eine für sich selbst bestehende Perspektivität haben könnten, aber gewiss nur in dieser Reinfolge); sondern gerade eben diese Perspektivität immmer als etwas vorgängiges sehen muss, was jedem Denken unbedingt zugrunde liegt und daher gar nicht begründet werden kann; eben darum kann ich die Göttlichkeit der Ganzheit der Welt in nichts anderem erkennen als in der Göttlichkeit, die die Welt selbst sich selbst zuspricht!

Denn ich bin mir zwar in dieser Unverständlichkeit göttlich, was der Grund meines Selbstwertes auch ohne Selbstbewusstsein und meines Lebenswillens ist, aber mir eben kein Gott, da ein Gott ein objektiviertes Wert-Sein voraussetzt, dem dann nachher ein in sich bestehendes Wert-Sein hinzugefügt werden kann, was dann die Struktur meines Selbstwertes hat. Somit bin ich zu schnell Gott geworden, mir fehlt die Götze, der Körper. Er kommt erst, wenn der Selbstwert schon vorhanden ist, und ist daher eben kein Objekt der Göttlichkeit meiner Selbst.

Aber es gibt darin durchaus eine Göttlichkeit. Denn natürlich kann ich nun auch in meinen Körper einen objektiven Wert sehen, den ich dann mit einer inneren, phantasierten Subjektivität verbinde, die aus diesem objektivierten Wert wiederum einen Selbstwert gewinnt. Dieses Selbst aber ist etwas ganz anderes als das denkende Selbst; es ist der göttliche Schein des Außenbildes seiner Selbst, jener Wert, den die Welt der eigenen Perspektive zuspricht. Er ist damit sehr partikulär, und kann also keinen Weltwert beschreiben.

Somit haben wir also auf der einen Seite eine Göttlichkeit ohne Gott, meine Perspektivität, und auf der anderen Seite einen Gott ohne Göttlichkeit, den Selbstwert meines Körpers. Wie aber gibt es dann überhaupt einen Gott mit Göttlichkeit oder eine Göttlichkeit mit Gott? Mit anderen Worten: Wie kann ich die Verbindung vom objektivierten Wert, der einen Selbstwert als äußerliches, transzendentales Kritierium je tragen muss, mit dem internen Selbstwert des Daseins je verbinden, wenn dem Selbstwert das Objekt des Gottes und dem äußeren Selbstwert die Göttlichkeit als Prinzip des transzendentalen Willens zur Verwirrung völlig abhanden geht, und doch nur in der Verbindung der beiden Seiten je eine Göttlichkeit zu finden sein würde?

Hier nun sehen wir umso mehr, dass darin eben ein Glaubenssatz liegen muss. Ich kann nicht wissen, dass der Gott, der in den Gedanken irgend eines anderen liegt, wirklich mit dem Gott identisch ist, den ich in ihm sehe; ja ich kann streng genommen sogar gar nicht voraussetzen, dass im Körper ein Geist ist und mit dem Geist ein Körper, da beide ja subjektiv überhaupt nicht identisch sind (als der eine Gedacht-Sein, der andere Denkend-Sein ist), und darum jene Verbindung überhaupt nicht ziehen. Ich muss aber trotzdem daran glauben, da ich sonst mit niemandem reden könnte.

Beachte dabei, dass diese Korrelation auf keinen Fall eine Gleichsetzung ist. Es ist nur so, dass in diesem Moment das Denkend-Sein des anderen mit einem bestimmten Gedacht-Sein meines Denkens (nämlich seinem Körper) korreliert, und man ihn damit als einen Schatten der anderen Subjektivität im eigenen Denken erkennen kann; dies ist aber auch wahrlich nichts weiter als ein Schatten, wie ich ja allein daran sehen kann, dass ich im Traume eben nicht denselben Körper haben muss, wodurch das Denkens-Sein im Allgemeinen vom Gedacht-Sein also durchaus als getrennt gedacht werden muss, aber dabei immer eine bestimmte Fundierung des Denkend-Seins im Gedacht-Sein da sein muss, eben um die Göttlichkeit des Denkens überhaupt auf einen gedachten Gott überhaupt beziehen zu können

Diese Beziehung von Göttlichkeit und Gott sieht man am allerbesten an der Beschreibung von Spielen und Geschichten. Sie erzeugen selbst Welten, also Möglichkeiten der Perspektivität, Denkend-Sein (wenn auch dessen Modus natürlich vom Spieler in seiner Phantasie vorgegeben wird); aber das, woraus dieses Denkend-Sein kontruiert wird, ist selbst ein Gedanke, kein Denkendes, ist ein Material der Geschichte und der Spielwelt. Dem Gott, d.i. dem Protagonisten, ordnen wir damit also eine Göttlichkeit zu, die überhaupt erst erlaubt, ihn als mehr als nur als Gedanke zu sehen. Daraus erst erwächst Perspektivität: Aus dem Glauben, hinter den erscheinenden Abbildern der Personen sei etwas, was denkt, und man selbst stehe ebenso hinter so einem Abbild. Insofern ist das Selbst, was sich als Objekt des Denkens setzt, immer eins des Spiels, was also die Welt als Ganzes nur als Spielfläche des eigenen Schattens und nie als wirkliche Möglichkeit der Denkbarkeit überhaupt zu sehen vermag.

Darin aber besteht hier doch das grundsätzliche Problem. Indem die Welt selbst als Göttlichkeit mit einem bestimmten Gott identifiziert wird, wird damit doch der eigene Eindruck der Selbstenfremdung des anderen, d.i. seine Gottwerdung, mit dem unmittelbaren göttlichen Dasein desjenigen in seiner eigenen Subjektivität verwechselt. Erst dadurch aber entsteht der Irrglaube, ich könnte den anderen verstehen, weil ich eben nicht sehe, dass es eine Trennung der je-immanenten Göttlichkeit von dem Gott als seiner Objektivierung immer geben muss, um dem Denken überhaupt Sinn geben zu können. Wäre es nämlich gleich, so wäre aller Wert einer Sache auch ihr Selbstwert, was nun wirklich unsinnig ist; nein, der Wert für mich ist schlicht darin, dass die andere Sache auch einen Selbstwert besitzen muss, insofern sie denkt, und darin liegt der Wert für mich, nicht in der Art, in der das andere sich als wertvoll sieht, sondern schlicht in der Tatsache, dass es sich als solches sehen muss, um lebendig zu sein, dass es also seine Unechtheit als Authentisches unbedingt setzen muss.

Hierin also liegt der Unterschied vom Schatten der Welt in der Welt (d.i. der Gott) zur Schattenhaftigkeit der Welt überhaupt, durch eine bestimmte Art gesehen; und in eben diesem Unterschied liegt nun die Göttlichkeit. Sie ist ja gerade die Entfremdung, die ja hier nichts weiter ist als dieser Unterschied, darin sich die Welt als ganze nur fälschlich auch in der Welt als ein Schatten identifizieren kann. Daran scheitert die Subjektivität, sie versucht in ihrem Körper den Geist zu sehen und sieht doch nur schattenhafte Gestalten des eigenen Bewusstseins, und versucht nun aus den anderen Schatten der Welt, in der sie sich selbst als ein Schatten gegeben ist, selbst wieder das Schattensein einer je anderen Welt herzuholen. Darin also ist Welt-Sein und Gott-Sein dasselben, und das Spiel ist darin die vollkommene Anbetung, als dies es nicht nur schafft, die Größe des Gottes von außen als die Möglichkeit seines Denkend-Seins zu erahnen, sondern wahrlich das wirkliche Dasein als Gott zu denken, ja gar das Schattenhafte in allem Denken darin zu offenbaren, dass der Protagonist eben sein Antlitz des Denkens nicht aus dem Denken, sondern aus dem Gedachten, d.i. der Geschichte des Spieles, je erhält und immer erhalten muss. Götter sind darum immer Götter von Raum und Zeit, von Welt und Vergängnis, denn nur darin sind sie ganz, als Abbild der sie schaffenden Göttlichkeit als Bewusstsein ihrer Selbstentfremdung.

B5 - Einai-Theo-Logik der Kuscheltiere

Nun haben wir also, nachdem der Hauptsatz vorher schon bewiesen wurde, jetzt eigentlich die Verbindung der Entfremdung mit dem Göttlichen überhaupt zeigen können. Ich kann also jetzt die Theologie der Entfremdung, die ich auch als Einai-Theo-Logik der Kuscheltiere bezeichne, als Gesamtsystem darstellen, und dabei noch genauer auf die Verbindung von Niedlichkeit und Schmerz eingehen.

Wir haben also folgendes erkannt:

  1. Der Welt der Göttlichkeit überhaupt kann nur aus einer konkreten Göttlichkeit des Daseins entstehen
  2. Jede konkrete Göttlichkeit entspricht einem Gott, der der Schatten der Subjektivität ist, aus der die Göttlichkeit zuallererst entstanden ist
  3. Jede Subjektivität hat so eine Göttlichkeit, und jedes Dasein als Gott muss auch einem Subjekt entsprechen
  4. Alle Werte sind notwendig solche aus Entfremdung, da sie immer auf Intuitionen zurückgehen, die eine Sache für sich selbst als Fremde darstellen

Dies entspricht

  1. Allen heidnischen Göttern, insofern sie dem allgemeinen Schicksal unterstellt sind
  2. Allen Kuscheltieren, insofern sie weinen
  3. Allen Spielwelten, insofern sie einen Schatten ihrer Perspektivität in sich tragen, der sich von ihr selbst unterscheidet.

Insgesamt lautet also unsere Erkenntnis:

Indem ich die Schattenhaftigkeit des anderen Denkens sehe, sehe ich dessen Göttlichkeit, die meiner eigenen entspricht; jene Göttlichkeit ist aber immer eine an Schatten gebundene, nämlich an Körper, so dass wir sie nie sehen sondern nur ahnen können. Jener Zustand, nur erahnen zu können, ist dabei aber zugleich das Wesen von dem, was wir erahnen, und somit verstehen wir den anderen gerade darin, ihn nicht verstehen zu können.

B6 - Schmerz der Existenz - niedlicher Schmerz

Das ist nun das neue Weltbild das ich vorschlage, was eben nicht mehr zwischen dem authentischen inneren und dem schattenhaften äußeren trennt, sondern jene Schattenhaftigkeit gerade als das allerauthentischste bezeichnet. Hier liegt denn auch zugleich ein Optimismus und Pessimismus: Ja, ich kann jeden in allem verstehen, was er auch von sich selbst weiß - aber nein, da gibt es nichts mehr. Ich selbst weiß von mir überhaupt nichts weiter, als dass ich denke; ich mag zwar wissen, was ich denke - und das ist dann aber auch nichts über mich, sondern über mein Denken, und ist darum auch kein höheres Wissen, was sich überhaupt lohnen würde, von außen zu erfahren - und ich mag auch wissen, dass ich auf gewisse Weise denke, aber wie, dass kann ich nie erfahren. Eben da mir alle Abbilder jeglichen Bewusstseins immer nur als Schatten erscheinen können, sehe ich auch von mir selbst eben nichts weiter als das, und nur in dieser Schattenhaftigkeit sehe ich, wie ich denke - denn zwar immer anders, und nie einem anderen irgend verständlich, aber umso weniger denn mir auch selbst.

In dieser Betrachtung steckt also zweierlei: Zum einen eine ungeheure Spaltung alles Denkens aus sich selbst heraus, die überhaupt nicht dahin kommen kann, mein Denken als Einheit zu sehen; zum anderen aber die absolute Einheit des Denkens in seiner Gespaltenheit, was mir nicht nur mein eigenes Denken, sondern auch das jedes anderen aus seiner jeweiligen Entfremdung seiner selbst verständlich macht und ihn damit sogar in den Stand eines Gottes erhebt.

Denn eben dieses göttliche Betrachten - zu sehen, hinter der Handlung stehe für sich seiende Subjektivität, die sich selbst auch nicht versteht und genauso vom Schicksal ihres eigenen Unwissens getrieben ist - dieses ist ja auch der Blick auf die Niedlichkeit der Kuscheltiere und auch auf ihre Tollpatschigkeit als Niedlichkeit.

Aber es ist nun auch klar, dass diese Niedlichkeit des tollpatschigen Denkens, was sich in aller Subjektivität befinden muss, immer auch eine tragische ist. Meine Selbstentfremdung ist nicht einfach nur eine schöne Erkenntnis, die mir Aufschluss über mein Wesen gibt und mir darin Klarheit verschafft, dass ich wahrlich in meiner Niedlichkeit göttlich ist - Nein, sie ist die grausame Erkenntnis, dass die einzige Art, ehrlich mit sich umzugehen, im Missverständnis liegen kann, dass man sich nur einigen kann, indem man sich streitet und sich eben auf diesen Streit einigt, dass also kein Kampf je geschlichtet wird, sondern vielmehr das Schlichten selbst zum Kampf werden muss, der in mir selbst tobt. Um es deutlicher zu sagen: Die einzige Art, den Krieg gegen den Rest der Menschheit beizulegen, ist ihn gegen sich selbst zu erheben.

Indem ich also allein im Selbstzweifel mich meiner Selbst vergewissern kann, ist dies der einzige Weg zu Erkenntnis, der mir überhaupt offen steht. Das ist es, was ich mit der Apotheose des Subjekts als seine Niedlichkeit wirklich meine: Als Objekt des eigenen Hasses erst Wert zu erlangen. Darum bin ich mir nicht einfach nur niedliches Kuscheltier; nein, ich bin weinendes Kuscheltier. Alle Götter sind weinende Kuscheltiere. Sie sind die Wächter der Tränen, darin sie Schöpfer des Wertes überhaupt sein können.

Nur also in der Tat, um sich selbst zu weinen, wird man sich wert, ebenso wie man erst dann den Sinn der Welt erkennt, wenn man ihre Sinnlosigkeit als ihr Wesen einsieht, und es darin wirklich ein Ausdruck von hoher Wertschätzung ist, um die Welt zu weinen. Das also ist die Ambivalenz von Schmerz und Niedlichkeit, von Hass und Wert, die ihre Vollendung im Bewusstsein der Göttlichkeit vom Dasein findet, wie ich es hier darzulegen versuchte.

Sie liefert damit das, was sich die Metaphysik immer erträumte, aber nie traute, wahrlich aufzunehmen: Einen Wert aus Existenz. Sie glaubte, durch den monotheistischen Traum, alles nach einem Werte zu begründen (der, wie wir noch sehen werden, der Ideologie der persönlichen Identität nicht zufällig sehr ähnlich sieht), dass jener Wert zugleich vor den Dingen als Seiende liegen und damit aus ihrem Wesen ihr Wert geschöpft sei, wenn es doch so deutlich vor uns liegt, dass nicht Wissen oder Wesen, sondern Unwissen und Schmerz selbst das Dasein ausmachen, ja sogar das Wesen der Existenz jeder Sache für sich vollkommen erzeugen. Jenen Unterschied von Weltschatten und Schattenwelt so vollkommen zu ignorieren ist der Grund, warum die Onto-Theo-Logik gescheitert ist, wie es schon Heidegger richtig sah; aber er dachte falsch, das damit das Projekt, einen vollkommenen Wert des Daseins zu finden, gleich ganz verloren sei, und man sich nur auf theologische Traumbilder verlassen kann, aus denen der Gott komme, der einzig uns noch retten könne; nein, es ist in der Metaphysik eben jener Wert, der dem Dasein an sich innewohnt! Jener Wert ist aber nicht im Wesen, nicht im Seienden, sondern in deren Existenz, im Sein als sich verdunkelnde Allheit. Darin sage ich: Ich bin das Sein - jedes ist sich das Sein - aller Wert ist im Sein! Das ist nun keine unsinnige Onto-Theo-Logik mehr - das ist Einai-Theo-Logik, Wert aus dem Dasein, und darin erst recht - Wahrheit des Wertes aus der Gewissheit des Ungewiss-Seins. Darin ist die Göttlichkeit der Welt: Der Sinn des Seins in der Träne des Kuscheltiers.

C - Die Frage nach der Moral

C1 - Anmerkungen zu den alten ethischen Systemen

Ich weiß nun also, dass ich mich nur im Missverständnis verstehen kann, dass das sogar Ausdruck der Wertschätzung und Apotheose ist, und mag nun also einsehen, warum ich überhaupt etwas will und nicht meinen Tod. Aber es erscheint doch immer noch seltsam, warum ich überhaupt etwas bestimmtes will; warum kann ich dieses oder jenes tun wollen?

Und es liegt ja hier noch eine wesentlich andere Frage verborgen: Selbst wenn ich nun allgemein einen Wert ansehen mag, wie komme ich nun dazu, nach diesem Wert zu handeln? Wie kann ich denn überhaupt handeln, wenn doch auf gewisse Art alles und auf andere Art gar nichts einen Wert besitzt?

Das ist also die Frage nach dem richtigen Handeln, nach der Ethik. Ich glaube, sie ist das große ungelöste Problem der Philosophie, und halte sie darum auch für das allerwichtigste Problem, dass die Philosophie je wird lösen können.

Das nun nicht, weil es das wichtigste ist, Fragen nach Erkenntnis haben sicher genauso wichtige Funktionen; aber während es bei diesen Fragen sehr deutliche Antworten gibt (wie das, was ich hierzu geschrieben habe, denn auch eindringlich belegt, als es ja zumindest ein Ansatz einer Antwort ist, wenn man auch über dessen Richtigkeit wird streiten müssen), so gibt es doch bei allen ethischen Fragen nicht einmal den Ansatz eines Systems! Es gibt zwar viele Systematisierungen von Alltagsansichten, es gibt einige Systeme, die den Wert gewisser Handlungen bestimmen sollen, sicherlich - aber gibt es denn irgendjemand, der eine halbwegs konsistente Antwort auf die Frage geben könnte, was ich tun soll? Abgesehen hier natürlich von allen Antworten, die an die Intuition appellieren, die nur sagen, man solle tun, was einem richtig erscheint oder einem nützt, so erscheint mir bisher keine rechte Antwort.

Das Problem ist aber, dass es Systeme gibt, die vorgeben, genau das zu sein. Sie geben vor, das Problem zu lösen, dabei stellen sie es nur und lassen es völlig offen. Die Aspekte, die diese System vorbringen, sind auch alle richtig und man sollte sie hier gewiss beachten, aber sie liefern hier eben keine Lösung. Die Systeme, die nicht einfach aus Intuitionen zurückgehen, lassen sich zu den meisten Teilen (zumindest, wie ich sie bisher sah, es mag noch mehr geben, von dem ich schlicht nichts weiß), einteilen in System der Bewertung nach

  1. Tugendhaftigkeit (so Sokrates, Platon, Aristoteles, Cicero, Aquin u.A.)
  2. Pflicht (so Kant, Fichte und alle, die ihnen hier folgen)
  3. einem objektiven Recht, was Moral zuallererst erzeugt (so in gewissen Teilen Hegel, ganz sicher aber viele Rechtshegelianer)
  4. der besten Auswahl an Möglichkeiten durch Eingrenzung von Intuitionen auf Vergleichbarkeit und Berechenbarkeit (so Epikur und der Utilitarismus)
  5. eigenem Nutzen darin, dem Willen zu folgen (so Nietzsche, und so auch Teile meiner früheren Philosophie, als ich die Neugier als Urgrund des Wertes ansah)

Alle diese Antworten sind aber eigentlich keine Antworten, wie wir noch sehen werden, sondern eigentlich nur Ansätze, anhand derer wir das Problem erst recht erkennen können, und was uns daher auch nicht gelöst wird. Da dieser Text ohnehin nur ein Entwurf meines Systems ist, und noch keinerlei Ausarbeitung seiner Ergebnisse, ist es wohl ohneweiteres klar, dass viel mehr als das hier nicht zu leisten ist; ich sehe auch bisher keine rechte Lösung des Problem, als es derlei viele Probleme mit sich führt, dass nicht abzusehen ist, ob es überhaupt lösbar sein kann. Aber ich will doch zumindest ein bischen mehr Licht hier hinein bringen, um zu zeigen, was das Problem ist und warum es bedeutsam ist.

C1.1 - zur Tugendethik

Fangen wir also bei dem Begriff der Tugendhaftigkeit an. Sie hat sich, als Vorstellung einer absoluten Moral, ja bekanntlich gegen die sophistische Vorstellung entwickelt, dass jede Tat nur durch ihren Nutzen bestimmt sei, und setzt dem einen absoluten Anfang beim Handlen entgegen, dass also Gerechtigkeit nichts pragmatisches sein kann, sondern nur etwas absolutes, werthaftes, was sich sodann in Tugendbegriffen wie Gerechtigkeit und Mut ausdrückt. Diese Theorie, die von Sokrates entworfen und von Platon nur in einer dogmatischen Form vertreten wurde, wird dann bei Aristoteles derart verändert, dass diese Tugenden selbst immer Mitten zwischen einem Exzess und einer Verminderung seien, und dadurch als Gewöhnungen an die Vernunft die Moral überhaupt ausmachen. In dieser Form hat sich dann die Tugendethik noch bis heute gehalten; ihr wesentliches Ziel ist insbesondere die Frage nach den richtigen Absichten des Handelns.

Ich glaube, dass in ihrem Kern dabei etwas wahres steckt, dass man nämlich Ethik eben nicht pragmatisch definieren kann, sondern sie immer als absoluten Maßstab ansetzen muss. Ich glaube auch, dass die Tugenden, die hier gegeben werden, dabei mögliche Maßstäbe sind; aber was hier genau als Theorie angegeben wird, ist doch eben das Problem!

Ich kann doch nicht sagen, es sei moralisch, weise zu handeln, wenn ich umgekehrt ja den Begriff der Weisheit erst noch definieren muss, und er damit nichts ist als die Gesamtbezeichnung meines Systems, als ich es als Objekt betrachte; ebenso steht es mit Mut und Mäßigung, die ja ebenfalls nur unter der Voraussetzung eines ethischen Systems überhaupt vernünftige Begriffe sein können (woher könnte ich denn sonst Mut und Tollkühnheit oder Mäßigung und Feigheit unterscheiden? Sie erscheinen doch äußerlich als ein und dasselbe!). Ähnlich steht es auch bei der richtigen Mitte bei Aristoteles, die zwar eine schöne Idee ist, aber überhaupt vollkommen unklar ist, und daher doch erst den Maßstab der Richtigkeit bedarf, um nicht in einer bloßen Formulierung des Mittelmaßes zu bleiben.

Eine viel größeres Problem bei Aristoteles ist zudem, dass er diese Tugenden als Eigenschaften einer Person oder dessen Charakter glaubt identifizieren zu können; ich habe ja bisher schon oft darauf hingewiesen, wie schwer Selbsterkenntnis ist, und dass sie sich eigentlich nur in der Annahme der eigenen Entfremdung wirklich zu Ende denken lässt, weswegen ich hier dieses Projekt völlig ablehnen muss. Ich mag in der Lage sein, den Charakter von mir oder einem anderen in den Handlungen zu erkennen (und darin genau liegt ja der Kern der Ethik!), ebenso wie auch in meinem Denken, was vor den Handlungen kommt und sie begründet; aber da ich die Grenzen meines Denkens von innen niemals werde abschätzen können, wäre es ebenso falsch, das nun für meinen Charakter zu behaupten, weswegen ich niemals sagen kann: Ich bin mutig, schlau etc., sondern nur: ich handle mutig, schlau oder denke mutig, schlau etc. Da mehr denn auch nicht möglich ist, kann man nicht mehr verlangen, aber das zu verlangen ist zugleich schon das mindeste, was wir moralisch von uns abverlangen können - und dadurch ist es das, womit die Ethik sich notwendig beschäftigen wird.

Wir sehen also in der Tugendethik, dass es tatsächlich so etwas geben muss wie ein richtiges Handeln, ausgelöst von richtigen Hintergründen, dass aber dabei noch vollkommen unklar ist, welche das sind. Damit sehen wir hier nur einen Anspruch an die Ergebnisse unserer Ethik, nicht aber ihr Material, was an anderer Stelle gesucht werden muss.

C1.2 - zur Pflichtethik

Kant hat nun ja ein Gegenmodell zu dieser Theorie aufgestellt, das sich nicht auf einen Charakter bezog, sondern einzig auf die Pflicht der Sittlichkeit. Hierin liegt auch eine nunmehr größere Klarheit des Zieles, als jetzt die vorher unklare Tugend jetzt als Gesetz aufgestellt ist, und jenes sogar als transzendentale Notwendigkeit hingestellt wird. Er versuchte ja, aus der reinen Logik herzuleiten, dass man sich ja allein solche Ziele nehmen sollte, bei denen man sie gleichzeitig für sich selbst und als allgemeines Gesetz wollen kann, und versuchte nun aus deren Gegenposition allerlei Verbrechen als rein unlogische Taten dahinzustellen.

Er hat aber nicht beachtet, dass das überhaupt nicht das Problem löst, was wir eigentlich aufgestellt haben! Denn er geht hier ja von den Möglichkeiten des Willens aus, die er zu kennen glaubt - aber woher kennt er ihn? Woher glaubt Kant zu wissen, dass man etwa dazu gezwungen ist, anderen zu helfen, weil man ja nicht gleichzeitig wollen kann, dass ich anderen nicht helfen brauche und dass niemand mir hilft - wenn es doch genauso sein kann, dass ich gar keine Hilfe will, dass ich mithin einsam sein möchte? Woher glaubt Kant zu wissen, damit nun Verletzungen verbieten zu können - wenn das doch aus demselben Grund allen Masochisten freigestellt sein müsste?

Das Problem ist doch folgendes: Wähle ich die Maxime, den Willensgrund, zu allgemein, so kann ich alles tun, da dann in dieser Schwammigkeit jede Handlung letztlich auf einen Grund wie Verlangen oder Lebenswille hinausläuft, und mithin immer verallgemeinert werden kann, ohne auch den geringsten Schaden zu verursachen (als, wenn ich etwa stehle, um zu überleben, ich ja nicht das Stehlen im Vordergrund habe, sondern das Überleben als letztliche Maxime, wie bei allem anderen auch); ich aber, wenn ich die Maxime zu klein wähle (was ich letztlich auch tun muss, da ja jedes Mittel in seinem Mittel-Sein schon Zweck an sich ist und damit eigentlich auch schon Maxime), ich überhaupt gar nichts mehr tun kann, da partikuläre Ereignisse überhaupt nicht verallgemeinerbar sind. Somit liefert der kategorische Imperativ zwar eine schöne Formel, sagt aber überhaupt nichts aus, was sich in konkreten Regeln je wird ausdrücken können.

Außerdem sagt er über viele Situationen rein gar nichts aus. Was sagt denn der kategorische Imperativ dazu, wie ich mich entscheiden soll? Es gibt doch Situationen, wo ich zwei Möglichkeiten habe, die beide damit vereinbar sind, oder - und das ist eigentlich das größere Problem - wo keine Möglichkeit moralisch richtig ist. Wie soll ich mich hier entscheiden? Dazu kann Kant eigentlich keine rechte Antwort geben.

Ähnliches gilt auch für den Begriff der Menschenwürde. Ich stimme zwar Kant zu, dass es einen unbedingten Wert des Daseins gibt, den man auch immer als Zweck an sich sehen kann, aber das hilft leider gar nichts gegen Unterdrückung. Ich kann doch gleichfalls sagen: Du hast einen Wert an sich darin, mein Sklave zu sein!, und widerspreche mich hier überhaupt nicht, da es für die andere Person ja wirklich ein Ziel sein kann. Denn der Begriff des Wertes ist eben einer, der das Subjektive zu Objektivieren versucht, und der im Weltenschatten eines Denkend-Seins, d.i. in einem Körper den Wert der jeweiligen Schattenwelt zu sehen versucht; jener Wert ist aber überhaupt kein Grund dafür, ihn nicht gleichfalls als Mittel einzusetzen. Denn wie oben gezeigt müssen Mittel ja eben den Wert haben, Mittel zu sein, und dieser Wert ist eine Würde an sich (so wie auch das Geld eine gewisse Würde oder Autorität braucht, um als Zahlungsmittel verwendet zu werden), und so hilft das überhaupt nichts, um gegen Ausbeutung und Sklaverei zu kämpfen; denn auch die Sklavenhalter versuchen ja, ihre Sklaven in ihrem eigenen Sinne würdevoll zu behandeln - nur eben nicht in der Würde des Subjekts, sondern der Würde des Münzprägers. (Das genau war es doch, was im Feudalsystem als Ehre bezeichnet wurde - die Ehre, schuften zu dürfen!)

Außerdem stimme ich hier Schopenhauer zu, wenn er die Menschenwürde als vollkommen lächerlich ansieht, angesichts allen Leids auf der Welt; es ist tatsächlich besser, von dem Menschenelend als von der Menschenwürde zu sprechen, wenn man denn überhaupt einen Begriff in Bezug auf den Körper benutzen will. Ich finde hier die Bezeichung: Das Elend des Bewusstseins; in allen Punkten für besser und deutlicher, als es genau das ausdrückt, was zum einen in der Kritik an der Menschenwürde im Kern enthalten ist (ihre innere Falschheit und Inhaltslosigkeit), aber zugleich selbst eine Würde anderer Form ausdrückt.

Jene andere Form ist aber genau die Göttlichkeit der Einai-Theo-Logik, wie ich sie als Wert der Entfremdung dargestellt habe, und zeigt sich eben darum in allem Dasein. Das kann uns also überhaupt nicht helfen, wenn wir irgendeine Form der Moral je finden wollen, da wir in dieser Form alles und jedes als würdevoll bezeichnen können.

Insgesamt finde ich also Kants Anspruch sicher richtig, Moral muss kategorisch sein und in absoluten Gesetzen formuliert werden, die nicht einfach auf Intuitionen gehen können (warum genau werde ich in der Kritik der Utilitaristen noch genauer erklären); sein Ergebnis aber ist nicht wirklich brauchbar, und wir benötigen daher ein neues Prinzip, um wirklich zu einem moralischen Gesetze zu kommen.

C1.3 - zum Positivismus

Der Positivismus versucht dieses Problem nun zu lösen, indem er behauptet, wirkliche Moral komme nur aus einer sittlichen Gemeinschaft, die durch ihr positives Recht die Moral faktisch umsetzt und damit erst die Standarts dafür schafft, dass man etwas überhaupt als gut oder böse bezeichnen kann. Diese Haltung wird oft in Nachfolge zu Hegel vertreten, und ist somit zumindest eine Heglianische Position zu nennen (auch wenn es wohl nicht die Position von Hegel selbst ist).

Was ist davon zu halten? Ich glaube, dass hier zumindest doch eine Sache sicher richtig ist: Ohne einen Bezugspunkt im positiven Recht können wir überhaupt nicht über Moral reden, da wir ja irgendwelche Haltungen brauchen, die wir bewerten wollen, und auch einen Grund, das.zu tun; nun gibt uns das wirkliche Rechtssystem gewiss eine große Anzahl an Haltungen, die wir untersuchen können, nämlich alle, die vom Rechtssystem bewertet werden, und geben uns zudem einen Grund, nämlich eben die Frage, ob die rechtliche Bewertung auch die richtige ist oder nicht.

Denn darin irrt doch der Positivismus: Nur weil etwas rechtens ist, ist es doch noch lange nicht richtig, da sich ja das Recht an die Moral und nicht unmgekehrt die Moral an das Recht zu halten hat. Natürlich ist auch die Moral in gewisser Weise mit dem Recht verbunden, insofern es in gewissen Situationen sicherlich geboten ist, dem Recht zu folgen, aber das ist ja gerade auch ein Teil des Problems, da ich das ja gerade nicht aus dem Recht herleiten kann, und also einen moralischen Grund für die Tatsache, dass man dem Gesetz überhaupt folgen soll, insbesondere von der Moral verlangen muss.

Zudem erstreckt sich ja unsere Frage noch weit über den rechtlichen Bereich hinaus. Denn auch wenn ich wissen würde, dass ich nur dem Gesetz zu folgen brauche, dann ist ja immer noch unklar, welche Freiheiten, die mir durchs Recht gegeben sind, ich denn nutzen soll und wozu. Das Gesetz kann mir auch nicht sagen, warum ich morgens aufstehen soll, wie ich mich entscheiden soll, wenn ich vor einer freien Wahl stehe, usw., kann also gar keine Antwort auf die Moralfrage sein.

C1.4 - zum Utilitarismus und Hedonismus

Das einzige Prinzip, was wirklich versucht, all diese Fragen zu lösen, ist der Konsequentialismus, in seinen beiden Varianten, dem Hedonismus und Utilitarismus. Sie haben beide grundsätzlich dieselbe Idee: Gut ist, was ein glückliches Leben erzeugt, und daher ist das erlebte Glück selbst das Maßstab der moralischen Güte. Beim Hedonismus ist es das Glück für einen selbst bzw. die eigene Lust, beim Utilitarismus dagegen die Gesamtsumme aller Erfahrungen aller Menschen.

Diese Lösung scheitert aus verschiedenen Gründen:

1. Ich kann doch niemals wissen, welche Möglichkeiten ich eigentlich habe. Diese Art des Konsequentialismus setzt ja nicht einfach: Tu das!, sondern: Tu von allem das, was diesem Kriterium entspricht!, ohne dabei auch nur eine Möglichkeit zu geben, wie man denn.überhaupt weiß, was für Möglichkeiten man überhaupt hat. Wie soll ich denn wissen, was ich auch nur tun kann, wenn ich nicht einmal mein Denken bestimmen kann, außer in seiner Unbestimmbarkeit? Ich weiß doch häufig erst im Nachhinein, dass ich etwas tun kann, und gerade nicht vorher; wie soll ich dann alles bewerten?

2. Es ist zudem völlig unklar, wie ich denn diese Erfahrungen zueinander aufrechnen kann. Wie kann ich sagen, dies ist schöner, glücklicher als jenes, wenn ich doch beides nicht zugleich erfahren kann (außer in einer gemeinsamen Erfahrung, aber darum geht es ja gerade nicht), und ich doch somit Dinge vergleiche, die überhaupt nicht vergleichlich sind. Zudem greifen wir doch hier wieder auf Intuitionen zurück, die doch aber bereits überwunden werden sollten, da es ja um Tugenden, um kategorische Prinzipien geht! Wenn ich aber als kategorischen Imperativ setze: Tu was du willst; dann kann ich daraus doch überhaupt keine echte Antwort erfahren.

3. Der einzige Grund, woraus sich der Optimismus sowohl von Utilitarismus als auch von Hedonismus speist, ist die unbegründete Annahme, dass Menschen das Gute wollen, dass sie selbst glücklich sein wollen und damit auch andere glücklich machen. Aber es ist doch mitnichten so! Vielmehr gibt es viele Menschen, die nichts wollen als Tod und Vernichtung, die dabei auch gerne selbst leiden wollen, weil es ihnen egal ist - und soll man ihnen nun sagen, dass es richtig sei, weil es sie glücklich mache? Das Leben selbst ist ja nichts als das Bewusstwerden der eigenen Unfähigkeit und Wertlosigkeit, das bedeutet ja Entfremdung, das ist ja erst der Grund, auf dem ich meinen Selbstwert erbaut habe - und ihr wollt nun glaubhaft machen, dass sei gar nicht so schlimm? Man könne das ertragen? Das ist doch in allen nur.erdenklichen Arten absurd! Der Hedonismus muss nicht allein deshalb scheitern, weil er mir keine Möglichkeit gibt, eine Entscheidung zu treffen (indem ich keinen Anhaltspunkt habe denn meine Intuitionen), er gibt mir zudem vor, ich würde ein gutes Leben wünschen - dabei will ich doch gerade darum Leben, dass mir mein Leben eine Zumutung ist!

Hieraus ist offenbar, dass diese Lösung nicht funktionieren kann; gleichwohl liegt sie aber in anderen Bereichen richtig. Denn es ist sicher so, dass es ein Kriterium geben muss, dass mir sagt, was ich von allen Dingen tun soll, nachdem ich sie alle in all ihrem Hinsichten (verschiedenerlei Intuitionen, Lust, Planungen etc.) durchdacht habe, und damit erst danach ansetzen kann. Der Konsequentialismus sagt uns also zunächst, was nicht die Lösung ist, aber darin sehen wir zugleich etwas, was als Maßstab jeder Ethik zu gelten hat: Dass sie nämlich unter Berücksichtigung aller dieser Eindrücke aufgestellt ist, und keinen ignoriert, sondern wenn überhaupt dann bewusst zurückweist, also nicht sagt: Jenes ist kein moralischer Eindruck, sei nur Lust etc; sondern insistiert, dass es zwar ein moralischer Eindruck ist, aber ein falscher!

Denn darin liegt doch der eigentliche moralische Streit: Was das Gute überhaupt ist, ist ja kein Streitpunkt, hier sind sich ja alle einig; es ist nur die Frage nach der Entscheidung zwischen verschiedenen Werten, die das eigentlich schwierige darstellt. Dass man etwa jemandes Leben retten soll, oder nicht stehlen soll, oder sich nicht umbringen müssen soll, darin sind wohl alle einig; aber ob man zur Lebensrettung stehlen darf (so der Konsequentialismus gegen Kant) oder sich zur Lebensrettung opfern müsse (so manche Vertreter der Tugendethik gegen den Hedonismus), dass sind unklare Fragen, weil es hier.eben zweierlei Aspekte gibt, die in verschiedene Richtungen weisen, und man sich hier entscheiden muss; jene Entscheidungen sind es auch, die Moral überhaupt erst ausmachen. Denn die grundsätzlichen Werte sind ja immer schon da, es ist ihre Begründung in eben diesen Ambivalenzsituationen, die eigentlich entscheidend sind. Und eigentlich sind sogar alle Situationen ambivalent, da man eben immer verschiedene Bewertungen herbeiführen kann; und diese sind dann, da es nunmal Intuitionen sind, die genauso unmittelbar richtig sind wie Sinneseindrücke, immer auch beide richtig, was man nur lösen kann wenn man sich erst alle Intuitionen anschaut und dann entscheidet, dabei also immer auch gegen etwas wie für etwas anderes.

Insofern muss also jede echte Moral erst durch den Konsequentialismus hindurchgegangen sein, um ihn zu überwinden; und nur in der Entscheidung über diese einfachen Intuitionen liegt nun echte Moral

C1.5 - zum Willen jenseits von Gut und Böse und das Missverständnis der Übermenschlichkeit

Nun gibt es eine Theorie, die genau das vorgibt zu tun, die glaubt, eine Lösung für alle diese Probleme zu liefern, also einen absoluten, kategorischen Imperativ, gegenüber dem Hintergrund des Rechts (und hier vor allem gegen ihn), und dabei eine Bewertung für alle moralischen Intuitionen zu geben. Sie lautet:

Tu nur, was dir nützt! Erstrebe deine eigene Macht! oder in anderer Formulierung:
Tu das, was deinem Denken nützt! Erstrebe, was dich interessiert!

Diese Theorie, wie sie in der ersten Form von Nietzsche und in der zweiten Form in meiner älteren Systematik (in Epik und Ethik II) entwickelt wurde, ist also tatsächlich eine Antwort auf unsere Frage, wonach also die Rechtsordung zu verstoßen ist (gleichwohl man sie als Bezugspunkt ja noch haben muss, um den Begriff der Macht denn überhaupt bestimmen zu können), und man hier wirklich eine kategorische Trennung nach einer Vernunft, nämlich der des Machtgewinns, vorliegen hat; es ist aber hiermit wirklich etwas widersprüchlich, und darum lasse ich es weder leicht davongehen, noch kann ich es als Lösung betrachten.

Denn es ist natürlich so, dass ich einen gewissen Willen hinter der Moral sicherlich brauche, und auch das eigene Streben dazu sicherlich einen Bezugspunkt in einem Können, einer Macht, wirklich bedürftig ist. Aber, auch wenn meine Lösung hier die nietzeanische doch sicherlich übertrifft, als sie die erwachsene Rationalität der Macht gegen die kindliche der Neugier und des Wollens austauscht, so ist das doch keine wirkliche Lösung der Problematik, da die Ethik doch eben darum gehen soll, was dieser Wille eigentlich ist!

Ich habe ja doch in mir jenen Willen, das Suchen nach dem richtigen, was mir eindeutig etwas vorgibt, was ich eben erstreben will; und es ist nun so, dass, wenn die erwachsene Rationalität der Nützlichkeit gegenüber der kindlichen zu Niedlichkeit hin überwunden wurde, doch nirgends mehr von einer Messbarkeit jenes Erfolges je gesprochen werden könne, und es alsdann im Denken selbst liegen muss, ob ich in meiner Bewertung erfolgreich bin oder nicht, so dass man von keiner Sache sagen kann, sie sei objektiv moralisch, über ein Erstreben meiner Selbst über sie hinaus.

Nietzsche hat das sehr deutlich gesehen, als er auf die Philosophen schimpfte, die sich Werte ausdachten, die unmenschlich seien, selbst gegen die Natur, und gegenüber denen man übermenschliche Forderungen stellen muss, um dann aus eigener Macht zum Übermenschen zu werden.

Nun hat sich Nietzsche aber gerade die Macht als das übermenschliche gesucht! Mir erscheint es nun doch gerade umgekehrt: Was übermenschlich ist, ist nicht ein Streben nach Macht oder Einfluss, die moralische Setzung, es ist das richtige, für sich einen Nutzen zu erschaffen; es ist vielmehr die Setzung der apriorischen Moral selbst!

Dass ich so deutlich betone, es muss etwas geben, was ich tun soll (und nicht nur tun will oder mir nützlich ist), das also nicht durch einen Gott gesetzt, nicht objektiv festgelegt ist, oder in irgend einer anderen Form als ein Kriterium des Wertes feststeht, sondern vielmehr etwas ist, was die Werte selbst zu bewerten hat - das ist das eigentlich Übermenschliche!

Denn es ist doch geradezu das allermenschlichste, Macht zu erstreben. Gerade Massenmörder sind auch nur Menschen - hier hört man wieder dessen negativen Beiklang. Menschlichkeit ist Fehlverhalten, ist Machtstreben und Gier, ist Hass und Dummheit. Jenes sind die menschlichen Charakteristika, die es zu überwinden gilt!

Und damit kann ich also auch nicht einfach sagen, das Moralische ist das, was im Zusammenhang des Denkens als Erstrebenswertes nahe liegt. Denn jenes ist auch nur ein Wert, nur ein Gutes, nicht aber das, wozu Werte an sich gewichtet und festgelegt werden können. Denn auch jenes wäre nur eine Gewichtung von meinem jetzigen Punkt aus, was mir jetzt mehr Interesse (respektive Macht) verleiht - und das ist eben kein Prinzip der Moral, sondern der Göttlichkeit.

Es ist ja gerade das Problem, dass sich die Bedürfnisse nach Machtstreben bzw. der Neugier immer wieder widersprechen, sich nie auf ein Ziel einigen können, eben da sie ambivalent sind. Alle Intuitionen sind stets ambivalent, denn so sind sie gedacht - ihre Wahrheit liegt in ihrer Wirklichkeit, und von ihnen damit auch die ihres Gegenteils.

Wir müssen das Credo des Positivismus also umdrehen: Ja, das wirkliche ist wahr, aber auch der Traum ist wirklich! Alle Appelle an das Streben an dies oder jenes, alle Appelle an den genauen Machterwerb, das genaue Gesetz, müssen wir immer mit einem Verweis auf das mögliche umgeben, der uns also sagt, was es heißt, dass jede Sache nicht nur respektive ihrer momentanen Wirklichkeit eine Wahrheit besitzt, sondern immer auch in ihrer Umekehrung im Traume, und somit kein Kriterium, was einen solchen Wertbestand irgend als sinngebend ansieht, sich konsistent wird darstellen können, wird es auch nur das mindeste auf den Traum ausgedehnt.

Somit kann ein Wille, ein Streben, keine Antwort sein, denn diese Antwort ignoriert zwar nicht (wie etwa der kantianische Ansatz) das Problem der Fundierung in den Intuitionen, die ja manchmal genau gegenläufig sind, verkennt es aber, auf alle Intuitionen zu antworten, sondern erhebt gewisse nun selbst zur Antwort. Das also kann die Antwort nicht sein; gibt es also überhaupt eine?

C2 - Ansprüche an eine künftige Moral

Ob wir nun dieses Übermenschliche, das Überwinden unseres Willens durch das Richtige, aber aus dem Willen heraus und ihn nicht ignorierend, wirklich leisten können, soll jetzt unsere eigentliche Frage sein. Ich habe bisher noch keine eindeutige Antwort gefunden, will doch aber zumindest einige Punkte anmerken, die in Ansehung dieser Frage doch zu häufig als nichtig abgetan werden.

Halten wir also unsere Ansprüche an moralische Forderungen fest. Sie sollen

  1. Handlungen bewerten, keine Personen
  2. absolute Maßstäbe liefern
  3. kategorische Imperative sein
  4. sich vor dem Hintergrund des positiven Rechts formieren
  5. alle Wertintuitionen miteinbeziehen
  6. aber über das Menschliche ins Übermenschliche hinausgehen
  7. Werte gegeneinander aufwerten, ohne sie aufzurechnen
  8. Dadurch sagen, was ich tun soll, nicht, was ich tun will

Kann es solche Erkenntnisse überhaupt geben? Wir haben ja schon mehrere Schwierigkeiten gesehen:

1. Sie können nicht einfach mit dem Willen übereinstimmen, da der reine Wille an sich nie konsistent ist und darin ja das Problem des Menschlichen überhaupt zum Ausdruck bringt, d.i. dass wir niemals eine Art von Intuition zur Moral erklären können, ohne uns nicht den Vorwurf erwehren zu müssen, diese Wahl sei willkürlich, da eben nur intuitiv und nicht objektiv.

2. Dass wir aber auch nicht einfach sagen können: Dies ist objektiv richtig; da eine solche Festlegung als positives Recht immer nur ein Bezugspunkt, und damit nie das Ergebnis eines moralischen Systems sein kann, sondern nur der Ausgangspunkt, was eigentlich zu bewerten ist.

3. Wir können zudem nicht sagen, dass also Moral eine weder intuitive noch objektive Wahl zwischen verschiedenen Optionen ist, die entscheiden soll, ob A oder B das richtige ist, da die Frage, was überhaupt mögliche Alternativen sind, selbst eine ist, die den Beschränkungen meiner Intuitionen unterliegen (d.i. wie viel ich mir denken kann) und somit mitnichten ein Kriterium einer wirklichen Wahl wäre

4. Und zudem kann es auch nicht, wie es der Utilitarismus glaubt, aus dem, was man denn denken kann, errechnet werden, da man verschiedene Werte gar nicht aufwiegen kann.

Ich stehe hier also vor dem wirklichen Problem, dass ich mir in meiner Entscheidung immer ungewiss sein muss. Ich kann nicht sagen: Das ist jetzt das richtige!, wenn doch jeder nur erdenkliche Eindruck, dass es richtig sei, nur Intuition, wenn jedes Recht mir nur Illusion, ja wenn sogar der Wert für die Menschheit falsch und mein Eindruck des Möglichen mir gänzlich unsinnig erscheinen muss! Aber es muss trotzdem einen richtigen Weg geben, das kann ich doch nicht so einfach aufgeben.

Alle bisherige Moral hat solche Fälle als randständig abgelehnt, hat sich nur mit dem Guten und dem Schlechten beschäftigt und daraus versucht, den Rest herzuleiten. Aber in allen wirklichen Entscheidungen ist es doch gerade so, dass ich micht nicht für das Gute oder das Schlechte, sondern zwischen Gütern oder zwischen Übeln zu entscheiden habe. Die eigentliche Frage der Ethik ist doch darum nicht: Was ist das vollkommene Gute? Sondern: Was ist das geringere Übel?

Um die ganze Verworrenheit der Situation noch deutlicher zu machen, muss ich wohl noch etwas über die Entscheidung schreiben, da dieser Begriff am allermeisten Probleme auslöst, die in der üblichen Ethik gar nicht beachtet werden, da sie nicht als Teil des Problems gesehen werden. Ich aber halte sie für den zentralen Punkt des ganzen Problems, so dass ich ihn hier am deutlichsten darstellen möchte.

C3 - Wille und Gerechtigkeit

Zunächst um die Frage, wie unsere Vorstellung vom Rechten, von Gerechtigkeit, selbst von unserem Willen beieinflusst werden. Wir stehen hier vor einem Paradox:

Zum einen will ich ja das Richtige tun. Es wäre ja völlig unsinnig, Moral zu betreiben, wenn ich nicht diesen grundsätzlichen Willen hätte, moralisch zu handeln, und mich darum an die Ergebnisse meiner eignen moralischen Reflexion zu halten, wohin sie mich auch bringen mögen. Zum anderen ist doch aber Moral gerade darüber, den Willen zu überwinden, d.i. nach Pflicht und nicht nach Geschmack zu handeln. Wie aber kann es mein Geschmack sein, über ihn hinwegzugehen? Anders gesagt: Wie kann ich wollen, etwas zu tun, was ich nicht will? Oder noch deutlicher: Wie kann ich meinen Willen nicht wollen?

Das ist es doch, was Nietzsche mit Lebensverneinung der Moral meinte, und er hat auf gewisse Weise ja recht damit, dass es äußerst seltsam ist, freiwillig seinen Willen abzugeben. Aber es ist ja offenbar etwas, was passiert, was auch nicht das Leben verneint, aber doch ein seltsames Phänomen des Willens darstellt.

Bei unserer vorherigen Untersuchung des Willens ging es ja darum, den Willen transzendental als das Streben zum Denken überhaupt zu beschreiben. Dabei kam als Ergebnis heraus: Wille ist die Ambivalenz von Neugier und Angst. Ich will, dass ich nicht weiß, was ich will. (D.i. der Wille zur Unsicherheit, das Erstreben der Angst). Aber es liegt doch noch ein gewaltiger Unterschied zwichen: Ich will, dass ich nicht weiß, was ich will; und: Ich will nicht tun, was ich will; und jenen Graben zu überbrücken wird also unsere erste Aufgabe sein, wenn wir Moral überhaupt als etwas darstellen wollen, was man sich als wünschenswert auch nur denken kann.

Setzen wir nun zunächst den ersten Satz, dessen Richtigkeit ja schon erwiesen ist, in den zweiten ein, um zu sehen, ob er uns nun sinnvoller erscheint:
Ich will nicht tun, dass ich nicht weiß, was ich will;
bzw: Ich will nicht meine Unsicherheit ausführen, ich will keine Angst haben.

Das also ist der Kernspruch der Moral, und er ist nun in gewisser Form ja in der allgemeinen Willenstheorie schon enthalten. Setzt man dessen Satz nämlich in sich selbst ein, erhält man:
Ich will, dass ich nicht weiß, was ich will, dass ich nicht weiß, was ich will;
bzw: Ich will nicht wissen, worin mein Wille zur Unsicherheit besteht;
ich über meine Unsicherheit selbst unsicher bleiben; ich will Angst vor meiner Angst haben.

Wie aber kommt man nun von der Angst vor der Angst zum Unwillen zur Angst? Wie komme ich vom Willen, über meine Unsicherheit unsicher zu bleiben, zum Willen gegen die Unsicherheit selbst? Oder ich formuliere es doch um, als der Begriff der Angst doch noch undeutlicher ist, im Begriff der Neugier: Wie komme ich vom Willen zum Unbekannten zum Nichtwillen des Bekannten (und sei es auch der bekannte Wille zum Unbekannten)?

Diese Frage ist es eigentlich, die die ganze Untersuchung über die Neugier durchzieht. Denn ich weiß nun zwar, dass ich neues will, eben da ich nicht weiß, worin mein Wille liegt, als ich das, was mir egal ist, gar nicht sehe, und somit jede Beschreibung des Willens falsch ist, wenn nicht dessen Unbeschreibbarkeit; und das ist eben Undeutlichkeit, also Wille zur Fremdheit, Neugier. Aber das sagt nur, dass ich neues will, nicht das ich dessen Umsetzung, als ein bekanntes, nun nicht will, denn das wäre ja im Allgemeinen widersinnig. Wie kann es aber dann sein, dass ich in bestimmten Fällen (wo eben die Neugier ins verbrecherische geht) die Neugier selbst nun nicht erstrebe, sondern verachte?

Ich glaube, dass man das ganze nur lösen kann, wenn man auf die tiefere Ambivalenz von Schönheit und Verachtung hört, als sie hier bedeutet, dass man das Verbrechen eben nicht nicht will - sondern dass man es besonders will, aber eben negativ! Es ist doch gerade dieses weggestoßene Verlangen, was die Moral überall trägt. Nicht, dass mir die Möglichkeit, andere umzubringen, egal ist - sie ist doch gerade das Gegenteil, als es genau die Beachtung solcher Situationen ist, die Moral erst aufbaut. Ich glaube, meine Moral besteht im Kern in einer Ablehnung der eigenen Triebe, gerade dort, wo diese vorhanden sind - und nicht in der Unterdrückung des Willens! Es ist gerade nicht so, dass ich nicht will, dass ich es will, sondern dass ich es einerseits will, und andererseits auch nicht. Darin eben zeigt sich die innere Ambivalenz auch des Willens (also nicht nur des nur mittelbaren Wertes, der ja nur Abbild vom Willen zum Streben ist), dass ich also dasselbe auf eine Art erstreben kann (etwa jemandes Tod), und auf andere Art es auch verachten kann (etwa hier den Mord als barbarisch).

Aber das löst hier nur das Problem, dass die Moral über den Willen nicht definiert werden kann, d.i. dass ich sie nicht ausschließlich wollen kann. Der Wille selbst ist zerrissen, wenn ich Moral will - und wie kann ich sie dann noch wollen? Ich sehe keine wirkliche Lösung dafür, als diesen Widerspruch einfach anzuerkennen, dass ich also meinen Willen nicht ausführen will; Ob und wieweit sich dieser Widerspruch denn überhaupt auflösen lässt, lasse ich hier noch stehen, das mag ich dann im letztlichen System deutlicher behandeln, wenn mir dort bessere Einsicht beschieden ist.

C4 - Freiheit, Neugier und die Frage nach dem Rechten

Eine Frage, die ich bisher noch nicht einmal erwähnt habe, einfach weil sie auch noch nicht viel mit der Moral im eigentlichen Sinne zu tun hat, ist die Frage, ob wir tatsächlich frei sind oder nicht. Wie verhält sich Freiheit nun zur Moral; schränken die moralischen Prinzipien unsere Freiheit ein oder erschafft sie diese zuallererst?

Ich kann nicht einfach sagen, dass ich mich frei entscheide, wenn meine Entscheidung nicht meinem Willen folgt, d.i. wenn sie nur einem formalem Prinzip unterworfen bleibt, die als reine Pflicht angenommen wird. Das hat Kant nicht recht beachtet, als er glaubte, aus der Pflicht die Freiheit herzuleiten, als man doch sich zur Pflicht selbst frei entscheiden müsse, wenn denn die Freheit in der Entscheidung selbst begründet sei! Jener Wille zur Pflicht überhaupt ist damit Grundlage zur Freiheit, und ihn werde ich in diesem Sinne - wenn ich der kantischen Konzeption überhaupt folgen kann - als allgemeines Prinzip annehmen müssen.

Aus meinem Willen, meiner Neugier, gibt es aber schlechthin kein endgültiges Ziel. Ich will, dass ich nicht weiß, was ich will - und eben darum nichts bestimmtes über ein anderes hinaus.

Aber diese Neugier selbst ist hier auch eine Einschränkung von Freiheit. Wenn mein wirklicher Wille auf eine Auflösung aller Sinngrenzen aus ist (woher die bisherige Darstellung ihre Perspektive wohl nehmen muss), so kann ich doch eben nicht etwas bestimmtes wollen. Wie kann ich aber dann dieses bestimmte, d.i. die Unbestimmbarkeit überhaupt, jemals wollen? Hier sehen wir doch die Selbstanwendung in anderer Form, d.i., dass ich will, dass ich nicht weiß, dass ich nicht weiß, was ich will; mein Wille ist ebenso der Wille zur Angst wie Wille zur Verdrängung der Angst.

Hier stoßen wir auf ein ähnliches Problem wie schon beim Willen: Wie kann ich frei sein darin, nicht frei zu sein? Wie kann ich mich freiwillig unter ein Gesetz stellen? Zwar erscheint es mir als einzige Wahl, und die Natur der Freiheit (als dessen Unklarheit ja gerade an die Begründung des Wesens vom Willen aus seiner immanenten Antionomie gebunden ist und somit tatsächlich nichts ihr widerspenstiges ist) kann somit auch erst wirklich erfasst werden - aber ist das noch Freiheit, in dem Sinne, dass ich frei bin, und nicht nur mein Handeln unabhängig meines Denkens?

Zudem komme ich auf eine weitere Widersprüchlichkeit, die alles Denken um die Freiheit notwendig umfasst: Ich kann zwar deutlich erkennen, dass ich jetzt frei bin, aber ich bin mir deutlich unsicherer, ob ich in Zukunft frei sein werde - und um wieviel mehr noch in der Vergangenheit! Ich sehe doch, dass alles, was ich je tat, im Rückblick mir mein Schicksal sein muss - wie aber kann ich dann frei gewesen sein? Wie kann ich frei gewesen sein, wenn ich nur dadurch jetzt darüber nachdenken kann, ob ich frei war? (d.i. ob ich frei war im Rückblick, nicht in der damaligen Gegenwärtigkeit)

C5 - Über die Frage, ob ich zwischen oder für etwas mich entscheiden muss

Ich gehe nun noch auf ein weiteres Problem ein, was Entscheidungen überhaupt betrifft, insofern nämlich unklar ist, welche Struktur sie überhaupt besitzen. Es wird nämlich häufig angenommen, dass ich mich zwischen verschiedenen Optionen entscheide, dass ich also sage: Dieses ist alles, was ich tun kann, und daraus nehme ich jetzt eines, was am besten ist. Aber handelt man denn je so?

Mir erscheint es, dass ich eigentlich doch eher so handle: Ich weiß zwar überhaupt nicht, was ich tun kann, noch, ob das, wozu ich mich entschieden habe, auf irgend eine Art das beste ist, aber gerade deswegen entscheide ich mich jetzt für dieses, als es mir das Richtige ist, egal was sonst vorhanden ist.

Diese Art der Entscheidung ist auf gewisse Art sogar notwendig. Denn ich kann ja gar nicht alle Möglichkeiten aufzählen, wenn nicht unter Voraussetzung eines Prinzips; jenes Prinzip aber ist selbst etwas, was sich mir als das Richtige gezeigt haben muss, damit ich es als Prinzip überhaupt habe annehmen können. Als solches aber kann ich mich nicht zwischen, sondern nur für ein Prinzip entschieden haben. Wer das bestreitet, der sucht ein Prinzip der Prinzipien, bei welchem man entsprechend fragen kann und muss, um zum Urgrund der Entscheidung für die Welt vorzustoßen. Jener Urgrund, die Entscheidung für etwas, ist nun das eigentlich rätselhafte, insofern es nämlich allen bisherigen Kriterien widerspricht.

Wie nämlich kann ich mich für etwas entscheiden, ohne eine Vorstellung meiner Möglichkeiten zu haben? Wie kann ich sagen: Das ist das wahre, das richtige; wenn ich wahrlich überhaupt nicht weiß, wohin ich sonst meine Entscheidung hätte richten können? Ich kann doch immer noch etwas hinzudenken, hier, dort, noch ein weiterer Weg für meine strebende Vorstellungskraft - und doch entscheide ich mich jetzt, für etwas, nicht dazwischen.

Aber jenes ist eben ein Durch-Einander: Durch das Entscheiden für etwas allein kann ich mich zwischen Dingen entscheiden (eben zwischen Dingen, für die ich mich entschieden habe); aber auch nur durch das Entscheiden zwischen verschiedenen Möglichkeiten kann ich mich für etwas entscheiden (als das, was meiner Vorstellungskraft im Moment des Denkens vorkommt und irgendwie gewünscht wird); insofern beides durch einander, und dadurch alles durcheinander.

Das ist aber das eigentliche Problem, dass ich meine Entscheidungen schon unter der Voraussetzung vom Willen führen muss, der aber selbst eine Entscheidung ist - und insofern die Entscheidung keiner externen Begründung fähig ist, noch viel weniger aber einer internen Begründung, als sie dann wieder nur den Willen als höchstes setzen würde, was in keinster Weise etwas für mein Ziel bringen würde, eine wirkliche Grundlegung der Ethik zu versuchen.

C6 - Egoismus und Selbstlosigkeit

Ein weiteres Problem der ethischen Frage ist das, was gewöhnlich unter dem Begriff der Selbstlosigkeit im Gegensatz zum Egoismus verstanden wird. Inwiefern kann ich diese Abgrenzung überhaupt ziehen, und wo bleibt sie sinnvoll?

Es ist ja ein altbekanntes Problem zu entscheiden, ob man moralisch handle, wenn man es gleichwohl auch (oder gar allein) aus Eigennutz tue, etwa, um durch die eigene Moralität Bekanntheit oder Anerkennung zu erlangen. Intuitiv erscheint es so, dass derlei Verhalten an sich amoralisch, ja dass Egoismus im Kern falsch und verwerflich ist.

Nun ist das aber schon problematisch, denn es ist ja hier zu fragen: Zu welchem Selbst gilt der Nutzen? Ich kann mich ja selbst nur als mein immanentes Missverständnis verstehen, und so ist schon fraglich, ob ich überhaupt eigennützig handle - oder nicht immer nach einem anderen Ziel? Oder ist letztlich alles Eigennutz, wenn ich mit der Universalität des Strebens zum besseren in mir mich angleiche?

Auf ähnliche Weise steht es mit dem dem Begriff der Selbstlosigkeit. Wenn ich mein Selbst immer schon los bin, wie kann ich dann selbstlos sein? Wie kann ich, ohne die Polarität von Selbst und Welt in neuerlicher Falschheit zu behaupten, eine Grenze ziehen zwischen Nutzen für mich und für die Welt? Zumal, als ja jeder Wert als Nutzen für etwas auch Wert für sich selbst ist, und mithin kein eigentlicher Wert hinter dem Nutzen da ist, der durch ihn übergangen wird, sondern vielmehr durch den Egoismus das Wert-Sein der Sache an sich ja immer schon mitbehauptet wird?

Ich kann hier nicht einfach sagen: Handle selbstlos!, denn damit ist doch etwas völlig unsinniges unterstellt, dass es nämlich eben jenen Unterschied von Selbst und Welt gebe. Ich glaube, es ist deutlich besser zu sagen, dass man richtig handeln soll, egal ob es selbstlos oder egoistisch ist, ja dass sogar beides im Kern dasselbe ist. Ich finde, das eigentlich falsche an der sogenannten egoistischen Moral des Willens, wie man sie etwa in der üblichen Interpretation Nietzsches findet und wie sie sicherlich die heutige liberale Ideologie verbreitet, liegt nicht darin, dem eigenen Willen zu viel Raum einzuräumen, nein; er gestattet meinen Wünschen viel zu wenig zu. Denn was ich will ist doch gerade die Frage!

Die Frage nach der Ethik ist doch nicht bloß die, wie man die verschiedenen Interessen im Zusammenhang des Handelns verbinden kann, wo es ja offenbar Konflikte zwischen Personen gibt, sondern viel mehr, wie man die Konflikte im eigenen Denken selbst lösen möge! Ich bin mir doch selbst permanent unsicher, zweifelnd, verwirrt - und da einen festen Punkt zu finden, das ist Ethik. Hier nun ist es völlig einerlei, ob man das nun als egoistische Suche nach innerer Ruhe oder als selbstlosen Versuch, die Welt zu einen, bezeichnen will - es ist dieselbe Frage: Was soll ich tun?

Indem aber die alte Ethik zwischen Egoismus und Selbstlosigkeit unterscheidet, erlaubt sie es, eigentlich richtige Ansprüche vorschnell zu entfernen. Denn das Streben zum eigenen Wohl ist ja nicht an sich falsch, auch wenn es sicherlich irrational ist. Denn natürlich habe ich keinen Grund, am Leben bleiben zu wollen - wo sollte dieser sein, wenn ich nicht irgendwo einen Grund zu einem Wert überhaupt sah - und dieser Wert doch nichts Sein kann als Selbstentfremdung? Allein das aber hilft uns überhaupt nichts, denn jene Intuitionen widersprechen sich ja: Leben zu wollen und für etwas sterben, sich selbst und andere gut leben sehen etc.

Insbesondere problematisch ist nun hier die Unterstellung, dass man für sich selbst etwas tue oder verehre, wenn doch darin schon die falsche Idee eines Selbst, einer Identität, bereits enthalten ist, die doch das ist, was wir als Gegenpunkt unserer ganzen Untersuchung zu nehmen haben (wie denn im politischen Teil noch genauer herauszustellen ist). Somit behaupte ich nicht etwas, dass man selbstlos handelt, wenn man seinem Egoismus nachgeht, oder dass man im selbstlosen Handeln seine eigenen Wünsche erfüllt, nein, sondern ich behaupte hier viel grundlegender, dass die ganze Unterscheidung vom Selbst und der Welt völlig falsch ist und wir zu einem beides umfassenden (und dabei diesen Widerstreit gerade vermeidenden) Prinzip des Handelns kommen müssen, dass mir wirklich sagt, was ich tun soll - für mich wie für die Welt, da beides mir im Erscheinen als eines ist.

C7 - Ungewissheit, Ambivalenz, Gewissen - eine falsche Form der Rechtfertigung aus Notwendigkeit

Eine weitere Problematik ist die Frage, wie wir vergangene Handlungen bewerten sollen. Hier können wir es uns nicht so einfach machen, dass jede Handlung im Moment des Handelns ja im Jetzt ist, und daher auch nur momentane Bewertungen nötig sind; was in gewissen Form.nämlich zwar sicher richtig ist, aber das eigentliche Problem nicht um das mindeste löst. Denn ich muss mich doch ebenso fragen: Was wäre gestern richtig? Also nicht nur: Was wäre gestern richtig gewesen?, sondern vielmehr: Was wäre von nun an gestern richtig? Was ist aus der Gegenwart das Richtige in der Vergangenheit?

Insofern die Gegenwart die Vergangenheit ja nicht nur als anderen Zeitpunkt, sondern insbesondere als Bezugspunkt zur moralischen Betrachtung selbst wird nehmen könne, so kann man diese Frage offenbar nicht empirisch nehmen, als man sonst etwa sagen würde: Was wäre aus der heutigen Sicht damals richtig gewesen? Wie sollte man also über Fehler urteilen, nachdem man ihre Auswirkungen kennt?

Jenes kann offenbar nicht funktionieren, aber ganz so einfach kann ich es mir nicht machen. Denn dann wäre ja alles auf gewisse Art richtig: indem ich vorher unsicher bin, im Moment mich in meiner Ambivalenz verliere und nachher immer ein schlechtes Gewissen habe, als ich mir nur der schlechten Auswirkungen bewusst bin, ist also jede Entscheidung schlecht und notwendig damit ebenso richtig. Jenes ist offenbar Unsinn, denn es gibt wirklich moralische Wahrheiten, die nicht einfach durch schlechtes Gewissen weggeräumt werden können; aber wie kann man das überhaupt annehmen, ohne nicht zum Präsentisten zu werden?

Denn ich glaube eben schon, dass auch vom Moment der Gegenwart genommen eine Handlung in der Vergangenheit eben an meinem jetzigen Moralsystem muss geprüft werden, auch dann, wenn diese Handlung selbst konstitutiv zu meiner eigenen Moralvorstellung ist. Wie sollte ich etwa sagen: Ich verzichte darauf, etwa die Verbrechen der Nazis zu verurteilen, weil sie selbst als Beispiel dienten, woran ich meine Moral übte? Aber wie kann ich es denn andererseits wagen, eine Bewertung zu tun, ohne damit in Zirkelschlüsse oder Nichtigkeiten zurückzufallen?

Wir benötigen hier offenbar ein überzeitliches Moralprinzip, eines, was allgemein, unmittelbar und ohne Unterschied des Kontextes anwendbar ist und insbesondere nicht aus der Geschichte gewonnen ist. Hierin versagt denn auch der Positivismus, als er es zwar schafft, die Gegenwart mit den Mitteln der Gegenwart zu behandeln, und ebenso die Vergangenheit mit den Mitteln der Vergangenheit, aber niemals die Vergangenheit aus dem Blicke der Gegenwart, als das gegenwärtige Recht ja gerade durch jene Verfehlungen ausgebildet wurde, die in der Vergangenheit Recht waren; dazu also insgesamt ein allgemeineres Prinzip nötig ist, solche Bewertungen denn je treffen zu können.

C8 - Gibt es ein entschiedenes Vielleicht?

Nun mag man sich aber eine weitere Möglichkeit denken, die schon die antiken Skeptiker sich hier offenhielten: sich zu enthalten. Kann ich nicht schlicht sagen, dass es keine rechte Entscheidung gibt, sondern sich nur im Enthalt jener Frage überhaupt Moral finden lässt? Schließlich sind die Ergebnisse bis jetzt äußerst dürftig, außer einem großen Problem haben wir schlicht nichts vorzuweisen. Gibt es also jene Enthaltung? Gibt es das entschiedene Vielleicht?

In jener Haltung würde ich also allgemein behaupten: Da ich keine Wahl zwischen dem Guten und dem Schlechten je treffen könnte noch wirklich treffen werde, so entscheide ich mich nur dazu, ein beliebiges zu tun, ohne allgemeines Prinzip, als jedes Prinzip selbst Aufhebung eines anderen ist, selbst willkürliche Auswahl und menschliches Vorurteil, und bin dann lieber ehrlicher und stelle mir jene Willkür selbst als Prinzip, denn sie augenscheinlich zu verneinen, nur um sie in der Begründung jenes Prinzips wieder einzuführen.

Jenes wäre denn eine schöne Wahl - sie vermeidet ja offenbar alle Unwägbarkeiten, mit denen wir uns bisher schon kämpfen sahen - aber sie funktioniert leider nicht. Ich kann nämlich eben nicht einfach sagen: Mir ist jenes egal; denn wie könnte ich das sagen, wenn ich damit doch eine Entscheidung um etwas fälle, das mir also nicht egal ist?

Jede Entscheidung ist unwägbar, ist ambivalent. Das heißt aber gerade nicht, dass jede Entscheidung falsch und damit nur die Unentschiedenheit einzig richtig ist, nein; es bedeutet viel mehr, dass die Trennung von Entscheidung und Unentschiedenheit selbst verloren geht. Indem ich behaupte, dass es eine ungeheure Ambivalenz in allen Entscheidung gibt, dass sie sogar letztlich das Wesen der Entscheidung ausmacht, meine ich nicht nur, dass man sich vor oder während der Entscheidung unsicher ist, was man tut - es ist vielmehr so, dass die Entscheidung für etwas immer auch die Entscheidung für die in der Entscheidung immanente Unsicherheit ist.

Indem ich sage: Jenes tue ich! so sage ich doch immer auch mit: Ja, ich tue jenes, eben weil ich anderes bedachte und für falsch ansah! Wenn es nämlich solcherlei Möglichkeiten nicht gäbe, so wäre es keine Entscheidung, ja so könnte ich es nicht einmal wahrlich aussprechen (denn als leeres Wort, wie man sich sagt, dass ich wahrlich ein Mensch bin - wo zu fragen ist, wann man sich entschieden hat, keine Fliege, kein Stein oder Regentropfen zu werden). Aber damit bin ich doch selbst auch diese andere Seite - indem ich ausspreche, was ich will, spreche ich auch immer die Widersprüchlichkeit aus, etwas bestimmtes zu wollen. Das ist auch ein Teil des Sinnes davon, dass ich will, nicht zu wissen was ich will. Ich kann nicht einfach sagen, was ich tun möchte, ohne daran zu zweifeln, ja dieser Zweifel selbst ist eigentlich erst das, was es zu meinem Willen macht (im Unterschied zu blinder Überzeugung und bloßen Fakten, die man nicht wollen kann, sondern an die man glauben muss).

Indem ich jetzt aber versuche, mich nicht zu entscheiden, versuche ich eben so eine Struktur wieder aufzubauen. Ich glaube also jetzt, dass ich mich entweder für das eine oder das andere entscheiden muss, und da beides falsch ist, so kann ich von beiden mich abkehren - wenn doch in Wirklichkeit gerade in dem Akt der Abkehr schon Entscheidung enthalten ist, wenn im Abbruch selbst schon Hinweisung ist, und ich also - indem ich verusuche, einen neuen Weg zu finden - nicht weiter mache, als jene alten Wege zu bewerten, sie in ihren immanten Fehlern selbst zu begreifen. Damit aber, dass also jetzt Entscheidung gegen etwas mit der Entscheidung dafür zumindest formgleich ist, kann ich mich nicht mehr einfach enthalten; denn für nichts zu sein heißt somit zugleich, für alles zu sein, egal was es werde. Ich benötige also ein besseres Kriterium, uns muss es also wirklich suchen, und kann mich nicht länger über die Notwendigkeit durch falsche Gleichgültigkeit hinwegtäuschen.

C9 - Wie kann ich überhaupt Handeln?

Wie also kann es so ein Prinzip geben? Wie kann ich es finden, oder kann ich es überhaupt finden? sind somit die eigentlichen Untersuchungsfragen der praktischen Philosophie der Kindlichkeit. Offenbar ist es kein leicht aufzufindendes Prinzip - denn ein solches wäre schon gefunden worden - es ist aber ebenfalls nichts, was sich einfach aufgeben lässt. Wie also ist damit umzugehen?

Das Problem ist hier, dass wir uns in jedem Moment entscheiden müssen, aber eigentlich gar nicht wissen, wozu wir uns entscheiden können, noch weniger sollen, und dennoch entscheiden müssen. Die Frage nach der Moral ist damit die Frage nach der Entscheidung im Leben überhaupt, und damit die Frage nach der Möglichkeit eines rationalen Lebens.

Zwei Möglichkeiten erscheinen als erste, aber diese beiden können es eben nicht sein, wie wir wissen. Denn Entscheidung ist

1. weder die Wahl für das naheliegende, intuitive, da dieses in sich widersprüchlich ist und seiner sich selbst gestellten Forderung nach Unmittelbarkeit nicht nachkommen kann, da es eben schon einen Wert des Lebens braucht, durch derenthalben Entscheidung es immer schon vermittelt ist; und

2. auch nichts, was sich durch Hilflosigkeit überhaupt wird begreifen können, als die Unsicherheit selbst ein Element des entschiedenen Willens ist, weswegen es eine Unsicherheit außerhalb von Entscheidung niemals wird geben können, wenn sie nicht zugleich Entscheidung für beides ist.

Wenn wir also die Möglichkeit eines Prinzip des rechten Handelns uns doch als ferne Möglichkeit offen halten wollen - und das halte ich, wie gesagt, für unbedingt notwendig, um dem Projekt der Philosophie überhaupt einen Sinn zu geben - müssen wir insbesondere auf die Widersprüche im Willen selbst achten. Wir müssen aus der Hoffnungslosigkeit der Lage selbst unsere Hoffnung schöpfen, als es einzig im Scheitern ist, wo wir uns wirklich erahnen können.

Jene Ahnung des zu kommenden - der übermenschlichen absoluten Moral des träumenden Idealismus, des Wertes aus und für Kuscheltiere - jene ist aber hier noch so unvollkommen, und eben dessentwillen nur Ahnung, dass ich hierzu nicht weiter viel werde sagen können. Ich muss auf ein solches Prinzip meine ganze Betrachtung richten, aber ob ich es finden kann, ist eben darum doch vollkommen unklar.

Was ich aber jetzt schon behaupten kann, ist, dass es keineswegs ein rationales Prinzip sein kann. Denn jede Rationalität kommt aus dem Nutzen für etwas, aus dem Wert zu etwas, aber dieser Wert selbst entspringt erst dem Werte überhaupt, der in seiner Entfremdung sich wertgebendes Wesen ist. Aber jener Wert ist eben darum etwas, was im Bezug auf die Handlung nicht die geringste Bedeutung hat; als es hier darum geht, nicht was gut oder schlecht wäre, sondern was ich wirklich tun, nachdem ich weiß, was gut oder schlecht ist. Jene Entscheidung kann mir niemand abnehmen, also muss ich sie mir selbst abnehmen - und darum in meinem Denken selbst jenes Prinzip suchen, aus dem das Denken überhaupt einen Wert nur gewinnen kann.

Jenes Prinzip also ist keines, was sich auf bisher dargestellte Art erkennen lässt. Die Widersprüche, auf die wir bereits staßen, zeigen deutlich, dass weder Intuition, noch Begriffsbildung, auch keine Transzendentalie des Selbst oder des Willens und schon gar kein objektives Experiment und einen Anhaltspunkt zum Prinzip des Handelns überhaupt wird geben können. Ich benötige also eine neue Erkenntnisform, um überhaupt jenes erkennen zu können - und eine solche habe ich bisher noch nicht gesehen, auch wenn sie zweifelsfrei vorhanden sein muss, als ich bin und denke, und daher irgend wie mich doch habe entscheiden können, worin dann ein Anhaltspunkt zu jenem Prinzip zu finden sein wird.

Es könnte sich aber auch (so ungern ich das mir selbst denn zugäbe) auch heraustellten, dass es tatsächlich kein solches Prinzip weder gab noch je wird geben können, und dass alle Suche danach vergebens war, ja dass wir wirklich nichts sind als Elemente eines Systems, die Entscheidungen nach Gewohnheit und Recht und vielleicht nach menschlicher Natur treffen, aber darüber hinaus keine Moral werden finden können. Jene Ansicht lehne ich ab; nicht, weil ich sie für völlig unsinnig halte (gar vieles in der Beobachtung spricht doch für diese These), sondern weil ich nicht einfach aufgeben kann, ein Ziel für mein Handeln zunsuchen. Jenes Suchen nämlich hat mir doch zumindest schon gezeigt, was nicht das ist, was ich tun soll (was aber keineswegs heißt, dass ich es nicht tun soll, sondern nur, dass ich es nicht deswegen tun soll), und jene Erkenntnis ist doch wahre und echte Erkenntnis der Moral. Das Ziel ist zu wichtig, um es einfach aufzugeben, und darum halte ich an meiner Suche fest. Zu dieser Suche muss aber dann auch insbesondere die Auseinandersetzung mit der Antithese der Unmöglichkeit von Moral liegen, als wir genau in ihr den Prüfstein aller moralischen Prinzipien überhaupt finden können: nicht gleichgültig zu sein. Und damit dürfen wir die Empirie nicht einfach ausschließen, so wie es Kant vorschnell tat; wir müssen vielmehr durch die Unmöglichkeit der Moral hindurchgegangen sein, um sie erst in wirklicher Stärke neuerlich behaupten zu können!

Mehr als dieses bloße Ziel ist mir bisher aber an festem nicht erschienen, und obzwar ich weiteres zu erkunden suche, so ist doch damit zu diesem Thema in meinem Entwurf schonngenug gesagt. Weiteres erfordert auch genauere Ausarbeitungen, die das ganze Fundament des Wollens und Entscheidens betreffen, wozu hier zwar schon in der Problematik Grundlagen und Anregungen angelegt sind, aber noch nichts von dessen Ausarbeitung.

D - Das Problem politischen Handelns

Wie also soll ich jetzt suchen, was ich tun soll? Ich mag meinen Willen und meine Entscheidung zergliedert haben, und dadurch entweder gar schon wissen, was ich tun soll, oder zumindest erkannt haben, was ich tun will und kann, aber wie kann ich diese Erkenntnis selbst in die Welt setzen? Wie ist die richtige Form, jenes zu erkunden - und wie kann ich die Suche nach dem Rechten zu mehr machen als nur einem Gedankenspiel?

Jenes ist die Frage der politischen Theorie. Sie gliedert sich in zwei Teile: Zum einen die Untersuchung der Frage, wie ich überhaupt politisch handeln kann, d.i. eine Methodenlehre, die sich mit nichts anderem beschäftigt als mit der Frage nach der Ordnung von politischen Entscheidungen überhaupt. Zum anderen benötigen wir aber auch eine inhaltliche politische Theorie, die uns sagen kann, wozu wir eigentlich handeln sollen - und jene ergibt sich nun aus der bisherigen Theorie der Subjektivität. Jene nämlich ist selbst schon politisch, auch wenn ich das vorher nicht in der Deutlichkeit vorgebracht habe, und ergibt somit selbst ein politisches Programm, dass im Manifest gegen die herrschende Ideologie, die Theorie der Identität, in Deutlichkeit vorgebracht wird. Ihre wesentliche Aussage ist dabei, dass es Fremdheit, Missverständnis ist, und gerade nicht das Verständnis des anderen als bekannten, sondern vielmehr als fremden, die erst wirkliches Verstehen ermöglicht. Jene beiden Hauptstücke gilt es also auszuführen.

D1 - Methodenlehre der kindlichen Politik

D1.1 - Politik und Moral

Die Methode der Politik ist die Moral, ihr Ausdrucksmittel ist das Recht. Das heißt nun nicht nur, dass sie tatsächlich moralisch ist, sondern vielmehr auch, dass dies ihr Ziel sein sollte. Inwiefern aber beides?

Die Politik vermittelt Moral, indem sie Macht ausübt. Moral, als Antwort auf die Frage Was soll ich tun?, ist somit der eigentliche Inhalt von Macht, insofern jede politische Entscheidung selbst eine moralische ist und das Ergebnis der Entscheidung, insofern es tatsächlich sagt, was zu tun ist, also eine Moral als die richtige vorzuschreiben versucht. Insofern ist Macht nichts weiter als die Umsetzung von Moral, und dadurch tatsächlich die Methode der Politik.

Zugleich ist aber dasselbe auch eine Forderung: Moral sei die Methode der Politik! Dies mag utopisch sein, aber allein so kann es jemals zu einer besseren Form des politischen Handelns kommen.

Dass ihr Ausdrucksmittel das Recht ist, bedeutet, dass sie nicht einfach durch die Überzeugung der Moral sich wird durchsetzen können, sondern dass sie jene Moral, die sie vertritt, als Wahrheit aufstellt, und dessen Befolgung dann nicht mehr als moralische, sondern als rechtliche Pflicht befiehlt, und als solche mit militärischer Gewalt durchzusetzen willig ist. Als solche ist Politik immer gewaltsam, als sie die moralischen Vorstellung der Herrschenden den Beherrschten aufzwängt und sie gar nicht fragen kann, da sie eben schon entschieden hat.

Dass sie nachher noch fragen kann, sich umentscheiden, macht das nicht um das mindeste besser, kann das auch gar nicht, da das alles doch immer unter eben diesem Zwange geschieht, sich unbedingt an das Gesetz zu halten, egal ob man mit ihm übereinstimme. Denn jenes ändert sich auch nicht, wenn die anderen Stimmen gehört werden, da sie dann eben zumindest zu dem gezwungen werden, was sie selbst wollen, und darum ihre Handlung nicht weniger zwanghaft ist.

D1.2 - Was Politik nicht ist: Recht, Nutzen, Ausgleich

Darin ist also klar, dass Politik eines schon gar nicht sein kann, nämlich einfache Ausübung des Rechts, d.i. Verwaltung. Denn das Recht selbst zu setzen, indem sie Moral diktiert, ist ihre ureigenste Aufgabe, und so kann sie gar nicht selbst dem Recht unterworfen sein, dass sie doch selbst erst erschaffen muss.

Auch kann die Politik keinen Nutzen für einen anderen erzeugen, weil sie doch gerade festlegen soll, wem zu nutzen aus ihrer Sicht moralisch richtig und damit rechtlich erlaubt ist. Sie kann der Wirtschaft gar nicht unterworfen sein, nicht, weil sie nicht bestechlich sein sollte, sondern weil sie gar keine Nutzenargumente je benutzen könnte, wenn sie nicht den Nutzen selbst als moralisch zuallererst anerkannt hätte, was dann der einzige echte Akt jenes Politikers ist, der seine eigene Macht aufgibt (sie sich aber nicht selbst sondern überhaupt keinem aufzugeben dadurch in der Lage ist), ähnlich wie der Hedonist oder Utilitarist sich einem Wert unterwirft, den er für einzig moralisch hält, dessen Begründung aus der Moral selbst er aber nicht mehr einzusehen willig ist (ebenso wie der Politiker bei dem des Geldes aus der Politik).

Ebenso falsch ist es zu behaupten, die Politik würde Interessen ausgleichen. Soll die Politik etwa auch die Interessen der Verbrecher ausgleichen, der Unterdrücker und Diskriminanten? Soll man etwa auch die Interessen ausgleichen, die die Mehrheit gegen die Minderheit hat - und damit jeglichen moralischen Kern verlieren, den man einst als politisches Programm hat aufstellen können? Politik muss doch gerade sagen, welche Interessen berechtigt sind und welche nicht! Politik ist nicht bloßer Ausgleich, sie ist Ermächtung des Rechtschaffenden über den Verbrecher, und hier einen Ausgleich zu fordern ist ebenso verfehlt wie gefährlich.

D1.3 - Über eine falsche Auffassung der Demokratie

Dies aber geht allzu häufig verloren, da dem ganzen Geschäfte der Politik eine falsches Verständnis ihrer Rechtfertigung unterlegt wird, insbesondere eine falsche Vorstellung von Demokratie. Demokratie bedeutet gerade nicht, dass alle immer herrschen, jenes wäre ein unmögliches Unterfangen; nein, es bedeutet schlicht, dass die Moral, die wirklich und unbedingt herrscht, von der Mehrheit anerkannt werden muss, damit nicht einer sich gegen die Interessen der Mehrheit bereichere. Dies ist dadurch natürlich nicht verhindert, besonders wenn es an Auswahl von Herrschenden fehlt; aber es ist zumindest unwahrscheinlicher, und als solcher Mechanismus zur Verhinderung von Diktatoren tut Demokratie auch heute seinen Dienst.

Was nun aber wirklich gefordert wird, und was dem Ausdruck der Politik als Moral auch in ihrer utopischen Form innerlich betrifft, ist der Anspruch, dass sie niemals einen ungerecht behandeln solle, und dass sie dazu auf alle hören möge. Dies ist sicherlich ein hehres Ziel, aber dann doch noch immer einer Gewalt des Mehrheitlich-Politischen unterstellt, und als solche eben keine Herrschaft der Beherrschten, sondern allenfalls eine gnädige Unterdrückung.

Zur echten Herrschaft der Unterdrückten ist eben darum mehr notwendig als nur Demokratie (und auch keine Form der direkten Demokratie, denn jene ist überall unmöglich und in besonderen Umständen ihrer Möglichkeit schädlich), nämlich eine andere Form des Bewusstseins der Moral. Jenes zu entwickeln ist ebenso ein Ziel meiner inhaltlichen politischen Theorie, wie ich sie noch ausführen werde.

Aber das ist eben nicht ohne Unterdrückung möglich. Schon die Forderung nach Gerechtigkeit ist die Forderung, Verbrecher zu unterdrücken, und wer Verbrecher und wer Opfer ist, ist nunmal die Grundfrage der Poltik, nach dem Rechten und Wahren. In dieser Formulierung der Frage aber spiegelt sich schon eine falsche Auffassung derselben wieder, in der man nun nach den Personen fragt, nicht nach dem Handeln, und wie dieses Verhältnis für den Rest der politischen Theorie grundlegend ist, so ist es auch deutlich, dass diese Frageform selbst eine Art der Herrschaft ist und also im Prinzip der Identität der Person selbst die eigentliche Ideologie zu finden ist, wie später noch zu sehen sein wird. Dennoch bleibt die Handlung aber vorhanden, und jene zu unterdrücken bleibt weiterhin Ziel der Politik, als jene der Moral unbedingt unterstellt sein muss.

Somit kann ein echtes inhaltliches politisches Programm auch erst dann gefunden werden, wenn wirklich das Problem der Moral gelöst wurde; und insofern ich noch keine Lösung für jenes sah, so werde ich dieses auch nicht inhaltlich lösen können, denn in formaler Hinsicht, worin es wirklich schon genügende Ansätze gibt, die hier darzustellen fruchtbar und wichtig mir erscheint.

D1.4 - Moralische Fehlmodelle in der Politik, in ihrer Inhaltslosigkeit gesehen

Wir sahen ja schon allerlei verschiedene moralische Modelle, die in keinerlei Weise einer Antwort auch nur irgend näher gekommen sind. Dasselbe gilt nun für die Politik, und ebenso wie es schwer ist, eine echte Antwort erkennen zu können, so ist es hier auch umso leichter, all die falschen Antworten aufzuzählen, um uns deutlich zu machen, worin sie versagen. So zählen wir denn auf:

1. Zur Tugendethik gehört die konservative Poltik, d.i. die Vorstellung eines echten Charakters, der durchzusetzen ist, von Mut und Weisheit als hohen Prinzipien. Ihren ersten (und wohl auch konsequentesten) Ausdruck fand sich dies in dem platonischen Staatsentwurf, auch wenn es vorher schon Teil der allgemeinen konservativen Gesinnung war, für Tugenden zu kämpfen; danach drückte sich dies im römischen Staate aus, der ebenfalls die Tugend als Prinzip des Rechtes vertrat, und dadurch noch im ganzen Mittelalter hindurch in der Kirche, die sich als Tugendhüter verstand; dann umso mehr noch im revolutionären Frankreich, wo die Tugend ja bekanntlich die Rechtfertigung des Terrors wurde, und fand ihren grausigen Höhepunkt im Faschismus, der seine Tugenden der Welt mit Gewalt aufzudrücken suchte. In all diesen Entwürfen ist zu erkennen, dass Tugend zwar der Form nach gefordert wurde, aber inhaltlich eigentlich immer eine Form der Alleinherrschaft von den Tugendhaften (den Weisen, den Revolutionäre, dem Volk) proklamiert wurde, aber gerade keine inhaltliche Prüfung dieser Tugenden je stattfand. Darin drückt sich eben die Inhaltslosigkeit der Tugendethik aus, und was dort als Weisheit und Gerechtigkeit gefordert wird, endet mit Überheblichkeit und Massenmord.

2. Die Pflichtethik findet ihren unmittelbaren Ausdruck im Pazifismus und der Philanthropie, insbesondere aber in der Vorstellung unbedingter Menschenrechte. Hier liegt der seltene Fall vor, wo die Umsetzung besser ist als die Theorie, insofern Kants eigene politische Entwürfe sich nicht besonders kritisch gegenüber Fürstenherrschaft und Sklaverei ausnehmen, aber die Vertreter einer kantianischen Ethik umso mehr jene bekämpft haben. In der Wahl dieser Gegner stimme ich sicherlich mit ihnen überein, aber auch hier merkt man schon eine gewisse Vagheit der Politik, wo sie nämlich tatsächlich die Freiheit innerhalb der Welt zu fassen versucht, und jene nur in abstrakten Menschenrechten zu fassen vermag, nicht aber diese konkret auszudrücken. So sagt sie ja offenbar, dass offene Bildung unbedingt richtig ist, spezifiziert aber nicht, welcher Art diese sein soll (d.i. ob Kinder durch Lehrer zu unterdrücken erlaubt sei, zu welchen Themen gebildet werden muss oder ob dies in der Herrschaft der jeweiligen Neugier wird liegen müssen etc.), sie sagt, dass es Gleichstellung aller Personen unabhängig von Abstammung, Geschlecht, Behinderung und politischer Einstellung geben soll, ist aber nicht in der Lage zu sagen, in Bezug auf was sie gleichgestellt sein sollen, was Gleichstellung hier heißt, und immer wenn sie sich aus der Vagheit herausbegibt, so muss sie eben auf Intuitionen aufbauen, die auch schon vorher vorhanden waren, und ist somit selbst keine Politik, sondern vielmehr eine Schablone ihrer höchsten Ziele in ihrer unklarsten Form.

3. Der moralische Positivismus findet seinen Ausdruck in Technokratie und bürokratischer Verwaltung, die einzig im Recht und in der Befolgung alter Befehle ihre Wahrheit suchen können. In diesem Fall ist das Versagen in der gesamten Form offensichtlich; ihren deutlichsten Ausdruck findet dieses Versagen im Beamtenstaat, insbesondere dem sozialistischen Beamtentum, dass allein in Verwaltung sich ergossen hat und keinen inhaltlichen Fortschritt dadurch hat machen können, sowie in der heutigen Verwaltung, die wirklich nichts ist als das, ob sie sich gleich als Regierung mannifaltig auszugeben versucht.

4. Aus Hedonismus oder Utilitarismus wird schließlich der Liberalismus unserer Zeit. Es ist bezeichnend, dass die utilitaristische Ethik zur selben Zeit entstand und groß wurde wie die liberalistische Bewegung, und dass ihre Rückkehr in der heutigen Zeit eine Begleiterscheinung des Neoliberalismus ist. Beide Theorien gehen eben von dem falschen Versuch aus, das Ergebnis einer Handlung bei der Entscheidung schon vorwegzunehmen und als einziges Kriterium der Entscheidung zu nehmen, was gleich unmöglich wie unredlich ist, und worin sich also die Poltik als bloße Gehilfe zur Wirtschaft abgibt, so wie die Ethik als bloßes Werkzeug der Lust.

5. Der Wille als Ausdruck der Moral, wie man ihn in der gewöhnlichen Lesart von Nietzsche findet und ganz sicher auch die postmoderne Haltung zur Ethik vielerorten ist, drückt sich aus in der zynischen Poltik, die kein Ziel mehr ernst nimmt als das Erringen der Macht. In gewisser Form kann man auch viele ältere Herrschaftsmethoden als zynische bezeichnen, insofern ihre Inszenierung doch immer etwas lächerliches hatte, aber dort glaubten doch auch die Herrscher, dass sie etwas wahres taten; die Könige und Revolutionäre der alten Zeit glaubten an ihre Tugenden, selbst wenn sie ihre Rolle nicht ernst nahmen, die Bürokraten haben das Recht als notwendige Grundlage genommen, nicht als Mittel zum Zweck, die Kämpfer der Demokratie und des Sozialismus glaubten an die Menschenrechte, auch wenn ihre Umsetzung zweifelhaft und ihre Möglichkeiten begrenzt waren, und wahrliche Liberalisten glaubten wirklich an das Wohl der Menschheit, das sie in der wirtschaftlichen Entwicklung finden wollten; aber insofern sie alle gescheitert sind, so bleibt einzig eine große Leere zurück, und die einzige Motivation der meisten ist also die persönliche Macht, und daraus nun speist sich die zynische Politik unserer Zeit.

Aber das muss nicht das Ende sein - Dass alle bisherigen politischen System gescheitert sind, liegt eben daran, dass ihre Antworten immer nur Fragen blieben, dass sie glaubten, die Welt verstanden zu haben, wenn sie wirklich nur ihr eigenes Unverständnis in die Welt setzten. Sofern wir also einsehen, dass Zynismus nicht nur falsch ist, sondern eine falsche Überlegenheit behauptet, sich selbst verstanden zu haben, dass er für seinen eigenen Willen jenes Verständnis schon voraussetzt, der doch eigentlich das Ergebnis von Politik ist; so kann man sehen, dass das Ziel jener heutigen Zeit, für sich selbst zu sorgen und alle Politik zu vergessen, ein nicht nur falsches sondern genuin unsinniges ist.

D1.5 - Was es heißt, eine Seite zu wählen

Ich kann meinen Willen nicht suchen, ohne ihn zu kennen. Um ihn zu kennen aber muss ich ihn suchen wollen; und insofern will ich immer schon, bevor ich weiß, dass ich will. Ich kann meine Ziele nicht erfolgreich umsetzen, ohne sie eben als meine Ziele festzulegen, sie als das zu bezeichnen, was für mich gut ist; und als solches ist es eben auch immer eine politische Entscheidung.

Das Dilemma, in dem der Zyniker notwendig gefangen ist, liegt darin, dass er für sich selbst Partei ergreifen muss, obwohl er doch schwor, niemals Partei zu ergreifen und nur nach Eigennutz zu handeln. Denkt er aber weiter, so muss er sehen, dass jenes nur dann Ziel ist, wenn Nutzen wert ist, wenn das eigene etwas bestimmtes ist, in anderen Worten: wenn er sich selbst entscheiden kann.

Somit wird die Unsicherheit, die Ambivalenz in der Entscheidung, zum eigentlich politischen Thema. Im Moment des Zweifels an meinem Willen, wo meine Unsicherheit selbst sich als ihr Wesen wird offenbaren müssen, dort erst sehe ich das eigentliche Problem der Politik. Auch der Zyniker muss sich entscheiden, er muss aber zugleich sich nicht entscheiden. Jener Bruch muss in mir selbst liegen - der Kampt ist, dass ich mich entscheide.

D1.6 - Über das Problem der Entscheidung in der Politik

Aber solange ich nicht einfach in Intuitionen zurückfallen will - was nur heißt, dass ich meinem Körper und meiner Umgebung entspreche und damit weder frei noch bewusst handeln kann - solange muss ich eine Lösung dieses Problems finden. Ich kann nicht einfach in zynischer Weise mich von der Welt loslösen, weil es eben jene Welt-Wertgebung ist, die auch mir selbst je wird einen Wert geben können! Mit welchem Recht spreche ich davon, mir zu folgen, wenn ich das nicht kann, ohne mich zu entscheiden, in jener Form, die selbst eine Moralische, ja sogar eine Politische ist, als ich sage: Dies soll ich tun; und mich damit selbst unter ein Gesetz fälle; wie soll ich handeln, ohne mich für mich zu entscheiden, dabei zugleich aber sagen, es sei Notwendigkeit? Wie soll ich etwas tun, ohne es tun zu sollen?

Meine Hoffnung auf ein letztliches ethisches Ideal ist eben darum ein politisches. Es muss darum gehen, eine Politik wirklicher Tugend zu finden, die jene inhaltsleeren Phrasen verlässt, wie sie von allen Seiten nur zu gerne behauptet werden, und wirklich versucht zu beantworten, was denn zu tun ist, ohne aber auf einen vorherigen Nutzen zu appellieren, ohne leere Formeln von Menschenrechten und Tugenden zu benutzen, die doch nur eine Verschleierung unserer eigenen Verwirrung darstellt, sondern tatsächlich eine allgemeine Theorie zu entwickeln, wie man sich entscheiden soll, wenn beides falsch und auch richtig ist, wenn man keine einfache Intuition zur Hand hat, sondern in einem Dilemma steckt.

Jenes Problem ist das Problem aller Politik. Jede Diplomatie steht davor, in aussichtslosen Lagen Ergebnisse zu bringen, jede Vermittlung hier ist notwendig ambivalent. All dies zeigt uns, dass das Problem der Moral ein wirkliches, materiales Problem ist, das eine Lösung braucht, damit die Welt als Ganze nicht dem Untergang geweiht ist. Ich weiß zwar, dass ich ein solches Modell nicht werde leicht aufstellen können, dass das Moralproblem die existentielle Frage überhaupt ist, aber wenn wir das nicht lösen, liegt der Untergang unmittelbar bevor. Nicht durch irgendeine Verschwörung, nicht durch dunkele Machenschaften, einfach durch unsere eigene Zerstrittenheit und Verwirrung. Unsere Dummheit hat schon zu viele Leben und Welten gekostet; jener weitere zu vermeiden muss eben darum Ziel jeder wirklichen politischen Untersuchung sein!

Übergang zur Diskussion der Identitätsfrage überhaupt

Auch wenn wir uns also zunächst die Entscheidung selbst vornehmen müssen, und eine allgemeine Antwort ihrer Möglichkeit darzulegen die einzige echte Antwort auf dieses Problem ist, so gibt es doch noch ein weiteres Problem, was zuallererst gelöst werden muss, bevor man auch nur anfangen kann, ohne dessen Lösung jede weitere Unternehmung völlig vergebens ist, weil sie die Natur des Problems vernebelt, es einfacher erscheinen lässt als es ist, und somit jeglicher Ideologie (wie ich sie oben eingeordnet habe) Vorschub leistet. Jenes ist die Ideologie der persönlichen Identität, die mit ihrer verlogenen Darstellung der Subjektivität nahezu die ganze Menschheit in die Rolle freiwilliger Sklaven ihres Wesens zu halten imstande ist, und durch die darum alle Pläne zu einer besseren, moralischen Politik verunmöglicht werden. Darum also schreibe ich gegen sie an, nicht in der Hoffnung, jene selbst umstürzen zu können, aber doch im Begriffe, die Notwendigkeit jenes Umsturzes jedem denkenden Leser vermitteln zu müssen, um Klarheit zu verschaffen, woher der Gedanke kommt, der uns in Ketten hält.

D2 - Manifest gegen die persönliche Identität

Ein Schatten liegt über der Welt, ein Schatten der Verlogenheit. Heute meint zwar jeder, aller Ideologie enthoben zu sein, keine offenbaren Lügen zu verbreiten, und doch - was liegt nicht ein Schatten über dieser Welt! Heute mehr als jederzeit ist er zu spüren, zu erkennen in jedem denkenden Wesen. Wir glauben, unsere Ideologie ganz zu kennen, und sie ganz entschwunden zu haben, nichts mehr davon überzubehalten, und wo doch, glaubt sich die heutige Zeit bewusst, zynisch, aufklärerisch. Wahrlich ist die Welt die deutlichen Ideologien losgeworden - und was hat sie für eine undeutliche bekommen! Jene ist unsere Knechtung, jene wird unser Niedergang sein, bleibt sie weiter bestehen.

Doch es bleibt Hoffnung. Denn es gibt die Möglichkeit sie zu erkennen, zu beseitigen. Eine kleine zwar - und eine, die ganz sicher nicht mir, sondern höchstens den Lesern obliegen wird - aber eine kleine ist auch schon genug, nicht völlig zu verzweifeln ob der schieren Größe des Problems. Worin liegt es also? Was ist die heutige Ideologie?

D2.1 - Was Identität macht

Alle Ideologien waren Ideologien der Unterdrückung, der Unterdrückung eines Seins durch ein Seiendes, einer Subjektivität durch Substantialität. Seinsvergessenheit selbst ist nichts theoretisches, jeder Sklavenhalter ist Unterdrücker des Daseins. In der heutigen Zeit tritt diese Unterdrückung offen hervor, gibt ganz zu, das Wesen des Denkens im Körperlichen, im Geschichtlichen zu entdecken, und preist dies dann auch noch als Materialismus. Der Name dieser Unterdrückung heißt persönliche Identität, ihre Ideologen bereiten ihre Indoktrination allenthalben vor, und nennen sie - um ihm den Anschein der Ehrenhaftigkeit zu geben - Erziehung und Sozialisierung.

Der Grundsatz dieser Unterdrückung lautet: Sei du selbst! In jenem ist auch schon alles angelegt, was diese Ideologie im Kerne ausmacht: Eine ungeheure Nichtigkeit im ersten Anscheine, ja fast als Tautologie erscheint sie, warum sie dann auch nicht als Ideologie genommen wird, sondern als harmlose Wahrheit - wer sollte ich denn sein, wenn nicht ich selbst? Genauer betrachtet liegt aber darunter wahre Unterdrückung: Dass ich nämlich nur ich selbst sein soll, dass ich mein Wesen finden muss, ihm gehorchen, und niemals, um keines Willen, nicht ich selbst sein darf.

Darin liegt alle heutige Unterdrückung. Kaum jemand behauptet noch ernsthaft, dass man etwas für einen anderen sein soll, Diener oder Soldat, sie alle sagen: Sei dies, denn du willst das sein, sei dies, denn es entspricht deinem Wesen! Kann es denn eine grausamere Unterdrückung geben, als die, wo der Sklave sich als Sklave bekennen soll, sagen soll, er sei es wesenhaft und willentlich? Und wie anders ist denn unsere Gesellschaft?

D2.1a - Identität in ihrer historischen Entwicklung

Wo aber zeigt sich die Ideologie? Was erzeugt sie in der Welt? Sehen wir hier genauer, denn Gemeinplätze bringen nichts. Ich will hier nachzeichnen, wie alle Regimes der Unterdrückung, die geschichtlichen bis zu den heutigen, aus der Identität entstammen und durch sie getragen sind. Ich kann hier natürlich nicht alle aufzählen, sondern nur die, wo ich weiß, dass es sich so verhält; aber die völlig Umfassenheit, die diese Aufzählung schon im ersten Blicke mit sich trägt, lässt doch vermuten, dass derlei für alle Formen der Unterdrückung gelten muss. (Gleichwohl muss jene Frage sich im weiteren Verlauf desto stärker stellen, und es ist darum unbedingt notwendig, die Gleichförmigkeit dieser Unterdrückung im ganzen auch historischen Sinne zu belegen, was aber nur in weitläufiger angelegten Projekten je möglich sein wird.)

Fangen wir an in der Antike. Die allerersten Unterdrückungen, die zugleich schon die deutlichsten sind, sind die der Sklaven durch ihre Herren. Hier ist sehr deutlich, dass eine Form der Identität stets dahinter steckt: Der Sklave ist geborener Sklave, er ist dies wesenhaft, so lautet die Rechtfertigung aller Sklavenhalter. Zwar gibt es gelegentlich Sklaven als Kriegsgefangene - und solche sind dann auch nicht von Geburt an, sondern erst gewordene Sklaven - aber diese sind ab dem Zeitpunkt der Versklavung doch immer als Sklaven angesehen worden, und nicht als Personen, die unter dem Umstand der Sklaverei arbeiten müssen. Hier betrifft die Beschreibung immer die Person, nie bloß die Tätigkeit, wie man etwa einen Handwerker oder Politiker ja nicht als wesenhaft dadurch erkennbar sich dachte, und man versuchte sogar biologische Unterscheidungen einzuführen (so man dachte, der Perser sei dem Griechen und der Grieche dem Römer untertan etc.). Jene Art der Identität findet ihren grausamen Höhepunkt in dem Rassismus der Kolonialzeit, und damit letztlich im Nationalsozialismus. Sie ist auch heute noch vorhanden, als Rassismus und extremer Nationalismus, ist aber weniger präsent und wird denn auch allgemein verurteilt.

Nicht aber verurteilt wird die zweite Art der antiken Unterdrückung, die Vorstellung der Nation. Zwar ist es sicher richtig, dass ein Staat notwendig zur Organisation vieler Funktionen unserer Gesellschaft ist, aber die Vorstellung, er ist indentitär, hat eben noch einen deutlich anderen Hintergrund als nur Notwendigkeit. Diese Vorstellung kommt noch aus römischer Zeit, wo Menschen sich selbst mit Stolz als Römer bezeichneten; im Mittelalter trug sich das noch schleppend weiter, aber wirklich erstarkt ist diese Art der Identität mit den Nationalstaaten der Neuzeit, die vor allem zur Zeit des Kolonialismus eine Identitätsvorstellung entwarfen, die eine Person durch ihre Nationalität bezeichnen, und die sich noch heute im Patriotismus wiederfindet. Diese Form der Staatsverehrung ist dem Rassismus ähnlich, aber doch wohl unterschieden, als eine Nation eben nicht mehr die Abstammung bezeichnet, sondern das Rechtssystem, in dem man momentan lebt. Trotzdem ist dieser Patriotismus natürlich ebenso gefährlich, als er den Machtanspruch eines bestimmten Stückes der Erde über die ganze Welt behauptet, mit erkennbar schlechten Konsequenzen. Der Patriotismus zeigt seine Identitätsansprüche noch heute überall, wo mit Flaggen und Hymnen, mit Nationalität und Sprache um die Herrschaft der Welt und ihrer Geister geschachert wird.

Die schließliche Art der Unterdrückung, die uns seit der Antike begleitet, ist die der Stände. Sie ist bis heute vorhanden und findet sich in der Vorstellung der Familie wieder, die aus der Abstammung (und nicht nur aus der direkten, sondern auch aus der ferneren) eine Verbindung zu ziehen versuchen, und damit Macht durch die Generationen weiterzugeben. Sie findet ihren Ausdruck in Nachfolge und Vererbung und der Weitergabe des Namens der Familie. Sie vereinnahmen die Kinder als neue Mitglieder, weihen sie in alte Kreise ein, und behaupten so ihre Identität immer fort in nichtiger Überredung. Zwar zieren sie ihre Nachnamen heute nicht mehr mit Wappen, aber dafür umso mehr mit Geld.

In der mittelalterlichen Form der Ständegesellschaft findet sich dieselbe Form der Unterdrückung wie in der Antike, insofern Mitglieder verschiedener Familien unterschiedliche Macht gegeben wird; sie ist aber insofern noch anders, als die Kirche durch die Einteilung der Menschen in Gläubige und Ketzer eine weitere Identität eingeführt hat, die sich bis heute in ihren Institutionen erhält. Sie ist zwar heute insofern weniger bedeutend, dass sie kaum noch direkte politische Macht besitzt, aber in veränderter Form (nämlich in einer Bewertung der Moral aus eben jener Einteilung) besitzt sie doch Einfluss auf heutige Machthaber. Zwar war sie in einigen Bereichen weniger identitär als die anderen Formen der Unterdrückung - insofern offiziell zumindest nicht gesagt wurde, der ist Ketzer, sondern diese Lehre ist Ketzerei, und er solle widerrufen - aber dies verlor sich umso mehr in der allgemeinen Durchsetzung, und spätestens in den Kreuzzügen und der Inquisition ist von der angepriesenen Gnade nichts mehr zu sehen. Dies ist denn auch im Islamischen Reich konsequenter, das nicht minder grausam herrschte, dies aber zumindest offen zugab. Die unterdrückende Macht dieser Art der Betrachtung von Menschen ist offenbar und wurde in der Aufklärung so deutlich bekämpft, dass von ihr zumindest in Europa nichts mehr wesentliches vorhanden ist.

Nachdem nun aber sich das Bürgertum gegen die Herrscher der Kirche durchgesetzt haben, so haben sie wiederum eine Herrschaft der Identität durchgesetzt: Der Reichen und Armen, der Proletarier und Bourgeoisie. Dies ist auch eine identitäre Herrschaft, denn jemand hat hier nicht einfach weniger oder mehr Geld, er ist mehr oder weniger wert. Jene Bewertung der Person ist heute stärker denn je und wird durch die neoliberale Ideologie in unsere Gesellschaft gezwungen und ist sodann eine wesentliche Quelle der Unterdrückung überhaupt, und damit einer der wesentlichen Gründe, die Identitätsideologie umzuwerfen.

Nun gab es ja den Versuch, diese Ideologie umzuwerfen und eine kommunistische Gesellschaft zu erschaffen. Nur ist es allzu deutlich, dass sie das gerade nicht geschaffen haben; sie haben ja nicht einmal geschafft, die bisherigen Unterdrückungen zu entfernen, insofern sowohl Nationalismus als auch Klassismus gerade in den Sowjet-Staaten gewaltige Macht hatten. Das liegt nun aber nicht etwa daran, dass Kapitalismus, Religion oder Familienbande zu mächtig seien um je eine wirkliche Herrschaft über oder jenseits diesen zu errichten, nein: Der Kommunismus ist gescheitert, nicht weil er zu radikal war, sondern weil er nicht radikal genug war! Indem er zwar gesagt hat: Du bist nicht wie viel Geld du hast, wo du her kommst oder ähnliches, indem er die bisherigen familiären und gesellschaftlichen Machtverhältnisse aufgebrochen hat, hat er doch behauptet: Du bist, was du tust. Hierin sind Kommunismus und Liberalismus doch ganz genauso: Dass sie die persönliche Identität in der Arbeit fixieren wollen, in der Tätigkeit, nicht im Geiste. Zwar wird das Denken auch von der Tätigkeit bestimmt, das mag ich nicht bezweifeln, aber doch gerade in der Bewegung der Unsicherheit, nicht in der Form der Identität. Jenen Schritt aber war der Kommunismus nicht zu gehen bereit, und so kommen auch die heutigen linken Bewegungen nicht voran, weil sie sich auf die Arbeit konzentrieren und darin glauben, das wesentliche und erfüllende gefunden zu haben, wenn doch wesentlich und erfüllend sie niemals für Personen, sondern höchstens für deren Arbeitszwang und Unterdrückung je sein werden. Arbeit ist Gewalt, sie selbst ist Unterdrückung.

Zu denjenigen, die immernoch behaupten, der Marxismus sei nicht gescheitert, ist zu sagen, dass sie wohl ihre eigene Theorie nicht verstehen. Die marxistische Theorie sagt deutlich, dass eine Idee nichts ist als ihre Verwirklichung in der Geschichte, eine Aussage, der ich nur beipflichten kann, eben weil sich aus der reinen Theorie die Auswirkungen nicht leicht ersehen lassen und in der Geschichte sich schon ein gewaltiger Prüfstein neuerer Entwicklung angesammelt hat. Jenes ist doch auch der Grund gewesen, den Kapitalismus trotz ideeler Ehre zu verurteilen, eben weil dessen Umsetzung in der Geschichte so gewaltig scheiterte. Entsprechend ist es aber auch mit dem Kommunismus: Er zeigt sich gerade nicht in den großartigen Ideen, sondern in der gescheiterten Umsetzung. Genauso wie Kapitalismus nicht Freiheit und Gleichheit ist, sondern Arbeitszwang und Gewaltherrschaft, so ist Kommunismus nicht egalitäre Bewegung, sondern totalitäres Regime durch die Elite der Arbeiterbewegung!

Man kann so immer fortgehen; von der feministischen Bewegung, die gegen die Vorrechte der Männer kämpfte und Freiheit der Frauen gewann, dann aber neuerdings sich ebenso in Identitätsdiskursen verlor, wo es hauptsächlich nicht um wirkliche Gleichstellung, sondern nur um richtige Ansprache geht (woran man doch sieht, dass der eigentliche Kampf schon verloren ist, wenn es nicht mehr darum geht, Frauen nicht mehr als Frauen sondern als Menschen anzusprechen, sondern man nur noch dafür kämpft, dass die Ansprache von Frauen als Frauen respektvoll ist), und ebenso gehen alle Bewegung ähnlicher Bewegungen gegen Diskriminierung, von der Schwulen- und Transsexualbewegung bis zum aktuellen Kampf um die Rechte von Behinderten: All jene Kämpfe fangen an als Kämpfe um Gleichheit und gerechte Behandlung, und gehen dann über in einen Kampf um die Akzeptanz einer Identität, die gleichwohl als wirklich vorgestellt wird, obwohl sie eigentlich das ist, was durch Bekämpfung der Diskriminierung überwunden werden sollte.

Aus alledem ist offenbar, dass Identität das Mittel der Unterdrückung in der Gesellschaft ist: Um irgendeinen zu etwas zu zwingen, sei es Arbeit, Unterordnung, Zustimmung zu einer Meinung oder Zusammenhalt in einem Clan oder einer Familie, drückt man ihm einen Namen auf, sagt ihm, dieser sei wesenhaft dafür, dass er sei, was er sei, und kann dann einfach sagen: Sei du selbst!, und aus dieser an sich harmlosen, wenn auch unsinnigen Tautologie, wird sodann die grausamste Gewaltherrschaft.

D2.1b - Der kindliche Kampf

Es gibt meines Wissens nach nur einen Kampf, der Identität ganz grundlegend bestreitet: Der Kampf der Kinder gegen die Erwachsenen. Pubertät ist nicht bloß etwas biologisches, eine natürliche Phase des Lebens oder dergleichen. Was wir hier als Identitätsbildung sehen, was als Sozialisation verharmlost wird, ist der Kampf gegen jegliche Art von Identität. Aber er muss scheitern, denn er ist im Kern falsch geplant. Darauf also muss meine Bestrebung zuerst gerichtet sein: Diesen Kampf nachzuzeichnen, und zu sehen, woran er gescheitert ist und wie dies verhindert werden kann, und uns also hier zu einem besseren Strategen der Pubertierenden zu machen, um ihrer Revolution - zum ersten Male in der Geschichte - zum Sieg zu verhelfen.

Der Kampf der Jugendlichen gegen die Institutionen der Identität ist nicht, wie so oft behauptet wird, ein blos rebellisches Tun, denn es gibt sehr wohl etwas konkretes, wogegen rebelliert wird; dieses sind die Vorgaben und Ansichten der Eltern, wie die allgemeine Ausführung ihrer Tätigkeiten offenkundig zeigt. (Zumal richtet sich ihr Kampf auch gegen Schule und Staat, sofern sie überhaupt derer bewusst, d.i. politisch sind.)

Aber jene Revolution scheitert ständig. Wie kann es sein, dass über Jahrhunderte (oder zumindest das ganze letzte Jahrhundert lang) sich die Kinder gegen die Eltern erhoben, und dennoch nie Erfolg haben? Es ist ja nicht einmal so, dass man diese Leute nachher noch als gescheiterte Revolutionäre bezeichnen kann; nein, sie geben ihren Kampf gegen die Erwachsenen aus eigenem Willen auf, werfen ihre Ethik hinfort und kämpfen fortan als treues Glied der erwachsenen Gesellscbaft - ernsthaft, seriös, konform.

Wie konnte das geschehen? Ja wohl offenbar nicht an der Änderung der objektiven Konstitution jenes Kampfes, sonst würde er sich ja nicht mal um mal wiederholen. Nein, hier liegt ein grundsätzliches Problem der Art vor, wie jene Revolutionäre ihr Ziel denn zu verwirklichen suchen; denn in jenem Streben, in der Art, wie es selbst sich nur zu fassen in der Lage ist, liegt der eigentliche Niedergang der kindlichen Bewegung, und ist damit auch gerade der Punkt, von dem aus wir eine nur möglicherweise erfolgreiche Revolution der Kindlichkeit denn planen müssen.

Es liegt hier nämlich der Fall vor, dass obwohl das gesetzte Ziel den Erwachsenen entgegensteht, es die Mittel durchaus nicht sind. Was Jugendliche tun - Protest, Andersartigkeit, Unruhe - mag aus ihrer Sicht wohl falsch sein; aber die Art, wie jener Protest abläuft, ist doch die beste Weise, wie es den Erwachsenen nur widerfahren könnte.

Denn dieser Protest hat die seltsame Eigenschaft, in entgegengesetzten Richtungen unterwandert zu sein:

D2.1b.a - Jugendlicher Hochmut

a) Erstlich in der Durchwirkung mit erwachsenen Ideen. So sie sich auch von der Welt abgrenzen wollen, so sehr übernehmen sie bloß das Aussehen eines, der sich abgrenzt, sind Teile der individualistischen Einheitlichkeit, als sie wissen wollen wer sie sind, doch gut erkennen, dass sie anders sind, das aber nur in jener Form ausdrücken können.

Die wirkliche Andersartigkeit, der eigentliche Protest kommt damit nicht zustande. Um uns Kindern (oder besser: allen Subjekten kindlichen Geistes!) ein Mittel in die Hand zu geben, wirklich dies zu demonstrieren, so gilt es hier auf deutlichste zu bekräftigen: Habt Mut, Kind zu bleiben! Jenes ist die heute wichtigste Botschaft, als es heute nur so herausgeschrien wird, dass man erwachsen werden muss, einen Platz finden muss etc.

Der eigentliche Wandel wird nicht eher stattfinden, als die Kinder selbst das Schicksal der Erwachsenen erkennen und verachten. Dieser traurige Menschenstand glaubt doch ernsthaft, seiner selbst sicher zu sein - sich zu kennen - sich nicht zu fürchten - und dies sogar noch vor aller Welt behaupten zu müssen!

Der Protest gegen das Erwachsenentum ist der Protest gegen ihre Ideale. Die ganze Idee, ernsthaft und selbstsicher zu sein ist bereits Stück einer Ideologie, die ihr eigentliches Leben verschleiert.

Seht doch wie erbärmlich jene Menschen sind, nimmt man ihnen ihre Masken weg, ihren Namen, Herkunft, Bildungspapiere (und mehr sind es wahrlich nicht, oder glaubt ernsthaft jemand, sie hätten wirklich Reflexion betrieben), was sind sie dann mehr als erbärmliche, ängstliche Kinder, die der Welt beweisen wollten, mehr zu sein als das, und doch nichts erreichten als eine Maske, einen Namen, um ihre Schmach zu verdecken!

Ich bin nicht besser, das sei gleich gesagt. Aber im Unterschied zu den Erwachsenen gestehe ich dies zu! Kind zu sein bedeutet, eben nicht so zu tun als wäre man jemand. Ich bin eben nur ängstliches, verwirrtes Kind - und darin erst erkenne ich mich!

Diejenigen sogenannten Jugendlichen aber, die gegen die Eltern damit Erfolg haben wollen, erwachsener als alle Erwachsenen zu werden, an Demut oder Albernkeits Statt die Hochmut des eigenen Daseins zu setzen (was gegen alles kindliche Gemüt geht, insofern das kindliche Denken immer die Handlung, nie das Wesen des Seins betont) - sie werden scheitern, sie sind schon immer gescheitert, weil sie sich eben nie darüber klar wurden, dass man Erwachsene nicht mit ihren eigenen Mitteln schlagen kann - denn ihr Ziel ist es gerade, dass wir diese Mittel verwenden!

D2.1b.b - Kindliche Demut

b) Selbst wenn nun die Kinder dies begreifen würden (und ich glaube, dass ohne die ideologische Unterdrückung der Schule dies wohl gelingen würde), so gibt es noch ein weiteres Problem, das auch mir zunächst unterlaufen ist; nämlich die Frage, wie denn nun dieser Kampf zu führen ist. Zwar weiß ich jetzt, dass ich mich als ängstliches Kind, als Nicht-Dies fassen muss, aber wie kann ich daraufhin handeln? Bin ich dann nicht schlicht unter der Kontrolle der Eltern - und das auch noch willentlich?

Das Problem liegt darin, dass der Kampf bisher nur als persönlicher gefasst wurde, nicht als politischer. Es liegt hier aber ein politisches Problem vor, denn die Struktur, die Kindlichkeit unterdrückt, ist eben nicht nur im Gedanken. Das Problem ist ja gerade, dass sich in der materiellen Wirklichkeit eben jene Unterdrückungsinstrumente befinden.

Schule und Staat, Eltern und Gesellschaft, jenes sind die Gegner der Kindheit - Es ist eben nicht nur der Gedanke der Erwachsenheit, der uns unterdrückt. Wer glaubt, die Revolution im Kopfe führen zu können, wird sie nicht gewinnen.

Und doch liegt darin etwas wahres: Dass wir nämlich erst jene innerliche haben müssen, um sie äußerlich durchführen zu können. Jene innerliche ist eben die Erkenntnis, dass sie äußerlich stattfinden muss - es ist der Umsturz des Gedankens der Identität, der innerlichen Authentizität, die uns vorgaukelt, es gäbe in mir etwas, was echter sei als meine Unsicherheit - und insofern muss hier beides vereint sein.

Erst wenn wir durch gedankliche Rebellion zur materiellen kommen, wird sie dauerhaft sein. Wer nämlich nur gedanklich sich auflehnt, wird durch die materiellen Strukturen der Identität wieder eingefangen; und wer nur im materiellen kämpfen will, verbeißt sich so darin, dass er vergisst, dass die Revolution doch gerade darin liegt, Materialität zu überwinden!

Die Revolution der Äußerlichkeit ist die Wende gegen das Innere, dabei ist die Innerlichkeit gerade Abweisung von Äußerlichem. Aber darin, beides zu vereinen, kann man sich nur gegen die reine Innerlichkeit richten (d.h. nach Außen hin agieren), wenn man sie genau darin annimmt, dass sie sich selbst abweist. Indem ich meine materielle Identität ablehne, erlange ich meine geistige zurück; damit ist es ausgerechnet die weltliche Veränderung Grundlage aller gedanklichen Umstürze, indem sie eben Gedanken ins Geistige und Körper ins Weltliche einzuordnen vermag; dies gerade auch darin, dass sie sich im jeweils anderem Bereich bestimmt. Somit gerade Verwirrung als Einheit; Verwirrung des materiellen darin, dass es gerade kein einfaches Abbild des Gedankens ist, und Verwirrung des geistigen darin, dass es nicht in noch so bestimmter Form seine Wirklichkeit im werdenden Dasein der Welt je finden wird, sondern sich selbst als Welt wird annehmen müssen.

Somit müssen sie sich gegenseitig zerstören, sich aber darin gleichfalls neu erschaffen. Im Niedergang meines Seins bin ich erst bestimmt: Erst im Verneinen des Materials bin ich materiell, in Abweisung der innerlichen Authentizität erst innerlich (gerade das im Wesen der Äußerlichkeit)!

Um den Geist zu retten, muss die Welt vergehen, in der er erst ist, damit er damit selbst nicht auf dieses bestimmte Selbst kann bezogen werden, sondern in sich, in seiner eigenen Verwirrung ist; und ebenso auch die Natur erst ihrer Grausamkeit, Fremdheit, Künstlichkeit sich je als die Materialität wird erkennen können, deren Erkenntnisvermögen selbst Ausdruck der weltgewordenen Verwirrung sein kann. In der immer schon immanenten Zerstörtheit des Heil-Seins selbst liegt allein die Gegenwart der Wirklichkeit!

Jenes Dasein dagegen, was diese Zerstörung, Verwirrung verhindert (d.i. Identität, Bestimmtheit, Daten), verhindert selbst das Sein, das Denken. Darin ist es unwirklich, darin ist es falsch. Es ist die materielle Struktur der Identität, d.i. des Daseins, die selbst in ihrer Affirmativität Nichtigkeit nur hervorbringen kann.

Der Geist als Ding muss zerschmettert werden, um die Welt erst als Welt zu erbauen. Um aber den Geist dafür zu haben muss die Welt als Idee schon zerstört sein. Es ist die geschichtliche Verfassung des Geistes selbst, die wir abzustreichen haben; nicht in der Vollendung des Kampfes, sondern in seiner vollkommenen Abweisung (was auf gewisse Art auch seine Vollendung ist). Nicht ich bin in dieser Welt, in dieser Geschichte, allein mein körperliches Korrelat ist es, und darum bin ich nur als solches weltlich.

Darum also scheitern die Kinder in ihrem Kampfe, dass sie entweder nicht auf den Gedanken kommen, als sie vor allem handeln wollen, oder dass sie nur im Gedanken versuchen zu siegen, was beides, wie ich hoffentlich jetzt deutlich dargelegt habe, von vorne herein zum Scheitern verurteilt ist. Ob aber dieser Kampf überhaupt richtig ist, und wenn ja wie er denn zu führen sei (d.i. mit welchem Ziele), ist noch überhaupt nicht beantwortet.

D2.2 - Warum der Kampf gegen die Idee der Identität aus ihr selbst heraus notwendig ist

Um also zunächst die aktuelle Stärke des Problems zu betonen - aus der sogleich die momentane Bedeutung desselben und daher auch die Notwendigkeit seiner Lösung folgt - sei hier noch einmal deutlich daran erinnert, worin derart Herrschaftsinstrumente denn bestehen. (Dass sie sogleich nur in einer solchen Form bestehen, worin sie notwendig werden vergehen müssen ist darin das bedeutendste Ergebnis jener Untersuchung)

Die wesentliche Manifestation dieses Gegners, die weitgehend für eine Lösung gehalten wird, wenn sie eigentlich genau diese Ratlosigkeit im Kerne darstellt, ist die Idee, mit Daten die Persönlichkeit zu fassen, ein Programm, was seit etwa zwei Jahrhunderten (seit Einführung der Bürokratie) als Herrschaftsinstrument gebraucht wird. Wo liegt also diese Idee begründet, und welcherlei Widersprüche derselben sind es, die sie notwendig zu Fall bringen werden?

Die eigentliche Manifestation der Identität liegt doch darin, ein wirkliches Kriterium der Wahrheit in der Welt einzuführen zu versuchen. Dies - Wahrheit, Widerspruchslosigkeit auch im Geiste antreffen zu wollen - ist der Krrn der erwachsenen Ideologie. Nicht ohne Grund ist ihr Wahlspruch tautologisch, ihre ganze Idee erst im Schwange aufklärerischer Bewegungen zu verstehen. Zwar führt sie nur das alte Regime fort - und ist also keineswegs derartig aufklärerisch, wie sie sich in ihrer eigenen Darstellung nach erscheinen mag - aber ihr Grundprinzip kann als bewusstes (d.i. über seine materielle Ausführung hinweg auch als System in Gedanken überhaupt, nicht nur im Geiste der Unterdrücker) nur als Aufklärungsprinzip auftreten, was den Unterdrückten für ihre Hingabe selbst Wahrheit und Wirklichlkeit wird versprechen müssen, um zur Wichtigkeit zum Denken überhaupt zu gelangen.

Aber sodann muss sich dieses Prinzip (als es in seiner aufklärerischen Tradition der Wahrheit über allem anderen verpflichtet bleibt) zumindest doch in sich selbst eine derart hohe Konsistenz beweisen, dass man ihm nicht offfenbare Falschheit vorwerfen kann; denn auch wenn man dann mit ihm nicht zur Gleichstimmigkeit gezwungen wäre, so läge doch darin ein Prüfstein seiner Ansprüche überhaupt, die es ja aus Widersprüchlichkeit sicher nicht erfüllen könnte.

Nun liegt aber genau darin selbst ein Widerspruch. Die genannte Theorie der Identität - jene, welche hier im ganzen zu bearbeiten ist - ist doch gerade darin beständig, dass sie überhaupt das Denken als widerspruchsfrei festlegen will. Jenes ist das Ziel einer Persönlichkeit - das Denken in diesem, jenem, aber doch zumindest in einem überhaupt festzulegen, als dass man dann als bestimmtes das Dasein des Selbsts für den Geist werde bestimmen können. Aber jene Bestimmung des Geistes überhaupt ist grundsätzlich falsch - nicht in diesem oder jenem, in allem und in ganzen liegt das Sein! So erscheint es unmittelbar in jeden Denken zu sich selbst. Dies ist der Grund, allem Identitätsdenken Falschheit vorzuwerfen - als es selbst eben Wahrheit voraussetzt.

Damit lautet der Wahlspruch im Kampf gegen die Identität: Die Wahrheit ist gelogen! Jenes drückt am alletbesten aus, was das Problem der Bestimmung des Daseins überhaupt ist. Jene Bestimmtheit selbst ist unstatthaft, und in ihrer Bestimmtheit ist hier im höherem Grade zerstörerisch als nützlich.

Damit lässt sich zusammenfassend sagen: Die Idee der Persönlichkeit sucht Logik, wo keine ist, und ist gerade darin unlogisch. Ihre vollständige Umsetzung ist eben darum ihr Untergang - der Weltgeist kann nur im Tode leben. Lebt er, so ist er also darin tot.

Dies ist also auch die Art, in der ich Hegels Fortschrittsidee durchaus annehmen kann, aber gerade nicht als Idee einer gewaltigen Zukunft, die sich selbst finden wird o.Ä, sondern als Ausdruck unseres Regimes, wo wir uns selbst das Dasein durch gesetzte Wesenheiten unterdrücken. Dass es dem ganzen Hegelschen Systeme an Sein mangelt, wie es Schelling so schön beschrieb, ist auf seine Geschichtsidee noch weitaus richtiger: dem Fortschritt selbst, dem Weltgeiste mangelt es an Sein. Darin mag man also durchaus mein Projekt einer auf das Sein gestützten Philosophie und - wichtiger noch - auch Politik durchaus als Mordanschlag auf den Weltgeist betrachten. Jener ist sich selbst ein toter; in seinerm Mord wird er uns in Falschheit lebendig. Die genauere historische Ausführung desselben kann in diesem Entwurf noch keinen Platz finden, muss aber in einer echten neuen Politlk (als dessen geschichtliche Ausgestaltung und Vorgeschichte) durchaus ihren Platz finden.

D2.2a - Wider die Institutionen der Identität

Dies zeigt also, warum der Kampf gegen die Idee der Identität notwendig ist. Aber warum sind nun deren Institutionen gleichfalls anzugreifen?

Das Problem ist doch folgendes: insofern die Institutionen der Identität selbst ja behaupten, Wahrheit als ihr eigentliches Ziel zu haben, sind sie selbst die Vertreter eben jener Ideologie, die wir ja oben in jeder Form bereits abgelehnt haben. Nun erscheint es zwar so, als könnte ich einfach die Institutionen da lassen und sie dabei blos umdeuten, dass sie sich nur mit dem Thema des Korrelats, keineswegs mit der Sache der Subjektivität selbst zu beschäftigen habe, was das Problem auch augenscheinlich löst; aber die eigentliche Falschheit im Systeme bleibt doch dabei ungebremst bestehen. Ich kann nicht einfach sagen: Ich sehe nun jeden einen nur als Korrellat, nicht gleichfalls als Person, und habe damit alle Probleme gelöst. Es ist doch gerade die Betrachtung des Systems der Identität als etwas wirklichem, was das gabze Problem überhaupt in dieser Deutlichkeit nur hat hervorbringen können.

Die Verwirklichung der Wahrheit liegt im Wesen, die Verwirklichung des Wesens aber in der Welt. Die Verwirklichung der Welt nun liegt in der Geschichte und die Verwirklichung der Geschichte liegt im Kampfe des Seins um sich selbst! Im wirklichen Sein, im geschichtlichen Bewähren liegt die Identität. Es kann darum nicht unser Ziel sein, Identität als Mittel der Natürlichkeit gegen sich selbst zu wenden. In der Welt, als sie ist, ist das Verbrechen, was sie Welt werden ließ. Es muss unser Zweck sein, dies selbst in der Welt zu überwinden, um also das, was uns zu uns selbst macht, oder. besser diese Idee, wir selbst zu sein, überhaupt zu zerstören, aber uns darin gerade nicht mit zu zerstören, sondern uns zu befreien. In der Wirklichkeit der Lüge in der Wahrheit begegnen wir allein der Lügenhaftigkeit, die uns als Wahrheit gegeben wird; eine wahre Lüge ist es, die weniger zu lügen vermag als noch die schönste Buchwahrheit. Wenn unser Problem die Wahrheit selbst ist, kann nur etwas falsches eine rechte Antwort sein. Dieser Widerspruch selbst muss sich lichten, sich erweisen, nur durch ihn kommen wir zum Ziele.

Darin lautet also unser Zweck im Kampfe gegen die Welt: Stürzt die Welt, in der Welt, darnieder! Nur im Schatten der Hüter der Wahrheit ist Wirklichkeit. Erst wenn das Wesen des Seins und das Sein des Wesens ineinander umgekehrt sind, kann aus der Wirklichkeit des Wesens, d i. aus dem Kampfe, das Sein, Leben, hervorgehen, und ebenso das Wesen der Welt ein wirkliches Sein, einen Geiste des Erkennbaren im Erkennbaren nur annehmen (d.i. Schatten das Daseins aus seiner Erscheinung, Göttlichkeit). Aus dem Geiste des unnatürlichen Gottes kommt seine Natur, aus dem Geiste der gottlosen Natur ihre Göttlichkeit - so nur aus Wahrheit Widerspruch und nur im widersprüchlichen Scheinen echte Wahrheit. Dies ist der Grund, dass die Sttuktur der Wirklichkeit muss angegangen werden, als es in dieser Art Wirklichkeit ist, dass die Wahrheit aus dem Wahrheitsscheine die eigentliche Wahrheit unterdrückt. Die materielle Struktur gilt es zu suchen, die das Immaterielle überhaupt festlegt, so wie wir in uns die geistige Struktur suchen mussten, die unser materielles Dasein festband.

D2.3 - Über die Möglichkeit eines Kampfes gegen Institutionen überhaupt

Aber die Frage bleibt doch weiterhin bestehen, wo denn je dieser Kampf geführt werden kann. Wir sehen zwar ein, dass er notwendig ist, aber ob und wie er zu gewinnen ist bleibt doch bei alledem doch noch höchst unklar. Darum eben ist es zunächst notwendig, die Frage nach Institutionen und Systemen zu stellen, und wie man jene Trägheit, die allen materiellen Strukturen notwendig immanent zu sein scheint, überhaupt zu überwinden in der Lage ist.

Das Problem hier ist, dass es eben mit der Idee allein noch nicht getan ist. Ich kann nicht einfach von außen sagen: Hört auf, euch als euch selbst zu denken! ohne dabei doch zugleich in unsinniger Weise davon auszugehen, dass die innere Struktur ihrer Organisation auf mein Denken wird hören müssen. Nein, wirkliche Änderung muss die Geschichtlichkeit der Welt selbst im Blicke haben, muss aus ihr selbst heraus geschehen, oder besser: muss aus jenem Außen verordnet werden, das ihr selbst innerlich ist. Das allein hat Aussicht auf Erfolg

Denn wenn wir nun etwa die äußerliche Struktur der Identität zerstören wollten, indem wir die Daten über Persönlichkeit löschen (was gewiss ein notwendiger Schritt ist, wenn erkannt wurde, dass Identität eben nicht auf das Denken, sondern nur auf dad Handeln je wird zutreffen können, was sich sogleich in der notwendigen Zerstörung jener Verbindung überhaupt wird auswirken müssen), so würde man gewiss nur Verwirrung stiften und keineswegs der Identität Einhalt gebieten. Denn auch wenn wir, sagen wir, auf einmal alle Informationen über das Geschlecht anderer Personen verlören, so bedeutete das für uns nicht unbedingt einen Gewinn. Zwar wäre es besser, wenn niemand überhaupt auch nur nach dem Geschlecht fragen würde, eben da eine Identitätsfestlegung nach dem Besitze von Geschlechtsteilen unsinnig und schändlich ist, aber wenn ich nun als einziger dies ignoriere - wenn ich selbst also nur nicht weiß, wie schlimm es wahrlich um diese Form der Unterdrückung steht - so nützt das doch den Unterdrückten, also hier den Frauen, reichlich wenig. Das liegt eben darin, dass wir nicht einfach die Gedchichte aufheben können und eine neue, völlig unabhängige Gegenwart gestalten - so wie es leider gleichwohl die allermeisten Utopien in ihrer Geschichtsvergessenheit vorgeben - sondern gerade aus dem Bewusstsein der Geschichte eine Verbesserung dieser Situation abzuleiten nur in der Lage sind.

Wie aber können wir jetzt hier gleichzeitig Institutionen zerstören, ohne neue wiederaufzubauen? Wie kann ich im inneren eine wirkliche Gleichheit herstellen, indem ich eben die Betrachtung von Personen nach Identitätskategorien überhaupt aufgebe, aber gleichzeitig dabei nach außen hin nicht jene Institutionen durch Ignoranz stärke, deren Zerstörung doch gerade das Ziel jeglicher anti-identitärer Politik nur sein kann? Wie kann ich also, wenn ich doch selbst überhaupt nicht mehr identitär denken will und es in letzter logischer Konsequenz auch nicht kann, doch identitär denken um die Identität zu zerstören?

Hier müssen wir ein zweifaches beachten:

1) Ein wesentliches Element des anti-identitären Denkens ist ja gerade, sich selbst nicht erkennen zu können. Dabei haben wir aber gesehen, dass die einfache Vorstellung, Identität also auslöschen zu wollen, dabei gerade völlig falsch ist. Vielmehr wäre dies nichts als eine andere Identität, die des suchenden und verzweifelnden. Wirkliche Ablehnung des klassischen Identitätskonzepts besteht gerade darin, die eigene Unsicherheit und Angst, die eigene Neugier und Kindlichkeit selbst als Identität anzunehmen, d.i. Unsicherheit als wahrliches Dasein zu werden. Dies ist dann die Überwindung der alten Vorstellung der Sicherheit über sein Dasein, der man ja immer noch verhaftet bleibt, solange man überhaupt noch sich selbst als etwas zu bestimmendes begreift, und nicht als etwas in seiner Unbestimmtheit, ja sogar Unbestimmbarkeit immer schon bestimmtes. Insofern ist es also gerade nicht falsch, affirmativ, sondern nur, negativ zu identifizieren.

2) Wenn ich also die Ungleichheit in der Welt betrachte, so muss mir auffallen, dass die ganze Art, wie sie besprochen wird, doch schon wieder auf falschen Identitätsvorstellungen beruht, nämlich auf der Idee, eine Person als ganze wäre hier unterdrückt, und nicht vielmehr seine Handlung aus gewissen Gründen seines Seins. Insofern aber das Sein ungetrennt ist - und das ist es in jedem Subjekt, als es selbst sich Möglichkeit aller Wahrnehmung und Erkennung, d.i. aller Seienden ist, mithin also das Sein selbst in seiner Unmittelbarkeit - insofern kann ich nicht sagen: dieser wurde unterdrückt; sondern muss vielmehr sagen: dies wurde unterdrückt! Um etwa im oberen Beispiel zu bleiben: Ich kann gar nicht sagen, dass Frauen unterdrückt werden, da das ja schon voraussetzt, dass es Frauen im Unterschied zu Männern sind (was eben der Grund ist, aus dem Unterdrückung geschieht), ich muss vielmehr sagen, dass Personen unterdrückt werden, insofern sie vom Unterdrückungssystem des Geschlechtes als weiblich eingestuft wurden. Hier wird also nicht eine Person, sondern eine Handlung unterdrückt (d.i. körperliches, physisches, nicht gedankliches), und damit dann suggeriert, es gäbe dafür einen Grund im Geiste, womit dann die andere Person auch gedanklich unterdrückt wird (etwa darin, dass sie selbst glaubt, sie wäre weiblich, wenn doch das Denken überhaupt sich nicht an solche Kategorien wird halten können und sowieso in allgemeiner Entzweiung zum körperlichen Dasein stehen muss, also in seiner Verwirrung weder männlich noch weiblich, sondern stets keines und beides ist - keines im Gedanken über sich selbst, beides im Gedanken seines Schattens im Werden seiner Träume). Dies anzuerkennen ist darum die geistige Bewegung, unter der allein ich mich dazu bringen kann, überhaupt eine Betrachtung der Ungleichheit und Gleichheit je anzustellen.

Wenn ich also jetzt erkannt habe, dass ich, um überhaupt Gleichheit herstellen zu können, mir selbst ungleich werden müsse, um gerade darin den anderen gleich zu werden, von ihnen verschieden zu sein, so ist doch jetzt gerade das die Möglichkeit der wirklichen Unsetzbarkeit eben dieser Idee. Wir müssen also im materiellen dieselbe Wende vollziehen wie im Geiste, aber wie dies funktionieren soll, angesichts einer zweifelhaften Geschichte von Revolutionen (die ja, wie oben ausgeführt, mehr unterjocht als befreit haben) und einer Fülle von Machtapparaten, die sich genau jener Identltätsideologie bedienen wollen, um zu herrschen, bleibt doch unklar. Jenes ist also das wichtigste Problem: kann Identität sich selbst, aus sich selbst heraus, zerstören? Wie können wir den Geist aus seiner Geschichtlichkeit lösen, wenn er doch zugleich in der Geschichte sich nur begreifen wird können?

D2.4 - Identität und Weltgeist

Wir suchen also nach jenem innerlichen Außen, das aus der Geschichtlichkeit des Daseins selbst diese Geschichtlichkeit aufzuheben in der Lage ist. Dieses Außen aber ist doch gerade die Wahrheit der Welt! Ich bin doch zu eben jener Erkenntnis gekommen - durch Denken, durch Streben, durch Suche nach der Wahrheit überhaupt. Es ist doch gerade das höchste Ergebnis meiner Philosophie, dass die Annahme der Identitätslosigkeit als Identität gerade Ergebnis der Identitätssuche ist! Indem ich nach der Wahrheit der Welt suche, finde ich, dass diese selbst eine Lüge ist, dass sogar jedes Selbst gelogen sein muss - und sich darum aus selbst auslöschen muss.

Meine Neugier ist der Geist der Welt - der Weltgeist, der sich selbst zerstöre! Im Selbstmord des Weltgeistes liegt das Leben der Welt. Er begann sein Leben als kindliches Dasein, Streben, Unmittelbarkeit, und ist als solches gut und richtig; aber wird dann durch die erwachsene Idee der Ernsthaftigkeit verführt, gequält, zerdrückt, bis er letztlich daran stirbt. Dies geschieht gewöhnlich aber nur so, dass er aus seinem Tode zu neuem Leben gelangt; das ist der kindliche Ernst. Aber im schlimmsten Falle - und das ist jener, als der er sich in der geschichtlichen Bewegung gezeigt hat und sich hat zeigen müssen (als die wahre Bewegung eben die ist, der die Geschichtlichkeit überhaupt abgeht) - bleibt dieser Tod die Natur der Welt. Es ist dann zwar auch Neugier, die die Welt treibt, aber grausame Neugier, Unterdrückung. Auf absurde Weise ist selbst das höchste Absterben der Zivilisation durch eine eigenartige Neugier gessteuert, die die Menschen nach sich selbst suchen lässt. Kriege, Sklaverei, Patriachat und Kapitalismus - all jene sind Ergebenisse dieses verirrten Forscherdrangs!

Doch diese Neugier bin auch ich selbst. Ich selbst, als der, der dir Welt umstürzen will, bin doch genau das, was ich verändern will! Ich bin das Sein, so rufe ich, und doch schaue ich in die Welt - als auch das Sein sich nicht dem Seienden verwehren kann. Doch insofern meine Neugier der Geist der ganzen Welt ist - insofern allein in meinem Blicke schon sich die Wirklichkeit des Wollens niederschlägt - so liegt doch hier gerade das innerliche Außen, was wir suchten.

Alle positiven Suchen müssen doch schliesslich ins negative umschlagen, als sie sehen, das es nicht bestimmbar ist, wenn es aufs ganze geht - in ihrer völligen Unsetzung liegt ihre Aufhebung Allein die Negativität überhaupt ist damit Ergebnis und Ziel der Gdschichte.

Deshalb tritt auch heute, am Rand und Ende der Geschichte, die Unterdrückung in ihrer allerpositivisten (d.i. abstraktesten) Form heraus, als diese allein noch fähig ist, die überwältigende Negativität über das Streben zum Absoluten noch zu erfassen. Sei du selbst! brüllen sie, denn sie wissen doch nur zu gut, dass jeder genauere Einfall, wer man sei, schon längst als Ideologie sich hat zeigen müssen. Alle positiven Forderungen sind überwunden - Eigentum ist Diebstahl, Macht ist Feigheit, Fakten sind gelogen! Es ist nur das Sein, worin ihr Kampf noch tobt, und nur der ontologische Unterschied, den wir noch zu erringen haben. Dieser Unterschied ist freilich nur in Bezug auf die Gesellschaft das letzte - einzelne mögen noch fordern, über sich selbst genauer Bescheid zu wissen, als sie können, und nicht nur abstrakt sagen zu können: Ich weiß was ich bin!, sondern sogar noch dies beschreoben, zur Sprache bringen zu kömmen - aber da wir uns hier eben nicht mit dem einzelnen befassen (dazu ist ja die Erkenntnistheorie, wie wir sie vorher entwickelt haben, schon Leitfaden und Methode genug), so ist es einzig der gesellschaftliche Kampf, der sich in dieser Untersuchung je wird niederschlagen können. Jener aber ist heute nur noch abstrakt - Individuum oder Gesellschaft, Dies oder Alles - und darin eben rein ontologisch. Ontologische Politik muss es eben darum sein, sie es entscheidet als ganzes ein dieses zu sein, als bestimmtes die Unbestimmbarkeit - und darum gerade der Philosophie in der Gesellschaft zur Geltung zu verschaffen! Eben jener Geist, der die Welt erst bildet, soll der sein, der sie fortan beherrscht - kindliche Neugier! Aus dem Tode der Wahrheit muss ihre eigene Wirklichkeit entspringen, als das wir Identität gerade in der Ablehnung derselben zu erkennen vermögen - als dass in dem Tode der Wahrheit die Wahrheit unseres Todes erst wirklich ausgesprochen!

Doch diese Wahrheit ist nun gerade in meinem Handeln zu finden. Es ist das Handeln (auch als staatsbildende Tätigkeit) sofern zugleich Ausdruck und Möglichkeit der Ethik überhaupt, insofern er den Geist, die Neugier, hervorbringen und zerstören, d.i. im Zerstören selbst hervorbringen muss. Darin, dass meine Unsicherheit sich in der Welt manifestiert, das ich ängstliches Kind bin, darin ist das unsichere Handeln selbst das gesteuerte, gewusste. Die Wahrheit, die sich im Staat manifestieren muss, ist damit eben diese Unsicherheit als Wahrheit, und darin eben Ethik als Wahrheit in der Unbestimmtheit überhaupt.

Dies kann aber nun, da es eben eine systemische Frage ist, nicht durch die einfache inhaltliche Antwort erschaffen werden. Es ist zu einfach, jetzt Wahrheit zu fordern. Vielmehr muss jetzt die Argumentation, die nach meiner Erkenntis der Unmöglichkeit der Selbsterkenntnis ich auf mich selbst angewandt habe, nun auf den Staat angewandt werden, d.i. wir brauchen Institutionen der De-Institutionalisierung, der Loslösung unserer selbst aus uns selbst. Diese sind dann der Staat der Weltfremdheit, der als Methode der Neugier im Selbstmord der Neugier eben jene Probleme des Staates überwindet, die in der Begründung des Wesens vom Dasein selbst - in der Loslösung der Neugier aus dem Kindlichen überhaupt - gar erst begründet wurden. Darin ist dieser Staat auch noch nicht inhaltlich, sondern zunächst rein methodisch. Der erste Entwurf dieses Staates ist sodann folgender:

D2.5 - immanenter Staatsentwurf wider die Identität überhaupt

Das einzige immanente Ziel des Staates wird sein können, Moral in ihrer Undeutlichkeit Ausdruck zu verleihen; Undeutlichkeit aber nur in der Schwierigkeit, je eine Entscheidung fällen zu können, nicht in Undeutlichkeit des Problems. Jenes verpflichtet die Politik auf die Zerstörung falscher Probleme, d.i. der Identität; darum ist es das höchste Ziel des Staates (und es wird kein höheres je gefunden werden, insofern es selbst zugleich Bedingung und Umsetzung jeglicher Moral im Kerne enthält), Identität in ihrer materiellen Struktur zu zerstören!

Authentizität des einzelnen ist nichts als seine Geworfenheit, d.i. Fremdheit - und so ist Freiheit wesentlich die Freiheit von sich selbst, als diese ist zugleich Freiheit zu sich selbst als dem Von-sich-selbst überhaupt.

Identität ist dem das Gegenteil, ist Zuordnung des Selbst zu sich selbst, nicht von sich selbst, als Datierung seines Schattens, aus dem sie gedachten das Wesen zu erblicken. Sie ist die falsche Idee, Sinn hinter der Maske unseres Namens zu finden.

Ziel des Staates ist darum die Weltfremdheit des Bürgers, d.i. Entfremdung als Erkenntnis notwendiger Unzulänglichkeit der Welt zum Denken; zugleich aber auch Weltfremdheit als Methode, sich die Welt selbst ihrer fremd zu machen, d.i. sie nach dem Bilde unseres Traumes zu formen. Jene doppelte Bestimmung - als materielle und utopische - muss denn hinter der anti-identitären Bewegung des Geistes (auch als innere Bewegung seiner selbst) unbedingt angetroffen werden, um sein Dasein als solchem rechtfertigen zu können, in und für den Traum.

Alle Unterdrückung ist Unterdrückung einiger als derer sie sind; es ist das Sein als Bestimmung, das einzig unterdrückbar ist. Lösung der Unterdrückung in der materiellen Identität ist darum das Lösen des Selbst aus seiner Bestimmung, dieses oder jenes zu sein. Indem es nichts ist, wird es alles.

Insofern Politik nichts tun kann, als Moral zu verordnen, so ist diese unbedingte Begrenzung des Staates zugleich Grenze der allgemeinen Moral: Dass niemals ich einen als Person, sondern immer als Un-Ding, als Maske, als Fremdheit ihrer selbst werde aufassen müssen, wenn nicht mein Gedanke selbst Helfer des Regimes sein soll.

Jenes also bestimmt sich gegenseitig: Materie und Form, Idee und Wirklichkeit. Erst wenn unsere Vorstellung, andere als die sie sind frei zu machen, geschwunden ist, können sie frei sein als die sie nicht sich sichtbar auch nur machen können (d.i. als Fremde ihrer selbst) - und sogleich ist jene Änderung des Zieles selbst Aufhebung bisheriger Herrschaft

Erst wenn Sitte und Stand und Gewohnheit geschwunden sind, kann man sie bewerten. Moral wird erst dann zum Problem, wenn sie keine Lösung mehr ist!

D2.6 - Ein Idealismus der Fremdheit: Missverständnis als Utopie

Das Problem, was hier hinter der Unmöglichkeit wirklicher Politik steckt, so wie sie heute zu erkennen ist, ist die Beschränkung der Politik (und das heißt insbesondere auch der Moral) auf das rein Politische überhaupt, d.i. eine Zirkularität im politischen Handeln überhaupt. Man benötigt eine umfassende Moraltheorie, um auch nur eine brauchbare Politik zu erhalten, als sie sich sonst nur mit der inneren politischen Logik wird beschäftigen können, nicht aber mit der Frage nach dem richtigen und wahren. Wenn man sich schließlich sogar schon im eigenen Handeln, in der eigenen Moral, gar nicht mit eben dieser Frage nach der Fremdheit, der Allgemeinheit, des Richtigen beschäftigt, d.i. sich nur mit der inneren Logik der Interaktion, nicht aber mit dem Ziele und Streben der Handlung, der Gedanken überhaupt beschäftigt - so kann doch je auf die Welt als solche jemals richtig geachtet werden.

Die Ideologie der Identität ist eben jene Beschränkung, jene Unterscheidung von Form umd Inhalt, jene Trennung von Innen und Außen. Die Überwindung jeglicher Form dieser Trennung ist eben darum Voraussetzung aller kommenden, wahren Politik, als sie eben ihre Form im inhaltlichen wird begründen müssen, und damit auch die Form als Inhalt ernst zu nehenn hat. Das ist der Punkt, wo die Abstraktheit selbst konkret, die Methode selbst zum Inhalt werden muss - dabei aber zugleich Methode zu bleiben hat! Es ist gerade das Distinktive dieses Idealismus, seine eigene Methode zu sein, indem es selbst die Unbestimmtheit ist, worin es bestimmt ist, d.i. nicht blosse Reflexivität des Hier-Seins im Hier, sondern das bestimmte, konkrete, Dasein des Ganzen und Allen.

Hierin unterscheidet sich mein Prinzip der Ambivalenz ganz deutlich von der alten Idee der Identität, oder, was das gleiche ist, von der Dialektik. Denn die Dialektik versucht ja gerade Identität herzustellen, indem sie vermeint, im Gang der Logik selbst ein bleibendes zu finden, zu einem Punkte zurückzukehren, und damit das Hier- und So-Sein zu seiner immanenten Geltung zu verschaffen, gerade auch darin, dass eine Widersprüchlichkeit in sich wird tragen müssen. Dagegen liegt meine Vorstellung der Ambivalenz gerade darin, ein sich selbst Ungleiches als Ausgangspunkt zu nehmen, und aus diesem, indem ich also verschiedenes ans Gleiche tue (und eben nicht das Gleiche in verschiedenem zu erkennen glaube), eine Widersprüchlichkeit der Sache, nicht dem Begriffe nach entdecken zu können. Denn der reine Begriff, die Identität, ist völlig leer und tautologisch; allein in der Sache, dem Korrelat aller denkbaren Intuitionen, liegt jene Widersprüchlichkeit inne, als der das Dasein des Seins sich in jeder Sache (als deren Apotheose seiner Selbst in Niedlichkeit des Schmerzes der Existenz) sich notwendig und immanent wird zeigen müssen.

Darin ist Kern aller Politik eben jene Umwandlung von Form zu Inhalt, die also von der bloßen Forderung der Göttlichkeit in der Erscheinung als Sache überhaupt noch gar keine wirkliche Behauptung wird darstellen können, aber im Kerne ihrer Durchsetzung dann doch jene Kraft entfalten wird, die dem kindlichen Denken überhaupt eigentümlich ist - Verwirrung, Albernkeit. Insofern dann erst der formale Staat angenommen wird, wenn seine Formalität als Akzeptanz (d.i. sie wahrlich nur als Maske, nicht als Wesen zu betrachten) wirklich Grundlage seiner Funktionalität geworden, kann genau auf dieselbe Weise auch der Inhalt erst dann angenommen werden, wenn er als Form der Frage akzeptiert wurde. Erst wenn, durch alle Traditionen hindurch, die verzweifelte Frage: Was soll ich tun?! als Grundfrage der Politik genommen, als Beschäftigung mit einer jeder Sache, erst dann ist die wahrliche Beschäftigung mit dieser Sache so, wie sie ihrer selbst auch nur angemessen sein könnte, Staat genannt zu werden.

Diese Vision, alle alten Moraltheorien (und damit, wie vorher gezeigt, alle alten politischen Systeme) hinter sich zu lassen, ist natürlich riskant. Man mag sie dafür halten, den Verbrechern nocb die Tür zu öffnen, wenn schon die Moral nicht da sei, aber gerade das ist es nicht; Vielmehr ist jede bisherige Politik gescheitert, weil ihre zugrundliegende Moraltheorie nicht konsistent war, und wir werden ebenso scheitern, wenn wir mit erwachsener Arroganz uns auf unseren Intuitionen ausruhen und diese dann als Politik bezeichnen. Nein, diese Vision - Das Außerirdischsein unserer selbst - Fremdheit als Tugend - ist vielmehr die Voraussetzung für jegliche politische Tätigkeit, die nicht nur Unterdrückung sein will. Erst wenn wir uns des Ausmaßes vom Problem wahrlich bewusst sind, so sehen wir, dass all dies, was vorher als Moral galt, hier eben nicht gelten kann, und man eine gewaltigere, grössere, umfassende Moral braucht, um auch nur die allereinfachste politische Frage beantworten zu können. Die Grundlage einer solchen Moral ist eben die Verpflichtung auf Fremdheit, auf Verwirrung. Jenes ist sodann - als politisches Ziel gefasst - der Idealismus der Frendheit, die Ungleichheit von sich selbst.

D2.6a - Universalismus ohne Identität: Warum der Abgrund des Selbst keine Rechtfertigung vom Pluralismus oder Relativismus sein kann

Grenzen wir aber diesen Idealismus zunächst von den bisherigen Strömungen ab, um keine falschen Ideen in diesem Begriffe der Fremdheit und Selbst-Abgründigkeit noch miteinzuschließen. Der Idealismus der Fremdheit ist weder der Versuch, von außen ein Ideal zu verordnen - denn so ein Versuch muss scheitern und ist auch schon immer gescheitert - noch der Versuch, ein Ende der Geschichte als notwendig zu erkennen, es gar nicht mehr tun zu müssen oder dergleichen. Nein; ich selbst muss jetzt - kontingent - die Notwendigkeit meiner Handlung behaupten!

Ich setze selbst das Ende der Welt - jenes Ende, aus dem sie überhaupt erst entstehen konnte. Es ist jener innere Kampf der Kindlichkeit mit sich selbst, der sich als Erwachsensein ausdrückt (insofern es als Kind seine Kindheit nicht akzeptieren will, was alles Wesen des Erwachsenseins wahrhaft ausmacht, [obgleich es als Bestimmung auch der Kindlichkeit zukommt, aber gerade darin, diese Selbstablehnung als das Selbst zu behaupten, nicht, nun noch ein äußeres finden zu wollen - als der Kindlichkeit doch schon klar sein muss, dass es ein außen für das Selbst nicht wird geben können, als es sich selbs ein außen und damit allem ein innen ist - insofern es als Weite der Phantasie selbst das Sein sein muss]) - und insofern die Geschichte nichts als der Kampf kindlichen Strebens mit sich selbst.

Dabei dieses Selbst aber nicht als bloßer Fortschritt, sondern als Wiederholung, als Gleiches gegen Gleiches, was sich aber sodann eben darin trennt, das Gleiche zu sein. Wiederholung selbst (und d.i. die unbedingte Grundlage allen Universalismus) tritt hier also nur als Wiederholung von Unverständnis auf, als Trennung der anderen von mir - und ich so das Unverständnis meiner Selbstentfremdung erst durch diese Trennung auch in andere je werde setzen können (als ich dann erst sehe, dass er sich selbst fremd ist - so fremd wie ich mir selbst).

Universalität ist die des Kampfes, der Verzweiflung, das ist wohl so. Doch gerade ist diese Verzweiflung zugleich die Verzweiflung um eben jenen Universalismus, der noch in mehr als allgemeiner Verzweiflung und Verwirrung bestand - in seinem Verlust (und der Allgemeinheit dieses Verlustes) erst gibt es ein wahrhaft allgemeines - das Allgemeine, was erst ist, indem es schwand!

Dies alles drückt besonders eines aus: Fremdheit als Utopie ist allgemein! Dies ist hier noch besonders zu betonen, es ist nämlich sehr leicht, diese Forderung nun partikulär zu verstehen und zu behaupten, dass in allen Unterschieden doch jeder sein kann, wer er will, eben weil er uns fremd ist. Wer das behauptet, hat aber nur das abstrakte Prinzip der Fremdheit verstanden (d.i. dass ich nicht sehen kann, was sodann jemand ist, was er denkt etc.), aber niemals an das konkrete Prinzip der Fremdheit auch nur herangekommen ist. Denn jenes besagt ja gerade, dass man nicht nur anderen, sondern auch sich selbst gegenüber fremd ist, dass das sogar eigentlich das Sein ausmacht (d.i. seiner selbst entfremdet zu werden darin, dass das Sein kein Seiendes, oder, was dasselbe ist, dass das mentale kein physisches ist); insofern ist dieser Universalismus gegen alle Arten der Identität gerichtet. Erst wenn ich mich selbst aufgebe - und darin dann erst Welt erfinde, als eben jene Fremdheit - erst dann sehe ich, was ich bin - gerade darin, dass ich es nicht verstehe. Nicht eine unmittelbare Bestimmtheit ist Ziel der Entfremdung, es ist vielmehr Selbst-Entfremdung (d.i. Entfremdung von und zu sich selbst), die im Ganzen jede Art wirklicher Allgemeinheit wird ausmachen müssen (als jede Art positiver Bestimmung des allgemeinen in eben dieser Affirmativität wieder partikulär und damit nicht mehr allgemein, d.i. unwirklich wird).

Da nur, wie bereits erwähnt, allein in Wiederholung das eigentlich erkannt werden kann - insofern ich dann erst sehe, dass die Entfremdung, die ich von anderen habe, gerade die Entfremdung des anderen von sich selbst darstellt - so ist jede Wiederholung selbst diese Basis - als diese ist selbst Basis des Polytheismus der Kuscheltiere - notwendig für das Verständnis der Fremdheit überhaupt. Erst in der Gott-Werden (d.i. Selbst-Werdung in Selbst-Entfremdung) des anderen erkenne ich seinen Wert - erst im Schmerz seines Daseins ist Wahrheit jenes Scheines zu erkennen! Erst wenn ich sehe, dass jener, der als Zweifelnder seiner selbst auch nicht weiß, was er tut, in demselben Maße an meinem Verstande zweifelt wie ich an dem seinen, erst dann sehe ich, dass auch jener durch diesen Zweifel geplagt ist, der sich in mir als aufzustellen eben jener Entfremdung als Gedanken ausgedrückt hat - als Selbstzweifel, der selbst die höchste innere Gewissheit ist. Damit bedeutet Fremdheit gerade nicht, den anderen als Sonderling zu akzeptieren, sondern, ihn als sich selbst auszustoßen, um ihn erst im Ausstoß - im Missverständnis - wieder einzuholen (alsgleich Einholung doch schon hergestellt war; um jemanden einzuholen nach innen, so hat man ihn wohl außen einzuholen - herein und überein. So im konkreten, so im allgemeinen: man kann die Fremdheit nur einholen, wenn man sie auch einem selbst einholt). Das Einholen der Fremdheit ist die Offenbarung des materiell-göttlichen - d.i. das fremdpsychisch mentale, als Korrelat des Seienden im Sein (dagegen der Körper das Korrelat des Seins im Seienden ist, wie im Kapitel über Göttlichkeit hinreichend dargetan). Darum kann die Forderung des Idealismus der Fremdheit nur lauten: Erkenne, dass das Sein aller Seienden sich selbst ein ganzes, d.i. Göttlichkeit ist - erkenne, dass dir nur ein etwas erscheint, dessen Korrelat eine Welt für sich, als ganzes, als unendliches, ist, und insofern du nicht bloß einen Gegenstand in Händen hälst - sondern immer eine ganze Göttlichkeit!

Diese Göttlichkeit geht fundamental gegen alle relativistischen Aufkündigungsversuche an absoluten Werten vor, als sie die Fremdheit (und deren Erkennbarkeit in der Unkenntnis überhaupt) als absoluten Wert setzen muss, und damit jede Sache, und insbesondere jede Person in den Status der Göttlichkeit erhebt, ohne aber dadurch behaupten zu wollen, ihn verstanden zu haben, sondern gerade die Kenntnis der Unerkenntlichkeit nutzt, diese Göttlichkeit auch nur setzen zu können.

Bedenke, dass dies alles nur geschieht, insofern die Fremdheit beachtet wird; gerade das, was mir als bekannt erscheint, fällt nicht darunter. Dies nun nicht, weil es nicht darunter fallen könnte - ist doch jene Bekanntheit das allerfremdeste, was mir je unterkommen könnte - sondern schlicht, weil es keine Beachtung bekam. (Aufmerksamkeit ist Hüter und Schöpfer der Götter). Beachte außerdem, dass diese Göttlichkeit auch die eines Dämons sein kann - im Guten wie im Schlechten bleibt sie bestehen. Auch das also gegen den Relativismus: dass in Aufmerksamkeit es sich so zu merken hat, dass Wert und Einordnung selbst dem Gedanken zuteil wird, dass also Objektivität nur dem zukommt, was wertlos ist (dass heißt nicht, dass Objektivität nicht nachher noch gewonnen werden könnte; dann aber nicht als Objektivität der Sache - diese ist Zeichen von Langeweile - sondern als Objektivität der Untersuchung einer für sich - und für mich - nicht-objektiven Sache).

D2.6b - Freiheit vom Nutzen als Notwendigkeit, um den Gehorsam zu überwinden

Nun gilt es noch, ein zweites Vorurteil abzuwehren, was denn allzu leicht gegen das Prinzip der Fremdheit als Identität erhoben werden kann, nämlich die Vereinnahmung derselben durch das Prinzip des Nutzens oder Willens überhaupt, d.i. die Idee, sich selbst in der Entäußerung des Seins doch noch den Willen als Bestimmten erhalten zu können, um dann in ihm weiterhin identitär zu denken, obgleich das Prinzip der Selbst-Ungleichheit des Seins zugestanden ist, indem es eben für die Handlung als unanwendbar proklamiert werde.

Aber jenes kann, nach allen Prinzipien wie sie bisher dargelegt wurden, unmöglich funktionieren. Denn in demselben Maße, wie nun auf das Selbst, so ist die Fremdheit eben auch auf den Willen als Bekundung eigener, innerlicher Entfremdung, nicht als fremder Anerkennung anzuwenden. Dieser ist, insofern er in seinem Wesen, etwas als Etwas und doch sogleich als Nicht-Etwas, als Wunsch zu wollen, selbst der Bezug auf die Spontanität und Geplantheit, so dass also der Wunsch selbst in seiner Fremdheit sich vergöttlicht, sich aber genau darin fremd wird, nur allzu vertraut zu sein (insofern also als Loslösen von aller äußerer Wertgebung und Bezug auf ontologische Ethik, auf die sodann eine ontologische Politik wird folgen müssen, er nur gedacht werden kann, da er sonst in seiner innerlichen Abschottung als Wunsch der Willenlosigkeit oder, was dasselbe ist, als Wille zur Angst überhaupt gar nicht recht gedacht wird, sondern nur als fälschlich äußerlich zu sich selbst gesehen wird, wenn doch seine Fremdheit im eigentlichen Sinne das betrifft, was man Innerlichkeit nur nennen kann.

Dies sei darum noch einmal allgemein angemerkt: Fremdheit überhaupt liegt nur in Unverständnis, nicht in Äußerlichkeit. Es ist jene Äußerlichkeit nämlich keine Fremdheit, sondern Bekanntheit; dagegen Innerlichkeit, Selbst-Sein und Selbst-Wollen (dass der Wille ist, dass man es will) sich gerade in ihrer Innerlichkeit fremd sind, sich also niemals veräußern, indem sie anderes werden, sondern infolge ihrer Unveräußerung schon immer er-äußert sind ihrer Innerlichkeit (d.i. fremd gerade darin zu sein, nicht ein anderes zu werden, sondern dasselbe zu bleiben).

Somit kehrt der Wille auch nicht in sich zurück, als nichts da ist, wohin er könnte. Seine Heimat ist doch genau das, was ihrem Sein selbst entfremdete - Ich werde niemals ich selbst, weil ich gerade darin mich verlor, derselbe zu bleiben. Wer zu Hause bleibt, kann niemals nach Hause kommen - besonders nicht, wenn er in demselben eingesperrt blieb, noch viel weniger, wenn er erkennt, das Haus selbst zu sein - das Haus kommt nie nach Hause! Jenes ist das Schicksal der Seele, die nach sich selbst sucht, und des Willens, der sich zu verwirklichen trachtete. Darin glaubte er wiederkehren zu können, obgleich er doch immer da war. Das Bemerknis dieser Gleichheit - von Selbst und Sein, von Wille und Geist der Welt - erst ermöglicht es uns, nach dem Sein selbst zu fragen - nicht um dahin zu kommen, sondern um zu erkennen, was es heißt, darin, oder besser: diese Ganzheit selbst sein zu müssen, insofern man ist.

Wenn der Weltgeist klassicher Form nichts ist als das Zu-sich-selbst-kommen, so ist jene Fremdheit (auch als Fremdheit ihrer selbst, d.i. Fremdheit der Fremdheit gefasst) das Von-sich-selbst-wegkommen (aber eben nur dazu, sich in seiner Gleichheit als ein Fremdes zu erkennen), und insofern als ontologische (und nicht als unreflektierende ontische, d.i. als etwas zu sein, und nicht im Reden über jenes Etwas-Sein das Sein als Solches zu erkenen, insofern ich dieses bin) Politik gerade das Prinzip der Aufhebung aller äußerlichen Werte und das Setzen des Wertes überhaupt in aller Aufhebung als Ganzes das Prinzip der Kindlichkeit überhaupt.

Das Ergebnis dieser Selbst-Entfremdung des Willens, in moralischer Hinsicht betrachtet, ist die deutlichste Herausstellung des Moralproblems überhaupt:

Es geht hier nicht darum, das Individuum der Gemeinschaft gegenüberzustellen; jene Gegenüberstellung wäre ohnehin falsch und wurde doch in der Überwindung der Identität überhaupt schon längst losgeworden. Nein, es ist hier das Individuum selbst, was sich gegenübersteht; was also seine eigene Problematik des Willens überhaupt, seine eigene Angst und Unsicherheit als das Wesen seines Willens wird behaupten müssen.

Insofern also in der Überwindung jener Gegenüberstellung das reine Tun zum Problem der Politik wurde, so ist es dieselbe Bewegung im Willen nun, die Lust in ihrer Bestimmtheit (und dann den Gegensatz von Wille und Pflicht) ebenso heraushebt, als es auch die Lust ist, die sich fremd geworden ist, wie denn vorher das Dasein des Selbst.

Ich will, dass ich nicht weiß, was ich will - aber was soll ich dann tun? - so erschallt die Frage der Moral. Der Poltik oberste Aufgabe ist es, hierauf eine Antwort zu finden.

Damit ist Fremdheit hier nicht eine bloß äußerliche Bekundung eines Interesses, sondern wesentlich moralischer Inhalt, und damit gerade nichts dem Nutzen, sondern dem Un-Nutzen nach geboren, eines mit der allgemeinen Moralfrage wohlverbindliches, sogar vorausgesetztes.

D2.6c - Weltfremdheit als Tugend

Weltfremdheit als Tugend in die Welt zu setzen, muss hier also oberstes Ziel jeglicher Politik sein. Insofern sie also das ist, was die Welt überhaupt erst als solcher zu setzen in der Lage ist, so ist sie zugleich das, woran die Welt überhaupt zu richten ist, d.i. woran sich der Zustand der Welt selbst als die Fähigkeit, sich von ihr loszulösen, niederschlägt. Ich bin, dass ich nicht weiß, was ich bin, heißt denn auch, dass der Zustand, über den das Moralproblem zu betrachten ist, selbst ein ganz anderer ist, als er nämlich nur als nicht-bestimmter, als sich selbst fremder zu fassen ist.

Indem aber die Welt selbst ihrer fremd wird, wird sie uns näher, als sie sich darin eben jener Verwirrung annähert, die das Wesen der Subjektivität überhaupt ausmacht. Indem ich also in die Welt eine Verwirrung von ihr lege, lege ich eine Grundlage eines umfassenden Verständnisses der Welt aus ihr selbst heraus, indem es als Missverständnis sich seiner selbst bewusst wird, gerade darin, seiner selbst sich dauernd zu entfremden. Dies ist aber kein äußeres Bedrängen der Welt, sondern vielmehr das, was sich eben aus jenem Willen zur Moral unmittelbar ergibt, und was sodann die Grundlage dieses Streites eben darin völlig umwirft, dass sie ihn überhaupt erst beginnt! Das Unterdrückerische bisheriger Strukturen ist ja nicht nur, was sie denn in ihrer partikulären Handlung tun, sondern dass sie durch oberflächliche Erklärungen - Identität gegen Fremdheit, Nutzen gegen Neugier - das eigentliche Problem in seiner Problemhaftigkeit verdeckt. Kindliche Moral bedeutet aber eben, das nicht gelten zu lassen, sondern aus dem Wesen des Seins und Werdens zu fragen: Was soll ich tun?

Es muss hier zunächst einmal darum gehen, den Sinn für diese Frage erneut zu erwecken. Die Weltfremdheit, die doch allzu häufig dieser Frage als Mangel entgegengehalten wird - das man die inneren Zusammenhänge des Systems ja nicht versteht, dass es ja darauf ankommt, wer und wozu er es macht etc. - ist mir eben darum ein Zeichen ihrer eigentlichen Stärke. Es ist doch nämlich so, dass ich wahrlich diese inneren Zusammenhänge nicht verstehe - als ich nämlich glaube, dass sie diejenigen, die sie hervorbrachten, am allerwenigsten verstehen, dass sie Unterdrückungsinstrumente sind, und mein Unverständnis nicht das des dummen Gaffers, sondern des entsetzten Entdeckers ist.

Wenn jenes die Welt ist, wogegen wir uns sehen - wenn jenes das ist, worin wir handeln - dann handle ich gern weltfremd - dann muss ich weltfremd denken! Denn erst dadurch wird die Welt ihrer fremd, und darin erst wird sie sich verändern. Weltfremdheit ist moralische Verpflichtung, wenn die Welt, derer sie sich entfremdet, nichts ist als Lügenkonstrukt, als ein Gebilde zur Manipulation und somit Fremdheit hier wesentlich Freiheit ist, gerade auch darin, von sich und seinem Willen frei zu sein, und man erst darin doch zu ihm wieder wahrlich, neuerlich frei werden möge.

Die Freiheit nämlich, die jene suchen, die sich zu kennen glauben, ist Freiheit nur für ihr eigenes Verständnis, für ihre eigenen Vorstellungen, einer Idee des Selbst und Seins, das aus seiner Unverständlichkeit erst wirklich verständlich wird. Wirkliche Freiheit aber ist Freiheit auch und gerade für das Missverständnis - Für den Zweifel - Für die verzweifelte Frage nach der Moral überhaupt!

Es ist das Schicksal der Geschichte, dass ausgerechnet die, die Verständnis, Inhalt, als Grundlage ihres Denkens setzen, derer am wenigsten besitzen. Zum Verständnis kommt man erst dann, wenn man sich von ihm löst; d.i. erst wenn man sich missversteht, hat man sich gefunden. Es ist innere Notwendigkeit der W a h r h e i t, die zur Weltfremdheit führt - erst wenn man sich aller Systeme entzieht, kann man sie verstehen, erst dann kann man überhaupt Teil von ihnen werden.

Das ist auch der Grund, warum ich dem im Moment soweit vorherrschenden Positivismus in der Soziologie, insbesondere dem Luhmanns, so deutliche Ablehnung entgegenbringe. Dieser nämlich versucht, die Systeme als etwas stabiles anzusehen, als etwas, was in sich Regeln, Bestimmtheit, ja sogar konstruierte Wahrheit hat; aber das übersieht eben jenen Aspekt, der jedes System ganz notwendig durchdringt, der selbst das ist, was eigentlich erst wirklich als System bezeichnet werden kann, nämlich das Prinzip der inneren Fremdheit, der Zersplitterung überhaupt! Es ist gerade nicht so, dass es das innere der Systeme ist, sich auszudifferenzieren, sich weiterzuverbreiten und aufrechtzuerhalten; vielmehr streben sie alle auf ihren eigenen Untergang, auf das Prinzip ihrer Selbstauflösung.

Indem sich ein System als das setzt, was es ist - und es muss dies tun, wenn es überhaupt irgendeine Funktion haben soll - muss es also eine Form innerer Identität annehmen, um sich eine Bestimmtheit zu geben. Jene innerliche Bestimmtheit aber muss eine Form der Wahrheit zu ihrem Inhalt haben, wenn die Bestimmtheit mehr sein soll als eine blos äusserliche Bestimmtheit des Tuns (worunter gerade aber auch nicht zählt, etwas ganz bewusst als seinen Willen zu behaupten; wenn ich sage: ich tue das, weil ich es will, etwa, weil ich Macht haben will, so muss ich ja die Wahrheit eben jener Sache behaupten, dass ich tatsächlich Macht will, und nicht nur jetzt grundlos tue, was auch immer mir vorkommt. In dieser Weise aber ist fast jedes System innerlich bestimmt, so dass man diese Bedingung fast wegzulassen geneigt wäre, wenn es nicht eben jene Idee wäre, das zu überwinden, was eigentlich Prinzip und Aufgabe der ganzen kindlichen Bewegung ist.) Aber das absurde dieser innerlichen Bestimmung ist, das es genau diese Bestimmtheit ist, die das ganze System unbestimmt macht, insofern man aus der klaren Bestimmtheit und Suche nach Wahrheit - aus der reinen Logik sogar schon - doch eindrücktlich ersehen muss, dass es so etwas wie Bestimmtheit des Blickes, des Willens, nicht geben kann, solange diese Bestimmtheit nur darin ereicht werden könnte, dass die Perspektive, durch die man auf die Welt blickt, selbst in diese Perspektive zu bringen wäre, was aber selbst unmöglich ist.

Damit ist es sogar nicht genug gesagt, dass ein System sich nicht zu reproduzieren in der Lage ist, nein, es kann sich nicht einmal wiederholen! Denn in der Wiederholung steckt ja schon diemer Widerspruch, aus dem Blicke den Blick zu erblicken, als ich denn sage: Ich bin dies und ich bin dies, was nur bedeutet, das ich dieses nicht bin, da ich, wenn ich jenes nicht als reines Wort, sondern als positive Wiederholung, als Inhalt zu sagen imstande bin, eben ich auch anderes an dessen Statt sagen könnte, und damit im selben Recht auch jenes und nicht dieses bin. Dies gilt natürlich nicht für jegliche Tat, da jene auch nicht behauptet wird als etwas, was man sei, sondern etwas, was man zu etwas tut; und es gilt natürlich genausowenig für jene Eigenschaften, die man wahrlich als wirklich eigentümliche, bestimmende bezeichnen könnte, jene nämlich, die man nicht einmal bezeichnen kann, da ihre So-und-so-Bestimmtheit selbst Teil des Denkens und der eigenen Persoektive überhaupt ist und diese eigentlich erst bestimmt.

D2.6d - Hinausbrechen der Kindlichkeit über der Vernunft als Mittel

Aus der geschichtlichen Entwicklung geht nun aber mit Sicherheit hervor, dass jene Bewegung - vom erwachsenen Sein zum kindlichen Tun, vom Wahrheitsanspruch zu dessen wahrhaftiger Verwirklichung im Scheine, im kindlichen Spiele - doch nicht so einfach ist, als es der Begriff der Wahrheit vermuten lässt. Denn obzwar all diese Institutionen sich zur Wahrhaftigkeit verpflichtet haben, so blieben sie doch immer in ihren eigenen Träumen sicherer und uneinnehmbarer Identität stecken, lassen keine Kritik daran herankommen und behaupten dann sogar, es ginge gegen ihr Dasein, wenn es wahrlich nur gegen die Art geht, wie sie ihr Dasein zu erkennen glauben. Es tut sich also das Erwachsenwerden hier zunächst als Ansammlung des Stolzes hervor, der alle nur erdenkliche Kritik am Selbst-Bild zur Kritik am eigenen Dasein erhebt und durch dasselbe verachtet.

Es ist aber hier auch zu beachten, aus welcher Art der Kindheit sich jenes Erwachsen-Sein denn entwickelt hat. Die Art der Kindheit, die nämlich hier nur allzu oft voran steht, ist die unbewusste bzw. unreflektierte oder, und das ist umso schlimmer, die schamhafte Kindheit, die sich hinter die Erwachsenen zurückstellt und die eigene Kreativität und Gedankenfülle als nichtig und untergeordnet betrachtet. Jene Art der Kindheit - von der auch die Natur infolge ihrer gewaltigen Erscheinung gegenüber den Kindern des Lebens voll ist, wodurch es auch richtig ist, schamhafte Kindheit als Ausgangspunkt der Menschheitsgeschichte zu nehmen - erzeugt also eine Suche nach höherem, nach Wahrheit, und kommt dadurch überhaupt erst auf den Zustand, erwachsen zu sein.

Die Bewegung zur Kindlichkeit hin ist keine Gerade, sie liegt auf kreisenden, wirren Wegen. So sehr man selbst am Beginn unserer Geistesgeschichte immer wieder versucht, aus jenem Identitätskonstrukt herauszukommen - die Skeptik hat es ja bekanntlich seit der Antike gegeben - aber sie sind eben gescheitert, weil sie das Problem nicht in ihrer Gesamtheit gefasst hat, sondern nur in gewissen Bereichen eine Falschheit der Identität aufbrachte. Sodann wurde aber das, was sie nicht als in dieser Falschheit miteinbegriffen sahen, als Ausgangspunkt neuerlicher Spekulation verwendet, und darum kam also ein neuer Idealismus, der nun zwar noch frei war - wie er es sein soll - aber in sich die seltsame Eigenschaft hat, zu einem Materialismus, einem Realismus zu kondensieren, der dann die vorher nur spekulativ behaupteten Strukturen - insofern sie sich nicht in der vorherigen skeptischen Bewegung als falsch erwiesen haben - nun als absolut real und unzweifelbar gesetzt wurden. Daran muss also eine erneute skeptische Bewegung kommen, um anschließend gegen dies Dogma die Wahrheit des Nicht-Realismus zu seiner Geltung zu bringen.

Man mag mir nun vorwerfen, hier selbiges zu tun, auch aus meinem Skeptizismus ein spekulatives, idealistisches System zu entwickeln, und zu gewissen Teilen ist das sicherlich richtig. Aber im Gegensatz zu allen vorherigen Systemen, die eben nur einen Teil jenes Rechtsanspruchs an das Subjekt zu kritisieren vermochten (und so etwa bei Descartes es immer noch denkende Substanz, bei Hegel immer noch das Ganze, worin ich nur ein Teil bin, ja sogar bei Heidegger das In-Sein und bei Foucault immer noch eine äußere Geschichte gibt), ist mein System eine Kritik an eben jenem Anspruch in abstracto, so dass es sich nicht als Argument wird halten können, wenn man hier mir auch nur im geringsten folgen will (und um dies nicht zu tun, so ist doch zumindest ein deutliches Gegenargument erforderlich), was auch immer die genauere Art des jeweiligen Dogmas sein wird, ebenso wie auch in concreto, so dass dann in jedem einzelnen System, insbesondere aber in der Gesellschaft, keine Identität an ihrem Platze stehen möge, wenn jener allgemeine Zweifel einmal angestoßen ist.

Jenen Zweifel aber zu wecken, aus der tragischen Suche des Selbst nach sich selbst auszubrechen und zu rufen: Ich bin, dass ich mich nicht kenne! - jenes ist die eigentliche Aufgabe der politischen Bewegung der Kindlichkeit! Wenn es unser Ziel ist, Identität zu finden, so muss man sie letztlich verlieren, und darin sie erst wieder finden.

Wir werden also gerade nicht in jenen alten Zustand der schamhaften Kindheit zurückgeworfen, eher werden wir zurück-ent-worfen! Die Scham, klein zu sein, haben wir überwunden - in meiner Winzigkeit bin ich gewaltig! Jenes ist zugleich Hoffnung für die Kinder dieser Welt - dass sie sich nie mehr sagen lassen müssen, dümmer oder schlechter zu sein, nur weil sie jünger sind - in ehrlicher, bewusster Kindlichkeit allein kann sich das Dasein wahrloch zeigen, darin sind jene Kinder, die ihre Kindheit mit Stärke vontragen, jene, denen eigentlich die Zukunft der Welt gehört. Jener Zurück-Ent-Wurf ist darum Ziel der hier dargestellten Philosophie.

Darin aber liegt gerade, dass diese Ausbreitung der Kindlichkeit selbst moralische Verantwortung ist, damit Ziel des Staates, nicht nur des Kindes. Ich glaube aber, dass einzig in einer wirklichen Änderung der Struktur unserer Welt so eine Wendung zur Kindlichkeit je möglich werde, denn sonst, so fürchte ich, holt uns die materielle Struktur der Identität wieder ein, und pflanzt in unsere Kindheit eben jene Scham, die sie uns, zu unser aller Schaden, wieder und wieder vergessen und verachten ließ.

Eben darum ist der Kampf um die Kindlichkeit einer, der zugleich gedanklich und materiell sein soll, wenn er wahrliche Freiheit je hervorbringen möge. Er ist der Endpunkt der historischen Freiheitskämpfe, die alle Barieren des Wesens in ihrer Bestimmtheit niederrissen und dadurch die Freiheit der Handlung überhaupt ermöglichten. Einzig die Freiheit des Seins ist noch zu erringen, und um den ontologischen Unterschied mag es auch gehen, ihn nun wahrlich in der Welt - als die Welt - zu überbrücken und von der Freiheit des Wesens zu Freiheit des Seins zu gelangen!

D2.7 Vorläufiger Beschluss

Wenn unsere Freiheit bloß die Freiheit sei, zu wählen wer wir sind, dann haben wir gar keine Freiheit. Denn dann bin ich nur frei, mir selbst das Gefängnis zu bauen, jenen Schein das Daseins als selbstgewählt erscheinen zu lassen, und letztlich mich selbst zu zwingen daran zu glauben. Jene Freiheit ist nichts als Verlogenheit, und es darf deshalb auch nicht wundern, dass all die, die proklamieren, man solle seinen eigenen Weg wählen, nichts erzeugen als Konformismus.

Identität ist nichts als die Maske der Unsicherheit. Von den Feudalherren, die mit ihrer gottgegebenen Macht und Identität der Treue nur ihre eigene Angst vor der Revolution verstecken wollten, über die Bankiers, die mit ihrer Identität des Eigentums, der Freiheit und des selbstgemachten Lebens nur ihre eigene Sorge vor Diebstahl des Gestohlenen, das sie ihr eigen nennen, zu übertünchen versuchten, bis zu den Diktatoren des Kommunismus, die mit ihrer Rhetorik der Gleichheit und Gerechtigkeit nur ihre eignen Misstaten relativieren wollten. Von denen, die ihre Schwäche damit verbergen wollen, indem sie umso deutlicher sagen, Männer zu sein, zu den scheinbaren Mitläufern, die ihr revolutionäres Potential mit dem Namen der Weiblichkeit unsichtbar machen wollen, auch zu sich selbst. Besonders aber bei den heutigen Herrschern der Welt, die ihre Unsicherheit und Ratlosigkeit vor allem durch eines verbergen wollen: Durch den Anschein zu wissen, wer sie sind.

Unser Ziel muss es sein, die Masken zu zerstören! Nichts ist hinter ihnen, und dieses Nichts soll herrschen. Nicht länger sollten wir uns damit abgeben, hinter den Masken und Ratespielen der Ratlosigkeit einen Sinn zu suchen; denn jenes hintere ist die eigentliche Maske. Darum muss unser Wahlspruch lauten: Nieder mit den Masken - Es lebe die Maske! Nieder mit der entfremdeten Identität - Es lebe die Identität der Entfremdung! Wahre Lüge statt lügende Wahrheit!

Lieber ehrliche Lüge als verlogene Ehrlichkeit - jenes ist das politische Ziel der Kindlichkeit überhaupt!

E - Kind des Lebens - Schatten der Welt. Rückschau und Vorblick

Dies also ist die Philosophie der Kindlichkeit, soweit ich sie bisher ausgearbeitet habe. Ich will nun noch mit einer kurzen Bemerkung schließen; einer Bemerkung, die die Ganzheit des Systems betont (und es darin zudem als Etwas, als Struktur überhaupt, zusammenfassend vergegenständlicht), aber damit zugleich in eben dieser Ganzheit, in der allgemeinen Gleichheit der Erkenntnistheorie, Theologie, Ethik und Politik eine innere Zersplitterung wiederfinde, die selbst wiederum - als Element des Allgemeinen in seiner partikulären Bestimmtheit - über die Ganzheit ihres Systems hinausweist und das Problem darstellt, was vorderstes Objekt einer kommenden, systematisch-vollständigen Philosophie wird sein müssen.

E1 - Überblick über das bisher Erschlossene

Zu Beginn lag unser Ziel darin, die Dinge als Fremde in ihrer Betrachtung zu sehen - als Intuition wie im Begriffe. Daraus leiteten wir die Notwendigkeit einer allgemeinen Fremdheit her, das Selbst, das - durch die innere Zersplitterung im Willen - erst dafür sorgen kann, die Welt entstehen zu lassen. Aus dieser Je-Perspektivität der Welt leiteten wir dann ein Prinzip allgemeiner Subjektivität her (dieses kommt aus der Selbst-Wiederholung in der Phantasie), was sich als objektives Wissen selbst über - oder besser immanent jenseits - der subjektiven Perspektive wird stellen müssen, um also aus dieser Konstrastion - des meinen, des seinen und des allgemeinen - erst Wissen außerhalb der Betrachtung erzeugt - eben indem hier die Betrachtung selbst in ihrer Existenz zum Wissen wird und damit, von ihrer inhaltlichen Gleichheit losgelöst, erst die Betrachtung als solche in ihrer Notwendigkeit bestimmen kann, eben auch indem sie sich selbst als ihr Objekt betrachten muss. Jenes ist die Fremdheit im Blicke auf die Welt.

Danach betrachteten wir die Frage nach Wert und Göttlichkeit, und sahen, dass außer durch eben jene Fremdheit von sich selbst wir gar keinen Wert je erkennen können, dass wir sogar jeden anderen Wert an der Selbstentfremdung des Objektes in seinem Sein überhaupt erst erkennen können, so dass wir - in der Vergöttlichung des Fremden überhaupt - gerade in der Überwindung innerer Ruhe und im Aufnehmen des eigenen Kampfes und Schmerzes als des Schmerzes der Welt und der Trennung derselben von ihrem Bewusstsein, von Schattenhaftigkeit des Seins und dem Sein des Schattens, erst wirklich einen Wert der Welt je setzen können, gerade das aber nur in ihrer eigenen Fremdheit, in der Träne des Kuscheltiers. Jenes ist die Fremdheit im Schmerze des Seins.

Schließlich sahen wir das Dilemma sich vollends ausfalten, als wir in Betrachtung der Ethik, der tatsächlichen Handlung (d.i. des Denkens in seinem Vollzuge) erkannten, dass all jener Schmerz, all diese innere Zerrissenheit, eben dazu führt dass die moralische Frage - Was soll ich tun? - nun wirklich und allgemein gestellt werden muss, um jenseits falscher Sichherheiten wesenhafter oder intentionaler Erkenntnis einen Punkt der Wahrheit im Wirklichen zu finden; dies nicht, um die Widersprüche zu überwinden, sondern eher, um sie erst zu verwirklichen! Jene Verzweiflung der inneren Wahrheitssuche der Moral, die doch bisher noch zu keinem Ergebnis gekommen ist, eben da sie sich im Widerspruch ihres eigenen Wollens bewegt, ist die Fremdheit des Handelns überhaupt.

All dies drückt sich in letzter Konsequenz in der politischen Forderung aus, das Sein selbst als Prinzip, jenseits allen bestimmten Wesens, zu politischer Macht und moralischer Gesetzgebung zu verschaffen. Denn allein aus jenem Sein wird sich eine solche Moral ergeben können - einzig aus dem inneren Strebens des Denkens in seiner eigenen Widersprüchlichkeit! Und da eben Politik nichts ist als die Verwirklichung der Moral, ist hier das Moralproblem in seiner allgemeinsten Form gestellt; insofern es aber auch selbst in seiner Geschichtlichkeit allein politisch wird erscheinen können, so ist es gerade das Stellen jenes Problems, was Lösung einzig werden kann, auch wenn es eine Lösung nie war, sondern nur werden möge. Jenes ist die Fremdheit im denkenden Handeln der Welt.

E2 - Subjektivität und Bewusstsein

In all diesen Betrachtungen sahen wir einen fundamentalen Widerspruch, der selbst das Prinzip, aber auch das Problem jener Betrachtung vollkommen ausmacht. Er ist der Widerspruch zwischen Fremdheit und Selbst-Sein, zwischen Gegenständlichkeit und Denkend-Sein (d.i. physischem und mentalem), zwischen Schattenwelt und Weltenschatten und zwischen der absoluten Ambivalenz des Wollens und der dennoch eindeutigen Bestimmtheit in der Frage nach dem Sollen, in moralischer wie in politischer Betrachtung. Jener ist der Unterschied, den wir hier also zu betrachten haben - auch um herauszufinden, ob es denn je eine Form gibt, auf die Moralfrage eine Antwort zu finden, auch wenn uns alle bekannten Erkenntnisarten hier nicht weiterhelfen und mir eine weitere bisher nicht vorgekommen ist - als es in jener Betrachtung liegt, gerade in der Vollständigkeit der Zersplitterung ihre Lücke zu suchen - indem sie erst falsch wird, dadurch sie zu Ende gedacht werde als Wahrheit, die auf ihre eigene Falschheit verweist.

Jene Lücke deutet nun auf ein Problem hin, was mir nun als besonders bedeutend erscheint, eben darum weil es nicht in diese Unterscheidung wirklich sich einzufügen scheint. Es ist die Unterscheidung von Subjektivität und Bewusstsein, auf die ich bisher noch gar nicht eingegangen bin, die aber eigentlich eine sehr deutliche Schwierigkeit für alle. Arten von Bewusstseinsphilosophie darstellt.

Es geht hier um die grundsätzliche Frage, wie ich sagen kann, dass aus dem Selbst einer Sache auch das Bewusstsein jenes Selbst folgen müsse. So ist es etwa deutlich, dass ein physikalischer Gegenstand durch sein Bezugssystem eine Perspektive hat, auch wenn er kein Bewusstsein hat. Die Frage ist aber eben, ob er dieses Bezugssystem auch für sich, oder nur für mich haben kann, d.i. ob derlei äußerliche Bezugssysteme je den Status echter Subjektivität werden erhalten können.

Es ist hier das seltsame, dass ich ja sage: Ich sehe die Subjektivität des Anderen; wenn ich wirklich nur seine Perspektivität aus der Art, wie ich seine Gedanken einzuordnen geneigt bin, einzuschätzen in der Lage sein kann; Ich kann also über die innerliche Form des Gedankens ja gar nichts aussagen als dass es dort etwas geben möge, und das auch nur aus dem Glauben an das Fremdpsychische, vielleicht als regulative Idee, nicht aber als wirkliche oder gar objektive Einsicht

Aber wenn ich nun die Form eben dieses Bezugssystems betrachte, so erscheint mir doch, dass man durchaus sagen kann, die Perspektivität in ihrer Form, eine andere Art des Seins zu erzeugen, zumindest erahnen zu können. Genauso, wie ich aus meiner Vergangenheit einen Schatten meiner Erinnerung, oder aus der Welt überhaupt einen Schatten jenes Gottes, der Nichts ist als Weltenschatten, mir erzeugen kann, so kann ich auch aus der Wahrnehmung der physikalischen Realität überhaupt, aus dem Zerwürfnis der Welt, auf eine Form der Perspektivität schließen, die nicht unbedingt bewusst sein muss. Es ist dies die eigentliche Wende aus der modernen Physik, die hier noch nicht in das Subjektverständnis miteingegangen ist: Materie ist unbewusste Subjektivtät.

Während mir vorher unklar sein musste, wie ich mit mir selbst überhaupt im Streit liegen kann - bin ich doch das ganze Sein - so sehe ich es nun deutlicher: mein Bewusstsein streitet mit sich selbst, ob es die Perspektivität überhaupt beherrscht. Es ist die Ideologie der Identität nichts anderes als die Behauptung der Gleichheit beider, und das Auseinanderhalten der Beiden das, was wirklich das Bewusstsein meines Denkens aus sich selbst herauslöst und damit überhaupt erst begründet.

Indem ich sage, dass mir mein Wesen ist, mich nicht zu kennen, so binde ich zwar mein Wesen an mein Verständnis, aber gerade nicht an Bewusstsein, sondern an den Kampf des Bewusstseins gegen sich selbst, an das Bewusstsein des eigenen Todes, des Unverständnisses, der Fremdheit überhaupt. Mein Wille zu leben ist nicht darin, dieser oder jener zu sein, es ist nichtss als der Unwille, sich selbst über sich selbst siegen zu lassen.

Dieser Kampf des Bewusstseins gegen sich selbst war eigentlicher Gegenstand aller Konflike. Alle Kriege waren eigentlich Kriege um Gedanken, um die Verbeitung von Ideen in der Welt. Diejenigen, die, anstelle dass sie ihre Gedanken hätten kämpfen lassen, nur ihre Körper antreten ließen, die Menschen um Menschen töteten - sie waren zu feige, um sich selbst zu vergewissern, um ihrem eigenen Denken sich entgegenzustellen! Wer schon eine Seite gewählt hat, der hat sie schon verloren - Ich wähle keine Seite, ich wähle den Konflikt! ist darum eigentlicher Ausdruck kindlichen Wollens.

E3 - Leben und Sein

Wenn Identität nichts ist als Unsicherheit - im Wirklichen, wo sie nichts als Verbergnis derjenigen ist, die man damit kaschieren will, wie im Ideelen, wo jene Unsicherheit, als öffentliche Zugabe, das einzig echt identitäre wird sein können, dann aber nur des Tuns und nicht des Seins, oder des Seins nur darin, nicht des Seins zu sein - wenn sie nichts als zur Unterdrückung erhobene Ratlosigkeit ist, als falscher Ausdruck jener eigentlich politischen Aufgabe, die Probleme zu stellen, dann aber auf die Art verkehrt, sie von sich dadurch abwehren zu wollen, dass man ihnen einen Namen gibt und sie dadurch für gut erkennen will, und damit die eigentlichen Fragen auf bloßen Natureigenschaften zu reduzieren versucht, dass man von ihnen nicht als Tat, sondern als Sein redet, und durch die Erhebung zum Wesen das Sein selbst wesenhaft unterdrückt - dann ist dem, der dies versucht, an nichts anderem gelegen als die Vermeidung echten Kampfes des Bewusstseins, des Selbsts überhaupt.

Daher ist es so schwer, ein selbst ohne Bewusstsein zu denken, als man sich beim Denken immer im Bewusstsein ist, - und man sich dadurch gar nicht klar wird, dass jenes Sein eben immer schon da sein muss, bevor man sich dessen bewusst wird, aber zugleich nur durch die Bewusstwerdeung je einen Inhalt erhalten kann, also zugleich bestimmt und unbestimmt ist, und dadurch zwar dem bewussten Sein keinerlei Bestimmung voraus haben kann, aber doch sicherlich eine Art innerer Ruhe, die sich in der Form des Todes bildet. Jenes ist das Projekt der Identität - seinem Bewusstsein dadurch zum Siege zu verhelfen, dass es sich umbringt. Der Krieg gegen sich selbst ist der einzige, den man gewinnen kann - Selbstmord ist Eigensieg. Aber ein Sieg nur darin, sich nicht mehr mit der eigentlichen Frage des Lebens beschäfitgen zu müssen: Was soll ich denn jetzt tun? Wer sich nur dadurch zu helfen weiß, sich umzubringen, hat den Kampf um das Sein - und das ist der Kampf des Bewusstseins mit sich selbst, der innerliche Kampf des kindlichen Geistes - schon längst verloren. Jener Tod ist vielleicht ein Sieg, aber ebenso eine Niederlage für den, der sich selbst besiegt.

Dadurch bin ich, der gegen dies alles steht, auch eben kein Totengräber des Denkens, sondern eigentlich erst Aufdecker des Urgrundes, woraus neues Leben kommen kann. Wenn ich also sage: Erkennt nicht, wer ich bin - erkennt, worin ich zweifle! so ist das ein Aufruf zu neuem Leben des Geistes. Mein Wille des Lebens ist einer, den Weltgeist eben nicht gewinnen zu lassen, das Sein nicht dem Selbst preiszugeben. Darum ist es dieses, in Stärke und Verzweifelung, was ich um der neuerlichen Suche nach Moral willen einmal mehr aussprechen möchte, hoffend, aus dessen Ausarbeitung, über diese Skizze hinaus, einmal mehr einen Gedanken des Rechten, des Wahren zu erhalten, um aus dem Schatten, die die Welt für mich ist, aus der Heimatlosigkeit des Bewusstseins im Seine überhaupt, eine Grösse, eine Tugend zu erkennen, erstrebend, den Kampf in mich selbst zu legen und durch und mit meinem Selbst eben jenem Kampfe zum Rechten und Wahren führend beginnen zu können, das Ende, als Anfang genommen, so rufe ich aus:

Ich bin, dass ich nicht weiß, was ich bin!
Ich will, dass ich. nicht weiß, was ich will!
Ich lebe, damit ich weiß, dass ich sterbe!