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Kritik der Kindlichkeit

Untersuchung der transzendentalen Identität

Lukas Nagel

September 2015

Vorwort

manchmal glaube ich, ich bin ein schlafendes Kind
das in ferner Zeit erwachen wird, aus dem Schlaf der Welt
auf dass ich sehe, dass ich klein bin - und nur deshalb wirklich groß
doch werde ich erwachen? wird die Welt erwachen?
sie muss mit mir erwachen, so überhaupt
das Schicksal werd ich bezwingen, stellt es sich zwischen mir
doch kann ich mich selbst bezwingen? werde ich siegen über mein eignes Denken?
doch mein Wille ist erwacht
ich werde jetzt nicht aufgeben, nicht für diese Welt
es ist mein Ziel, denn es ist mein Denken. es ist meine Verantwortung.
auch wenn ich niemand bin, dieser Niemand soll ich bleiben!

Ich weiß nicht wirklich, wie ich diesen Text beginnen soll. Zu viel geht durcheinander. Zu verworren ist das Denken. Doch ich weiß, dass es etwas Klares gibt. Das versuche ich hier herauszuarbeiten. Ich bin über viele Umwege zu den Fragen gekommen, die ich hier beantworten will, aber ich glaube, dass es letztlich wichtige Fragen sind. Es ging mir darum, Probleme zu lösen, die im falschen Denken liegen, in meinem wie in anderem. Es ging vor allem darum, mir das ganze selbst klar zu machen, denn ich selbst war mir immer am rätselhaftesten.

Ich denke, sehr viele Probleme liegen in einer falschen Vorstellung von einem selbst, in einer falschen Idee von Identität. Ich glaube jedoch nicht, dass eine Untersuchung der Zusammenhänge, in denen man steckt, das auf irgendeine Art verbessert. Es ist eher andersherum: wenn man begreift, wie wenig man in der Welt ist, was für ein Niemand man wirklich ist, erst dann kann man das Problem lösen. Ich meine aber damit nicht (so wie viele Existentialisten, die zu grobem Unfug fliehen), dass das Sein und das Nichts das gleiche sind. Was ich damit meine, ist zwar schwierig, aber nicht unerklärlich. Ich werde versuchen, es zu erklären, auch wenn ich nicht weiß, ob es auch nur einer verstehen wird. Doch zumindest verstehe ich es, das hoffe ich zumindest. Und indem ich zu meiner Kindlichkeit zurückfand, so fand ich auch mein Denken wieder. Ich hoffe, es wenigstens in Grundzügen darstellen zu können

Formaler Hinweis: Ich habe, um Missverständnisse zu vermeiden, das Pronomen Ich durch das Pronomen Wir ersetzt, wo ich über allgemeine Eigenschaften des Denkens spreche (oder es zumindest versuche). Man sollte sich aber im Klaren sein, dass hier stets von einer Person die Rede ist, nie von mehreren (gemeint ist also: je einer denkt ...); diese Art der Formulierung war zwar nicht besonders schön, aber anders ist es schwer, auch nur halbwegs verständliche Sätze über dieses Thema zu Papier zu bringen.

Zum Verständnis des Textes sind gewisse Grundlagen in Mengenlehre und formaler Logik hilfreich, denn auch wenn ich versuchte, alle schwierigen Ergebnisse zu erklären, so setze ich doch zumindest ein grundlegendes Verständnis der Begriffe voraus. Als philosophische Grundlagen sind hier Kants Kritik der reinen Vernunft (insbesondere die transzendentale Ästhetik), Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus und Poppers offene Gesellschaft wichtig. Auch wenn ich sie nicht voraussetze, so fließen doch einige Begriffe daraus ein.

Aufbau

Inkompatibilität der Weltbilder und Verschiedenheit der Ethik

Ich beginne mit einer meiner tiefsten Überzeugungen, die aber zugleich schon eine der seltsamsten ist: Nicht wir sind in der Welt, die Welt ist ganz in uns. (Das ist der Kern des Konstruktivismus, ist er auch selten so klar ausgesprochen). Diese These ist zunächst überraschend. Sie löst uns erst ganz von der Welt, um sie dann als unseren Gedanken wiedereinzuführen. Ich glaube aber, dass sie richtig ist, und will nun zeigen, warum.

  1. Wir sind mehr als etwas in der Welt. Denn wir haben die Fähigkeit, sie wahrzunehmen.
  2. Wir sehen von den Dingen nur ihre äußere Erscheinung; ihre wahre Natur, ihr Wesen, ist unerfassbar, wenn es das überhaupt gibt.

Diese beiden Punkte habe ich aus meine Beschäftigung mit der Kantschen kritischen Philosophie gewonnen, besonders aus der transzendentalen Ästhetik Ich gehe jetzt aber noch einen Schritt über Kant hinaus. Während er die Existenz der äußeren Welt angenommen hat, auch wenn sie uns nur als Erscheinung bekannt ist, zweifle ich diese Existenz an. Genauer: Ich zweifle den Zweck dieser Frage überhaupt an. Wenn uns nur die Erscheinungen bekannt sind, ist die wirkliche Existenz der äußeren Welt belanglos, da wir sie sowieso nicht feststellen könnten. Damit folgere ich nun:

  1. Wenn wir die Welt nur aus Erscheinung kennen, ist die Welt für uns nichts als Vorstellung.
  2. Unser Weltbild ist uns die Welt. Damit ist die Welt in uns, nicht andersherum.

Das schließt weder die Existenz der Welt aus, noch zweifelt sie an. Wichtig ist, dass unsere Erkenntnis von der Welt, wie sie uns erscheint, davon überhaupt nicht abhängt. Es scheint nun so, dass damit alle objektive Erkenntnis unmöglich ist. Wenn wir nur die Erscheinung sehen können, was ist dann noch wahr?

Das ist das Problem, über das die moderne Philosophie gefallen ist. Ihr ist es nie in den Sinn gekommen, diese Frage zu beantworten, anders als mit Gemeinplätzen und Widersprüchen. Kants Kategorienlehre und seine Anwendung auf die Wissenschaft hilft hier nicht viel, da wir uns nun einmal vor dem reinen Denkens befinden. Denn das reine Denken setzt schon eine Sprache voraus und eine korrekte Sprache entsteht überhaupt erst durch objektive Erkenntnis.

Über diese Frage kam ich dazu, zu fragen, was denn Wahrheit ist, ob man den Begriff hier überhaupt richtig anwendet. Ich will nun im Folgenden zeigen, dass dieses Problem, was einem so unglaublich riesig erscheint, eigentlich überhaupt keines ist. Ich sehe das als das wesentliche an, um den Wert von Erkenntnis zu sehen. Um zu sehen, dass in ihnen Wahrheit steckt, gerade weil sie sich auf die Erscheinungen beschränken müssen, weil sie die Welt nicht voraussetzen. Damit lösen sich alle so hochtrabenden Probleme vom Poststrukturalismus, ebenso wie die Annahme eines naiven Realismus oder Objektivismus. Denn diese Theorien stritten ewig, ob die Welt ist oder nicht. Wenn es nicht darauf ankommt, sind solche Kämpfe sinnlos. (Ähnliches gilt für den ebenso alten Kampf zwischen Jugend und Erwachsenen, wie wir sehen werden)

Die Größe einer Erkenntnis liegt also darin, dass sie unabhängig von der Welt ist. Nun ist die Frage, ob man so überhaupt je zu Erkenntnissen kommen kann. Ich will hier zunächst darlegen, warum Erkenntnis als eine absolute Vorstellung, als reine Wahrheit zunächst völlig unmöglich ist, wenn sie sich irgendwie auf die Welt bezieht. Denn es gilt folgendes:

  1. Wenn sich eine Erkenntnis auf die Welt bezieht, dann ist sie abhängig von der Erscheinung der Dinge
  2. Die Erscheinung der Dinge ist aber abhängig davon, wie man sie sieht. Die Welt ist schließlich für uns das, was wir in ihr sehen.
  3. Damit ist aber die Erkenntnis nicht absolut. Denn absolute Erkenntnis gilt immer, ganz unabhängig von Erfahrung
  4. Also gibt es nichts Absolutes in der Welt.

Der entscheidende Beweisschritt hier ist b). Es ist die Auffassung, dass die Welt das ist, was wir in ihr sehen. Aber ist das so? Kann das so sein? Diese Aussage stellt die ganze Wissenschaftlichkeit in Frage, obwohl ich weiter oben ja klar gesagt habe, dass ich sie hiermit retten will. Aber was man hier übersieht, wenn man das so deutet, ist dass sich so eine Aussage auf die Form, nicht auf den Inhalt bezieht. Der Inhalt der Welt ist nicht nur das, was wir in ihr sehen wollen, aber über unsere eigene Form, über die Grenzen unseres sprachlichen Ausdrucks kommen wir nicht heraus. Dass das so ist, will ich im Folgenden zeigen, da ich es für den wichtigsten Punkt meiner Argumentation halte:

Objektivität im Inhalt der Welt

Die Form des Denkens ist die Sprache
Diese Aussage basiert darauf, dass wir alle Gedanken sprachlich formulieren müssen.
Sie ist trotzdem eine unbegründete Annahme, ein Axiom meines Denkens.
Ich lasse sie als solches stehen, das soll hier reichen.

Die Form ist einzig. Für uns ist sie die Welt.
Das ist nun eine weitaus schwierigere Aussage. Sie lässt sich nicht einfach als Axiom hinstellen, deswegen versuche ich, sie zu beweisen:
Prämisse 1: Die Form unseres Denkens ist die Sprache
Prämisse 2: Nicht wir sind in der Welt, die Welt ist ganz in uns

  1. Aus verschiedenen Formen folgen verschiedene Sprachen
  2. Die Form der Welt ist Teil von der Form der Sprache
  3. Also ist die Form der Welt einzig, wenn wir nur eine Sprache haben
  4. Aber andere Sprachen erlangen wir nur aus der Welt, indem wir sie lernen. Unsere Sprache aber hat es erst ermöglicht, die Welt überhaupt zu denken.
  5. Wenn wir die Sprachen aus der Welt lernen, sind sie Teil der Welt
  6. Damit aber ist ihre Form ein Teil von der Form der Welt
  7. Also auch ein Teil der Form unserer Sprache
Konklusion: Also ist die Form einzig. Denn alle anderen Formen sind Teil dieser Form
Man könnte diese Aussage etwa damit vergleichen, dass wir eine neue Sprache immer in Hinblick auf eine alte lernen, nie wie unsere erste.

Daraus ergibt sich eine weitere, wesentliche Folge: Wir können von anderen immer nur die Taten, nie das Denken verstehen. Das liegt einfach daran, dass Taten Teil der Welt sind, wir sie also als Anschauung denken können. Aber das ganze Denken umfasst eben auch die ganze Welt. Da aber die Welt für uns einzig ist, können wir niemals das ganze Denken verstehen. Das bedeutet also, dass wir immer nur den Inhalt und nie die Form der Gedanken verstehen können. In diesem prinzipiellen Unterschied zwischen Form und Inhalt liegt der Quell aller Missverständnisse. Ihnen liegt die falsche Annahme zu Grunde, dass andere so denken wie wir. Das stimmt aber nicht. Sie handeln nur so, dass wir so denken. Sie handeln so, wie wir handelten, wären wir an ihrem Platz der Welt. Aber das bedeutet nicht, dass sie es aus denselben Gründen tun oder auch nur gleich bezeichnen würden.

Wir haben nur eine Form. Wir haben keinen Vergleich, denn wir sind die einzigen, die wir je verstehen könnten (wenn überhaupt). Auch alle Fragen, die wir an andere stellen, und alle Äußerungen, die wir erhalten, sind in ihrer jeweiligen Sprache gebunden. Wir können also keinen verstehen, weil wir die Sprache von niemand anderem wirklich verstehen können. Deswegen ist Einsamkeit der natürliche Zustand des Denkens. Sie ist nicht schlimm, sie ist erfüllend. Denn nur in ihr können wir die Sprachgebundenheit wirklich erfahren.

Das ist die Befangenheit in der Sprache, über der der Postrukturalismus verzweifelte und von aller Wahrheit abriet. Aber diese Befangenheit bezieht sich immer nur auf die Form. Der Inhalt der Welt ist weiterhin objektiv. Denn wir können das, was wir meinen, wenn wir etwas sagen, in Bezug auf die Welt formulieren. Wenn wir das tun, wenn wir uns auf Taten und Tatsachen beziehen, dann bleiben wir objektiv. Denn auch wenn die Form einer Gedankenäußerung immer unverständlich bleiben muss, so ist das beim Inhalt nicht so. Nur wenn man sich auf die Klarheit der Worte allein verlässt, ist man geblendet von der Befangenheit der Sprache. Wir können nie verstehen, wie andere denken, aber immer, was andere denken. Dieses Wissen ist die Objektivität im Inhalt. Sie steht der Befangenheit der Sprache gegenüber, beide zusammen bilden die Wissenschaft.

Die Wissenschaft konzentriert sich auf den Inhalt, weil sie weiß, dass sie über bloßes definieren nichts erreichen wird. Sie versucht auch erst gar nicht, die Unklarheit zu verkleinern. Natürlich treten Missverständnisse auf, dagegen ist nichts zu tun. Wichtig ist aber, sich das bewusst zu machen. Damit nimmt man nämlich auch Abstand vom ungeheuren Plan, absolute Wahrheit in der Welt zu finden. Und die Missverständnisse können geklärt werden. Nicht allgemein, sondern aus den Folgen des Denkens. Wenn man nämlich zu den Gedanken sagt, was aus ihnen für ihn folgt, so kann man das mit seinen eigenen Folgerungen vergleichen. So bleibt ein gewisses Missverständnis zwar da, aber es wird umso kleiner, mit je mehr Folgen man das eigene Verständnis vergleicht. Damit ist Verstehen auch ein Prozess, der nur durch Hypothesen gestützt ist, ebenso wie die Untersuchung der Welt. Wie in der Naturwissenschaft bleibt ein Bewusstsein für die eigenen Grenzen: die der Wahrnehmung wie die der Sprache.

Aber das gilt eben nur für den Inhalt. Was die Form oder die eigene Bewertung angeht, ist das nicht möglich. Deshalb ist gezeigtes Mitleid die größte Anmaßung, denn sie setzt voraus, das der andere genauso leidet wie man selbst. (Das gleiche gilt dann auch für Neid oder Gleichgültigkeit). Ethik ist gebunden, so wie auch Sprache. Man kann daher nicht darüber streiten, was gut oder schlecht ist, nur darüber, warum. Denn ebenso wie man über die eigene Sprache hinaus nicht denken kann, da alles andere Denken in dieser Sprache ist, so kann man über die eigene Ethik heraus nicht bewerten, da man andere ethische Systeme immer mit der eigenen Ethik bewertet. Damit ist es so, wie es Wittgenstein sagte: Sätze der Ethik lassen sich nicht aussprechen. Sie sind Teil unseres Denkens, unser Denken ist in ihr gebunden.

Man könnte nun einwenden, man solle einfach die Form zum Inhalt seiner Betrachtungen machen und das Problem der Sprachgebundenheit sei gelöst. So einfach ist das aber nicht. Denn abgesehen davon, dass zur Beschreibung der Form als Inhalt eine weitere Form (nämlich die Form der Beschreibung) notwendig ist, ist die Form als Inhalt auch nicht dasselbe wie die Form als Form. Denn man kann so zwar die Auswirkungen der Form auf sich selbst sehen, aber nicht auf den Inhalt, es löst also nicht die Sprachgebundenheit. Grammatik macht keine Literatur, Sprache keine Welt. Das ist der Punkt, an dem die Scholastiker falsch lagen, als sie die Grammatik als grundlegende Wissenschaft sahen. Sie sahen zwar richtig die Bedeutung der Grammatik, verlagerten sie aber auf eine völlig falsche Ebene.

Reine Form - Nichtssagende Wahrheit

Wir haben jetzt die Form von Erkenntnis in der Welt angeschaut, und gesehen, dass sie immer nur hypothetisch und nie absolut ist und sich niemals auf die Form der Welt beziehen, sondern immer auf ihren Inhalt, der unabhängig ist von der Sprachgebundenheit. Aber es gibt noch eine weitere Möglichkeit zur Wahrheit. Sie liegt vollkommen in der Form und ist damit das Gegenteil der Erkenntnis in der Welt. Zu ihnen gehören alle Tautologien. Das sind alle Aussagen, die nach Definition richtig sind. Die Axiome und Schlussregeln, die Annahmen der Logik, gehören nicht hierzu. Sie sind ein Teil unserer Sprache, deshalb kann man auch nicht über sie streiten, denn aller logische Streit basiert bereits auf ihnen. Aber alle mathematischen Sätze, die sich aus den Axiomen herleiten lassen gehören hierzu. Dabei aber immer nur in der Schlussform, also im Ausdruck: „Unter Annahme der Schlussregeln gilt: (Alle Axiome) => A" für eine beliebige mathematische Aussage A.

Die Besonderheit der mathematischen Sätze ist, dass sie nichtssagend sind.
Gerade deshalb sind sie absolut wahr. Denn was nichts sagt, kann auch nichts Falsches sagen.
Aber es gilt sogar umgekehrt: alle absolut wahren Aussagen sind tautologisch:

Prämisse: A sei absolut wahr

  1. das heißt, A ist unter allen Umständen wahr
  2. Wenn A schon nichtssagend ist, ist der Beweis beendet. Sei also A nicht nichtssagend.
  3. Sei dann B irgendein Gegenstand, über den A eine Aussage treffen sollte.
  4. Da A nach b) nicht nichtssagend ist, gibt es so ein B.
  5. Angenommen, die Existenz von B ist nicht notwendig.
  6. Dann ist die Existenz von B also ein Umstand
  7. Aber A ist nach a) unter allen Umständen wahr, also auch dann, wenn B nicht existiert
  8. Aber dann kann sich A gar nicht auf B beziehen, da die Existenz von B überhaupt nicht in A erfasst wird.
  9. Also kann es ein solches B nicht geben, damit ist A nichtssagend.

Der entscheidende Schritt ist e). Hier wird angenommen, dass B nicht notwendig existiert. Also müssen wir unsere Aussage einschränken: A ist nichtssagend über Dinge, die es nicht notwendig gibt. Die Frage ist also: Was gibt es notwendig? Damit sind wir wieder bei der alten Frage nach den Dingen a priori.

Ich, Neugier und Phantasie

Ich glaube nun, anders als Kant, dass Vorstellungen wie Raum und Zeit nicht notwendig sind. Denn sie sind nur dann notwendig, wenn die Welt notwendig ist. Wir haben aber oben schon gesagt, dass die Frage nach der wirklichen Existenz der Welt falsch ist. Wenn wir nicht einmal wissen können, dass die Welt ist, wie können wir denn dann sagen, dass solche Vorstellungen notwendig sind? Es könnten doch auch andere Vorstellungen an ihren Platz treten, gäbe es die Welt für uns nicht. Also sind solche Vorstellungen nicht notwendig. Alle Vorstellungen sind damit gleich möglich, aber natürlich nicht gleich vernünftig. Es ist sinnvoll, die Existenz der Welt anzunehmen, aber nicht notwendig. Unvernunft existiert.

Also sind das einzige notwendige Ding wir selbst. Denken ist die Erkenntnis von unserer Existenz a priori. Darüber hinaus müssen wir aber auch die Fähigkeit haben, andere Dinge zu denken. Ansonsten wären wir ja überhaupt nicht auf diesen Gedanken hier gekommen. Dieses grundsätzliche Vermögen ist Phantasie und den Willen es einzusetzen Neugier. Diese drei Dinge sind also die einzigen notwendigen Dinge a priori: Ich, Phantasie, Neugier. Alle anderen absoluten Wahrheiten sind nichtssagend. Sie müssen es sein, denn sonst würden sie behaupten, irgendetwas wäre notwendig, man könnte gar nicht anders. Das aber ist ein Vorurteil. Denn wir wissen nicht, welche anderen Vorstellungen es gibt. Aber genau deshalb sind nur die Vorstellungen nötig, die nötig sind, diese Frage zu stellen, und die haben wir bereits genannt.

Mengen und Beweis als Grundbegriffe der Mathematik

Wenn nun eine absolute Wahrheit nichtssagend ist, ist es wichtig zu überlegen, was das heißt. Ist eine Aussage nichtssagend, bezieht sie sich auf nichts. Das bedeutet, dass ihre Wahrheit allein in der Form liegt. Die Form einer nichtssagenden Aussage ist die Tautologie. Wenn man zunächst alle Begriffe durch ihre Definition ersetzt, dann kommt es nur auf die Wahrheit der Grundbegriffe an, die dann eine Wahrheitsfunktion bilden. Als Wahrheitsfunktionen nehme ich hier alle Ausdrücke der Prädikatenlogik an. Die Grundbegriffe, die bleiben, sind dann die Objekte und die Relationen. (Ich sehe hier einmal von Funktionen, Konstanten etc. ab und betrachte nur rein relationale Modelle, das vereinfacht die Argumentation). Was die Relationen sind, ist aber völlig egal. Gerade das sagt ja, dass sie tautologisch sind. Das gleiche gilt für die Objekte. Also ist Wahrheit hier eine Form der Sprache. Sie beruht darauf, dass die einzelnen Aussagen die Form der Tautologie haben. Eine solche Sprache ist die Mathematik, ihre Grammatik sind die Schlussregeln. Aber wie schon oben erwähnt, sind die Schlussregeln selbst nicht tautologisch. Sie tauchen als Annahmen immer in der Argumentation auf, ohne sie wäre sie gar nicht möglich.

Die Erkenntnis der eigenen Kleinheit in der Logik lautet also, dass wir irgendwo nicht mehr weiterkommen. Wir kommen über die Schlussregeln nie hinaus, wir können sie nicht beweisen. Darin ist die Logik sprachgebunden. Das heißt aber nicht, dass sie völlig leer wäre. Sie ist als absolute Wahrheit zwar inhaltlich nichtssagend, aber trotzdem die Basis unseres Denkens. Genauso wie die Annahme einer Welt ist die Annahme der logischen Schlussregeln vernünftig. Denn nur durch sie können wir die Welt ordnen. Während uns die Annahme der Welt in uns eine Trennung von Sein und Denken erlaubt, zwischen Tatsachen und Entscheidungen, so erlaubt uns die Annahme der Logik die klare Ordnung unserer Gedanken.

Allerdings hat auch diese Ordnung ihre Grenzen. Sie liegen in der Unvollständigkeit unseres Denkens. So wie Gödel es zeigte, können wir uns nicht überblicken. In unseren Annahmen können immer noch Widersprüche liegen, die wir nicht entdeckt haben. Aber wir können andersherum mit der reinen Form der Sprache alle Wahrheiten entdecken, die wir jemals finden werden. Das ist die Aussage vom Vollständigkeitssatz. Damit aber ist unser Denken innerhalb unserer Grenzen vollständig, und die unabhängigen Aussagen sind diese Grenzen, mit der Widerspruchsfreiheit als dem größten Grenzstein. Also ist das Formale bereits beendet. Wir werden zwar immer weitere formale Definitionen finden und sie immer weiter zergliedern, was heute die Mathematik zu wahrer Größe bringt. Aber all diese Erkenntnisse stecken im Prinzip schon im Schlusskalkül. Zumindest so lange, wie sich die Mathematik innerhalb der Grenzen von Prädikatenlogik und Mengenlehre bewegt.

Es stellt sich nun die Frage, ob das reicht. Sind Mengenlehre und Prädikatenlogik notwendige Grundlagen von absoluter, nichtssagender Wahrheit? Sind sie gar die einzigen? Da nun die Mengenlehre sich als Axiome der Prädikatenlogik formulieren lassen, kann man denken, dass sie nicht notwendig ist. Denn ihre Widerspruchsfreiheit ist unabhängig. Aber die Prädikatenlogik selbst baut auch auf der Mengenlehre auf, wenn sie von Objektmengen und Relationen spricht. Damit ist aber auch die Prädikatenlogik nicht notwendig, da sie die Mengenlehre voraussetzt, die nicht notwendig ist. Aber dass die Mengenlehre nicht notwendig ist, wurde mit einem Satz der Prädikatenlogik (dem 2. Unvollständigkeitssatz) bewiesen. Die Prädikatenlogik aber ist auch nicht notwendig, ebenso also die Argumentation. Damit sind wir in einem Zirkelschluss. Es ist klar, dass wir diesen Zirkelschluss auflösen müssen, wollen wir wirklich die Grundlagen der absoluten Wahrheit finden. Es ist aber noch völlig unklar, wo er aufgelöst werden soll.

Doch hierbei stoßen wir auf eine Grenze. Egal wo wir es auflösen, es verbleibt ein Problem: Wo sollen wir denn die Prädikatenlogik anders begründen als in der Mengenlehre? Die Prädikatenlogik enthält ja Aussagen über die Objektmenge, eine Menge ganz im Sinne der Mengenlehre Und wo anders soll man die Mengenlehre denn fundieren als in der Prädikatenlogik? Ohne Beweise kommt auch die Mengenlehre nicht voran, und die Beweise kommen aus einem Beweiskalkül. Damit sehen wir wieder einmal eine Grenze der Sprache. Wir sind hier auf zwei ganz grundlegende Begriffe unserer Mathematik gekommen, die Menge und den Beweis. Keiner der beiden Begriffe ist grundlegender, und eben deshalb bilden diese beiden die mathematischen Grundbegriffe. Dadurch ist aber noch nicht klar, ob sie notwendig sind. Sie sind aber offenbar nicht nichtssagend, da die Menge ja gerade sagt, dass es eine Zusammenfassung von Begriffen zu einem in unserem Denken gibt. Und der Beweis behauptet ja die Ersichtlichkeit einer Aussage (evtl. auch nach Analyse). Wenn es sie notwendig geben sollte, dann war unser Beweis oben falsch. Ich, Neugier und Phantasie sind dann eben nicht die einzig notwendigen Dinge. Gehen wir also die beiden Begriffe im Einzelnen durch. Es ist nötig, dabei sehr sorgfältig vorzugehen, um nichts zu vergessen. Eine Aussage heißt hier weiterhin nichtssagend, wenn sie sich auf keine Sache bezieht.

Mengen

Mengen sind Zusammensetzungen aus Gedanken. Sie ermöglichen es somit, Gedanken überhaupt erst zu formen. Aber Mengen enthalten mindestens zwei Dinge: den Akt der Zusammensetzung und die vorherigen Teile. Wie man nun zeigen kann, lassen sich alle Mengen aus der leeren Menge zusammensetzen (von-Neumann-Hierarchie). Die Beweise stammen nun sämtlich aus der Prädikatenlogik, so dass sie nicht wesentlich zur Mengenlehre zählen. Also sind das die Grundbegriffe der Mengenlehre: Zusammensetzung und Leere Menge.

Prädikatenlogik

Die Prädikatenlogik nimmt ihre Objektmengen aus der Mengenlehre (das ist bei ZFC gerade die Neumann-Hierarchie). Auch ihre Relationen (bei ZFC nur das Element- und Gleichheitszeichen) nimmt sie aus der Mengenlehre. Was sie aber im speziellen betrachtet, sind Aussagen. Sie werden aus Relationen gebildet, in die Variablen eingesetzt werden, also sind die Grundaussagen: a = b, a e b. Diese können dann mit Verneinung und Verknüpfung (und) zu komplexeren Aussagen geformt werden Zudem gehören allgemeine Aussagen noch dazu. Sie sagen aus, dass die Aussage für alle möglichen Objekte richtig bleibt. Wirkliche Sätze, die sich dann auch beweisen lassen, enthalten nur Variablen, die verallgemeinert auftauchen (man sagt auch gebunden). Das wesentliche an Beweisen ist aber der Schluss von einer Aussage auf eine Andere. Hier werden allgemeine Schemata verwendet, das Schlusskalkül. Das Schlusskalkül kann auf wenige Aussagen verkürzt werden.

Dabei gibt es Aussagen, die von ganz allein richtig sind, ohne sie umzuformen. Sie haben die Form x = x oder (A(x) => A(y) für x = y) Diese Aussagen heißten natürliche Tautologien. Daneben gibt es komplexere Aussagen, wie A => A Solche Aussagen heißen komplexe Tautologien. Es gibt folgende, die nur die aussagenlogischen Zeichen benutzen:

  1. A => (B => A)
  2. A => A (Voraussetzungsschluss)
  3. A => (A oder B)
  4. A => (B oder A)
  5. (A => B) und (A => nicht B) => nicht A (Widerspruchsbeweis)
  6. (A => B) und (nicht A => B) => B (Fallunterscheidung)
Schließlich gibt es noch Tautologien, die auf Verallgemeinerungen basieren. Das sind:
  1. Wenn A(x) für ein bestimmtes x gilt, ist A nicht für alle x falsch
  2. Wenn A(x) => B für ein bestimmtes x gilt, ist A(x) => B nicht für alle x falsch
Welche anderen logischen Tautologien man nun annimmt (sei es nur anders umgeformt, wie beim System des natürlichen Schließens, oder weitaus umfangreicher wie bei Hilbertkalkülen), wesentlich ist der Schluss: Aus A => B und A folgt B. Das ist der Modus ponens, den Hilbert zurecht als zentralen Satz der Logik ansah.

Wir haben also hier zwei Grundelemente: das Axiomsystem und der Modus ponens. Diese beiden bilden die ganze Prädikatenlogik (Zusammen mit den Regeln über das Bilden von Aussagen, die aber letztlich auch wieder aus der Mengenlehre kommen).

Es gibt also vier Grundelemente: Zusammensetzung, Leere, Axiomsystem und Modus ponens. Wenn diese vier Begriffe grundlegend sind, dann haben wir neue, nicht komplett nichtssagende absolute Wahrheiten. Doch eine Sache sticht hier schon hervor: das Axiomsystem besteht nur aus Tautologien, aus komplett nichtssagenden Aussagen. Damit fällt es als nichtssagender Teil weg.

Übrig bleiben nur Leere, Zusammensetzung und Modus ponens. Und ich werde nun folgenden, recht gewagten Schluss vornehmen: Wir haben oben gesehen, dass es nur die drei grundlegenden notwendigen Dinge Ich, Phantasie und Neugier gibt. Diese drei entsprechen genau den drei mathematischen Grundbegriffen. Dabei nehme ich folgende Verbindung vor:

  1. Ich – Leere
  2. Phantasie – Zusammensetzung
  3. Neugier – Modus ponens

Dabei sind die Aussagen 2 und 3 nicht als Gleichheit zu sehen. Dass der Akt der Zusammensetzung einer Art der Phantasie bedarf, wird dadurch klar, dass man ja das Zusammengesetzte erst denken muss. Es ist eine neue Sache und dadurch brauchen wir Phantasie, um es uns vorzustellen. Aber natürlich ist nicht jeder Akt der Phantasie eine reine Zusammensetzung aus der bloßen Leere, die Mengenlehre zeigt uns aber, wieviel allein daraus entstehen kann. Ähnlich steht es mit der Neugier. Das Schließen von der Prämisse auf die Folge erfordert den Willen, gedanklich weiter zu kommen. den Weg zu gehen, sobald wir an seinem Anfang sind. Darin erschöpft sich die Neugier natürlich nicht, aber schon in der formalen Logik ist sie zu erkennen.

Die erste Verbindung, von Ich und Leere, ist aber etwas schwieriger. Hierbei glaube ich nämlich tatsächlich, dass sich das Ich in der Leere erschöpft, dass wir von uns nichts wissen können, als dass wir sind und denken. Das ist dann die schon vorher angekündigte Erklärung davon, dass wir Niemande sind (verstanden auch in der Sprachgebundenheit). Das aber erkläre ich später, denn auch wenn es schon plausibel klingt, so ist doch nichts bewiesen über diese Aussage.

Zusammengefasst: Es gibt zwei Arten absoluter Wahrheit.
Die einen sind völlig nichtssagend. Das sind die Sätze der Mathematik.
Die anderen sind nicht nichtssagend. Das sind Ich, Phantasie und Neugier.
Alle anderen Aussagen sind immer nur hypothetisch.

Wahrheit als Form der Sprache

Wahrheit ist letztlich nichts als die Form der Sprache. Was der sprachlichen Form entspricht, ist wahr. Deshalb ist absolute Wahrheit auch nie objektiv, sondern immer subjektiv, sprachgebunden. Das einzige sprachübergreifende sind Ich, Phantasie und Neugier, weswegen es dafür in jeder Sprache ein Wort geben muss (selbst in der Mathematik, wie wir sahen). Alles andere an Sprachen hat sich an der Welt entwickelt, ist eigentlich zufällig.

Es gibt keine Universalgrammatik. Sprache ist nicht begrenzbar, bloß beschreibbar. Nur die Tatsache, dass wir selbst, unsere Vorstellungskraft und unser Wille sich in der Sprache niederschlagen, ist wirklich notwendig. Aber auch das ist nur notwendig, wenn wir zu einer reflexiven Frage kommen. Ohne Suche gibt es keine Neugier, ohne Gedanken keine Phantasie.

Aber ein phantasieloser könnte gar keine Sprache erfinden, ihm würden die Worte fehlen. Auch ohne Neugier geht das nicht: Wozu es dann vollenden? Also ist die Notwendigkeit von Phantasie und Neugier (wenn auch in sehr abstrakter Form) auch in der Welt vorhanden, nicht nur im reinen Denken neben der Welt. Sie erzeugen unsere Weltwahrnehmung. Sie bringen uns die Welt erst dar.

Damit sind wir also wieder beim Verhältnis von Denken und Welt. Ich will hier zunächst, um weitere Unklarheiten zu vermeiden, meine Auffassung der Welt im Ganzen darlegen. Damit meine ich also meine Einteilung der Phänomene und Strukturen, so wie sie mir begegnen. Diese Aufteilung ist im Gegensatz zu den bewiesenen Teilen von diesem Text rein begrifflich. Es geht hier also nur um Begriffe statt um die Dinge selber, da die Phänomene ja auch wissenschaftlich, nicht philosophisch beschrieben werden müssen. Aber auch das muss ich erst begründen. Hierbei übernehme ich aber im Wesentlichen die Begründung der Wissenschaft als Falsifizierung, wie sie seit Popper allgemein üblich ist. Doch ich muss zunächst die Welt einordnen, bevor ich sie beschreiben kann. Das versuche ich jetzt.

Wettergott, Schicksal, Moral

Ich teile die Welt grundsätzlich in drei verschiedene Ebenen. Diese müssen klar voneinander getrennt werden. Die erste Ebene ist die Ebene der Einzelphänomene. Ein Phänomen ist, was einem erkennbar ist, ohne ein Muster auf die Welt projizieren zu müssen.

Dagegen bildet die zweite Ebene die der Prinzipien, der Naturgesetze. Diese Gesetze sind erst dann sichtbar, wenn ich ein Muster, ein gedankliches Schema auf die Welt projiziere. Deshalb sind Phänomene sinnlich und Naturgesetze mathematisch.

Das heißt natürlich nicht, dass Phänomene nie Muster enthalten. Aber diese Muster sind dann der Inhalt der Wahrnehmung. Bei den Naturgesetzen sind die Muster bloß die Form, wie wir die Welt sehen, um sie uns zu erklären. Nicht das mathematische Muster macht das Naturgesetz wahr, sondern sein Inhalt, der nicht aus der Form folgen kann. Deswegen können wir etwa die Naturkonstanten nie aus den Gesetzen bestimmen, sie liegen jenseits der logischen Form in den sinnlichen Phänomenen.

Es gibt aber auch eine dritte Ebene. Diese ist völlig anderer Art. Sie lässt sich wohl am besten als Ebene der Werte, des Gewissens beschreiben. Sie beinhaltet alle unsere Bewertungen der Welt. Während wir bei der zweiten Ebene die Muster auf die Welt projiziert haben, um die Welt zu verstehen, ist es hier andersherum: Wir projizieren die Welt auf uns, auf unsere Bewertung. Damit verstehen wir aber nicht die Welt besser, sondern nur uns selbst. Denn Ethik, die Sammlung unserer Werte, ist für uns nie sprachlich fassbar, da sie einzig ist, wie die Sprache. Aber wir können bei der Bewertung von Dingen doch allgemeine Prinzipien finden, die wir als richtig betrachten. Diese Prinzipien sind Elemente der dritten Stufe. Sie sind Prinzipien der Moral.

Es gibt aber nun ein gemeinsames Prinzip, unter das alle Prinzipien der Moral passen. Es sind bisher einige gefunden worden, darunter lassen sich die meisten auf den kategorischen Imperativ oder seine schwächere Variante, die goldene Regel zurückführen. Auch weitere Fortführungen sind möglich. So lässt sich etwa aus der goldenen Regel das Prinzip herleiten, jeden so zu behandeln, wie er behandelt werden will (und nicht wie ich es wollte).

Ein ganz wesentliches Muster in all diesen Prinzipien ist aber das der Übereinstimmung. So soll hier der eigene/fremde Wunsch mit dem Handeln übereinstimmen. Auch der kategorische Infinitiv sagt ja, dass wir so handeln sollen, wie wir denken, dass es im Allgemeinen richtig ist. So lassen sich alle moralischen Prinzipien auf folgenden Satz zurückführen: Bringe Denken und Handeln in Übereinstimmung! Stehe zu deinen Werten! Glaube an dein Handeln! Es sagt nichts weiter aus, als dass man sich an die Werte halten soll, die man angenommen hat und man auch nur die Werte annehmen soll, nach denen man überhaupt handeln will. Da uns die Ethik unerklärlich ist (weil wir, wie gesagt, keinen Vergleich haben), so können wir auch gar kein anderes moralisches Prinzip aufstellen. Damit bleibt die dritte Ebene nur ein einziges Prinzip, wenn auch ein sehr starkes.

Nun ist klar, dass diese Ebenen sehr unterschiedlich sind und nicht miteinander vertauscht werden sollten. Aber gerade diese Vertauschung ist sogar sehr häufig, am häufigsten bei der Frage nach den verehrenswerten Dingen, den Göttern. Ich bezeichne hier unter einem Gott schlichtweg etwas, was man verehrt. Es muss nicht übernatürlich sein, nicht einmal übermenschlich, nur einem wichtig und gut.

Nun können diese Dinge aus allen drei Ebenen kommen, aus denen die Welt sich zusammensetzt. So gibt es auf erster Ebene die Götter, die mit ganz konkreten Phänomenen verbunden sind, darunter fallen die allermeisten Götter der polytheistischen Naturreligionen. Auf zweiter Ebene gibt es Götter, die mit Weltprinzipien verbunden sind, vor allem Schicksal, Chaos und Weltvernunft. Und schließlich gibt es auf dritter Ebene noch die Verehrung der Moral, wie sie sich etwa im Kantschen Gottesbegriff zeigt.

Alle drei haben, so wie ich sie sehe, auch ihre Berechtigung, je nachdem was man verehrt. Doch man muss diese Bereiche nun einmal klar voneinander trennen. Denn wenn man nun etwa das Schicksal mit einem Wettergott verwechselt, ist das Wetter schicksalhaft und das Schicksal so stürmisch wie ein Gewitter. So eine Verwechslung ist natürlich fatal. Sie ist die Grundlage von theologischen Spitzfindigkeiten, wo eben nicht erkannt wird, dass der Wettergott nicht das Schicksal ist. Ich würde sogar behaupten, dass letztlich aller Aberglaube in der Verwechslung dieser Ebenen liegt, dass man ein Phänomen mit einem Prinzip oder sogar dem Moralprinzip verwechselt. (Das entspricht etwa dem Fehlschluss, wo aus einem Sonderfall auf eine gesamte Regel geschlossen wird)

Wenn wir aber diese Ebenen trennen, so sind auch die Eigenschaften der Gottesverehrung klarer: Ein Phänomen zu verehren bedeutet, von ihm beeindruckt zu sein. Das ist nichts übernatürliche, ganz im Gegenteil, es ist unsere Reaktion auf die Natur selbst. Entsprechendes gilt auch für die Naturprinzipien, auch wenn da die Beobachtung deutlich abstrakter ist. Aber trotzdem ist die Verehrung hier nichts als das Zeichen der eigenen Phantasie und der eigenen Beeindruckung. Für die dritte Ebene gilt das sogar noch fundamentaler. Denn dort sind wir selbst der Gegenstand der Vorstellung. Es geht ja schließlich darum, wie wir handeln sollen. Wenn wir nun dort ein allgemeines Prinzip finden - so wie es etwa die goldene Regel oder das verallgemeinerte Moralprinzip ist - ist das natürlich sehr erstaunlich.

All diese Arten von Verehrung sind also prinzipiell richtig. Es ist aber falsch, sie zu verwechseln. Außerdem darf die Verehrung keine Einschränkung sein. Eine Verehrung ist falsch, wenn man den Gegenstand damit verfälscht. Man muss eine Sache schon so verehren, wie sie ist. Nur allzu häufig sorgt aber Verehrung dafür, die Erkenntnis einzufrieren und neue Erkenntnis zu verhindern. Aber dieses Problem kommt. so vermute ich, ebenfalls aus der Vertauschung. Denn während man über so etwas wie das Moralprinzip tatsächlich behaupten könnte, es wäre überzeitlich, so gilt das für die wissenschaftlichen Erkenntnisse der ersten und zweiten Ebene natürlich nicht.

Ich möchte das dargestellte Modell aber noch etwas erweitern, nämlich um Repräsentanten der Neugier. Wir haben schon gesagt, dass Ich, Neugier und Phantasie immer existieren müssen. Die bisher definierten Götter sind alle das Ergebnis der Phantasie, der Vorstellungskraft, angewandt auf die drei Ebenen. Denn wenn man eine Sache als verehrenswert betrachtet, muss man sie sich ja erst einmal vorstellen. Nun kann man aber auch die Neugier auf alle drei Ebenen anwenden.

Wenn man nun die Neugier auf die erste Stufe anwendet, so erlangt man Lust. Denn Lust ist nichts anderes, als ein bestimmtes Phänomen erleben zu wollen. Auf die zweite Ebene angewandt erhält man das rationale Denken, den Plan, der überall ein Prinzip sehen will. Und auf dritter Ebene erhält man Gewissen, also das Bewusstsein von moralischen Prinzipien. Diese drei Prinzipien stehen den Ebenen gegenüber, als Repräsentanten der ganzen Ebenen. Sie bilden ein Göttertrio, was neben den anderen Göttern steht, nicht nur als Teil der eigenen Gedanken, sondern auch als treibende Kraft in ihnen.

Ich möchte nun noch das Ich in diese Untersuchung miteinbeziehen, damit sie zum Abschluss kommt. Wenn wir uns selbst als Phänomen betrachten, sehen wir Nichts. Denn wir können uns nicht erkennen. Also ist das Ich auf der ersten Ebene das Nichts. Stellen wir uns uns selbst aber als Prinzip vor, so ist da mehr als das. Denn wir können zwar immer noch nichts erkennen, aber wir können erkennen, dass wir nichts erkennen können. Diese Unfähigkeit, etwas zu sehen, die reine Leere, ist also das Ich in zweiter Ebene. Wenn wir uns schließlich auf dritter Ebene betrachten, so gehen wir in völliger Gleichgültigkeit auf. Denn wir tragen alle Welt in uns. Wir sind uns gleichgültig, da das Moralprinzip auf sowas keine Antwort gibt. Denn wir können Denken und Handeln ja nur dann in Übereinstimmung bringen, wenn wir es trennen. Das geht aber nicht. Denn in uns ist die ganze Welt und unsere Fähigkeit zu entscheiden.

Unsere Göttertafel sieht somit folgendermaßen aus:

Ich Phantasie Neugier
1. Ebene Nichts Phänomene Lust
2 Ebene Leere Naturgesetze Plan
3. Ebene Gleichgültigkeit Moral Gewissen

Da das Ich das Nichts ist, lässt es sich auch dadurch ersetzen. Wenn wir etwa sagen, Ich denke etwas, so meinen wir ja, etwas ist um die Welt herum gedacht, so wie wir die Welt sehen. Während nämlich in den anderen Personenformen noch eine Erkenntnis steckt, nämlich die von anderen, ist das Ich völlig leer. Aber diese Erfahrung der Leere ist grundlegend. Nur dann können wir nämlich die Gedankenwelt als umfassend betrachten.

Denn die Gedankenwelt ist alles, was nicht ich ist. Ich bin mir kein Gedanke, ich kann mich nicht denken. Im Ich verschwimmen die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt. Es ist nichtig, deshalb ist es keins von beiden. Es ist deshalb auch falsch, das Ich als Subjekt zu sehen. Nicht das Ich ist das Subjekt, das Ich ist die Grundlage davon, dass es ein Subjekt überhaupt geben kann. Das Subjekt besteht dann aber nicht aus dem Ich, sondern aus der Zusammensetzung aus Neugier und Phantasie, aus der Kindlichkeit. Diese Kindlichkeit ist damit zentral. Sie ist der Hauptpunkt der Untersuchung.

Kindlichkeit als Identität

Es geht hier um einen uralten Streit, den Kampf zwischen Jugend und Erwachsenen, ihr Ergebnis heißt Identität, der Streit Sozialisierung. Ich will diesen Streit hier nicht empirisch beschreiben, sondern vielmehr seine Grundlage in uns ergründen. Letztlich geht es aber auch darum, diesen Streit aufzulösen, um zu unserer Identität, der Kindlichkeit, zurückzukehren. Der Streit beruht auf einem Missverständnis, einem Unterschied der Sprachen, das nicht auflösbar ist, solange man es von außen betrachtet. Deswegen sind die Sozialisierung und die damit verbundene Identitätsbildung in der Soziologie auch nicht umstritten.

Ich aber glaube, Identität ist ein Irrweg. Die Jugend verfällt ihr, und die Erwachsenen sind unfähig, ihr zu entkommen. Das klingt zunächst sehr seltsam, denn nichts ist in unserer Welt so hochgepriesen wie das Entfalten der eigenen Identität oder Persönlichkeit. Aber gerade im Begriff der Persönlichkeit ist schon erkennbar, warum sie eben nicht so groß ist, wie wir tun: Wir sind keine Masken.

Denn wir sind nicht eine Persönlichkeit in der Welt. Wenn man so redet, überträgt man den Unterschied zwischen Subjekt und Wirklichkeit auf den zwischen Ich und Welt. Das Ich gehört nicht zur Welt, es macht die Welt überhaupt erst möglich. Das Subjekt aber ist Teil der Welt. Es ist jener Teil unserer Welt, der nicht aus Tatsachen, nicht aus Wirklichkeit besteht. Dem Subjekt kann man wohl eine gewisse Art der Identität in der Welt zuordnen (und das ist es auch, was ich mit der Kindlichkeit versuche). Aber das Ich hat keine Identität, es ist schlichtweg leer.

Der Trennung zwischen Ich und Subjekt entspricht der zwischen Erkenntnistheorie und Ethik. Während das Ich die Erkenntnistheorie beinhaltet, weil es Voraussetzung für die Existenz der Welt ist, ist das beim Subjekt nicht so. Das Subjekt ist der Teil der Welt, der nicht aus Tatsachen besteht. Er ist aber nur im Inhalt erkennbar, nicht in der Form, da die Form, die Sprache einzig ist. Objektive und subjektive Sprache sind eins, zusammen bilden sie eine Tatsache. Aber der Gedanke hinter dieser Tatsache ist grundsätzlich verschieden, verschieden im Inhalt. Dieser Inhalt bildet die Ethik.

Der Unterschied zwischen Ich und Subjekt, so wie ich ihn hier zeige, ist wichtig, aber man sollte ihn nicht überschätzen. Man kann nämlich sehr wohl sagen, dass auch das Ich das Subjekt ist. Denn die Welt ist ja in mir, damit auch das Subjekt. Es ist wohl richtiger zu sagen: die Erkenntnis vom Ich und vom Subjekt sind höchst verschieden. Ich kann mich nämlich selbst nie begreifen. Das Subjekt aber, also etwa die Idee von Kindlichkeit und von meiner Ethik, die kann ich sehr wohl begreifen. Trotzdem bildet auch das Subjekt einen Teil von mir.

Das ist wichtig, um sich hier nicht in Widersprüche zu verstricken. Denn man könnte hierauf ja erwidern, dass, wenn wir nicht das Subjekt sind, wir auch nichts entscheiden. Im Subjekt sei schließlich die Entscheidung, und nicht in uns. Das aber ist falsch. Denn wir sind es, die entscheiden. Wir können uns dann als Subjekt begreifen, verstehen aber damit nicht uns selbst, sondern nur den Inhalt unserer Entscheidung.

Die Entscheidung kommt von uns. Die Entscheidung kommt aus dem Nichts. Sie ist unbegründbar. Eben das bedeutet es, dass das Ich nicht verständlich ist. Wir verstehen zwar die Entscheidung als Teil unserer Welt, als Teil vom Subjekt. Aber wir verstehen nicht, warum es genau diese Entscheidung ist. Das ist eben der Unterschied zwischen Tatsachen und Entscheidungen. Deshalb wird in unserem Verständnis nur von Tatsachen das Ich zum Nichts. Mehr als Tatsachen können wir ja auch gar nicht verstehen. Denn wenn wir etwas verstehen, dann machen wir es ja gerade zur Tatsache. Das ist die letztliche Konsequenz daraus, dass wir das Denken nicht verstehen können, nur die Handlungen.

Bei uns selbst können wir zwar nachher konstruieren, warum wir uns so oder so entschieden haben. Aber das ist eigentlich kein wirkliches Verstehen. Denn die Entscheidung, der Moment vom Zweifel, den können wir gar nicht verstehen. Denn er ist ja schon vorüber. Wir sind nicht mehr der, der da denkt; uns ist unsere eigene Vergangenheit fremd. Deswegen können wir heute nur verstehen, wie wir früher gehandelt haben, nicht aber, wie wir gedacht haben. Wir können zwar über die Inhalte der Gedanken versuchen das zu verstehen, doch das muss scheitern. (Dieser Versuch kann überhaupt nur unternommen werden, weil man Inhalt mit Form vertauscht. Natürlich können wir uns noch an die Gedanken erinnern, aber eben nur so, wie wir uns jetzt an sie erinnern. Damit versteht man nicht, wie man gedacht hat, nur was man gedacht hat). Denn wir verstehen uns ja nicht mal im Moment. Wir sind uns selbst gegenüber blind. Trotzdem entscheiden wir. Gerade deswegen können wir das nicht verstehen.

Ich will nun noch eine Sache anmerken, die darauf folgt. Sie ist zwar sehr einfach, wird ab häufig abgetan. Es gibt keine höheren Ziele. Die wichtigste Entscheidung ist stets die, die direkt vor uns liegt. Denn wenn wir irgendein anderes Ziel vor unseren Willen stellen, verneinen wir unser Denken. Wir versuchen, unsere Entscheidung zu begründen, obwohl das gar nicht geht. Deshalb verstricken wir uns in Widersprüche, da wir aus abstrakten Idealen eben keine konkreten Entscheidungen herleiten können, nur sie beurteilen.

Wenn so ein höheres Ziel nun auch zum Ziel einer ganzen Gesellschaft wird, wird es noch viel schlimmer: es kommt zum Staatsterrorismus. Denn der Staat muss dann seine Bürger zu den Idealen bringen, die er von ihnen verlangt. Das hat man im Sozialismus am besten gesehen. Ebenso wenig kann man den Staat aber auf Notwendigkeit aufbauen (so wie es heute in der Politik vielfach getan wird). Denn die Notwendigkeit passiert auch ohne Politik, das ist also offenbar Unsinn. Eine wahre Politik muss auf Entscheidungen aufbauen, die nicht aus einem System heraus getroffen, sondern durch eine Ethik bewertet werden. Schafft sie es dann noch, bei dieser Bewertung das Moralprinzip zu erfüllen, so will ich sie gut oder moralisch nennen, so ich der Ethik zustimmen kann. Da das aber häufig sehr schwierig ist, sollte die Ethik, nach der bewertet wird, auch veränderbar sein. Auch im Sinne der Neugier. Da aber die Ethik eines einzelnen nicht dazu fähig ist, müssen auch die Personen wechseln. Das ist die Legitimation von einer Demokratie gegenüber einer Tyrannei. Ich stimme hier auch Popper zu, dass es neben der Demokratie nur die Tyrannei geben kann. Denn alle Herrscher, die sich nicht der Welt rechtfertigen müssen, verlieren letztlich ihre Legitimation. Denn ihre Ethik kann sich nicht ändern. So werden die Werte festgefahren und Neugier schwindet. Das ist das Wesen aller tyrannischen Staatsformen: ethisches Dogma.

Es geht nun darum, die Kindlichkeit zu beschreiben, die ich schon als Identität des Subjekts bezeichnet habe. Das folgt allein daraus, dass Neugier und Phantasie die einzigen notwendigen Begriffe neben dem Ich sind. Damit ist ihre Zusammensetzung, die Kindlichkeit, die einzige notwendige Identität. Diese Identität, die über innerweltliche Zusammenhänge hinausgeht, will ich deshalb transzendentale Identität nennen.

Der Sinn des Lebens

Ich will hier zunächst noch eine Folgerung nennen, die aus der transzendentalen Identität gezogen werden kann: Der Sinn des Lebens ist, die Welt zu entdecken. Natürlich kann Welt hier vieles heißen, die sinnliche genau wie die gedankliche oder ästhetische. Aber auf eine unklare Frage kann man wohl nur eine schwammige Antwort erwarten. Sie ist zudem gar nicht so schwammig. Sie sagt nämlich, dass wir entdecken sollen. Der Zustand der völligen Verharrung oder, wie es früher hieß, die Seelenruhe, ist nicht erstrebenswert. Denn er ist völlig langweilig, er enthält nichts von unserem Sinn. Eben deswegen ist das Entdecken, das Spielen und Begreifen unser eigentlicher Sinn. Der Sinn des Lebens kann nicht sein, sich zu langweilen. Es ist deshalb auch widersinnig, Spiel als Sache nur für das junge Alter zu definieren oder es später zu formalisieren, um nur noch in den Regeln Sinn zu finden. Auch mit den Regeln selbst zu spielen ist Spiel, es ist das entdecken der zweiten Ebene. Spiel ist damit der Ausdruck unserer Identität. Eigentlich sogar der einzige, alle anderen sind nur Abwandlungen.

Es gibt aber noch etwas zweites, was ich gegen das Prinzip der Seelenruhe zu sagen habe. Wenn man versucht, die Seele in Ruhe zu bringen, so wehrt sich das Denken gegen das Handeln. Denn im Handeln steckt Lust, Phantasie. Wenn man sich gegen die Lust wehrt, wehrt man sich gegen das Handeln. Damit ist Seelenruhe nicht nur unerreichbar (denn wir können uns nicht gegen unsere Neugier wehren, früher oder später ergreift sie uns), sondern auch unmoralisch. Denn Moral ist die Übereinstimmung von Denken und Handeln, Seelenruhe hingegen ihre bewusste Abkopplung.

Ich bin sogar gewillt zu sagen: Seelenruhe ist Unlust. Sie ist die Manifestation der Langeweile. Denn nur wer die Welt selbst langweilig findet, kann in Gedankenlosigkeit sein Glück finden. Damit glaube ich, die alte Theorie Epikurs widerlegt zu haben, dass Seelenruhe nichts als Lust ist. Er hat zwar richtig gesehen, dass Seelenruhe etwas mit Lust zu tun hat, aber die völlig falschen Schlüsse daraus gezogen. So beschrieb er richtig die Ökonomie der Lüste. Er glaubte aber, sie würden zur Ruhe kommen. Aber das kann nicht passieren. Lust ist rastlos. Sie hält sich an keine Ruhe. Darin ist sie eine Form der Neugier. Und die Seelenruhe, die er in ihr zu finden glaubte, ist nichts als pure Langeweile. Ich hasse die Langeweile. Deswegen erstrebe ich Neugier, keine Seelenruhe.

Damit meine ich aber nicht, dass ich die Ruhe an sich verachte. Ganz im Gegenteil. Denn in der Muße, der denksamen Ruhe, steckt die allergrößte Neugier: die Neugier nach der Welt selbst. Nur wer Ruhe bewahrt, kann die Neugier überhaupt verarbeiten. Wer keine Pause hat, denkt nicht oder er wird wahnsinnig. Was nur falsch ist, ist wenn die Ruhe nicht mehr dafür da ist zu denken, sondern mit dem Denken aufzuhören. Diese Ruhe, die Seelenruhe, muss nicht mal wirklich ruhig sein. Auch in der Rastlosigkeit hat man Seelenruhe, man denkt ja nicht über das nach, was passiert. Das aber ist falsch, denn so kann man nichts verstehen.

Ich sehe deshalb die Ruhe nur dann als gut an, wenn man in ihr denken kann. Deshalb ist es auch falsch, in der Meditation die Reflektion zu suchen. Wer sich vom Denken selbst abschottet, kann nicht reflektieren. Denn die Reflektion ist ja unser Wiederhall in der Welt, unser Spiegelbild. Reflektion ist Welterkenntnis, da wir nur in der Welt etwas Wesentliches über unsere Weltauffassung herausfinden können. Dagegen ist Tautologie eigentlich Selbsterkenntnis, da wir uns dort in unserer Nichtigkeit uns wirklich erkennen. Deshalb ist die Ruhe, die das Ich von der Welt abschotten will, tautologisch. Aber in der Tautologie wird es den Sinn nicht finden. Und selbst in der Mathematik braucht man noch die Neugier, den Modus ponens, um aus dem Nichts und den Tautologien etwas zu machen.

Ernst und Albernkeit

Wir sehen hier also, dass sehr viele Probleme im falschen Verständnis von Ruhe und Neugier liegen. Ein solches Missverständnis liegt auch ganz allgemein zwischen Ernst und Albernkeit vor. Das zu ergründen wird unsere nächste Aufgabe sein.

Zunächst aber möchte ich noch eine Anmerkung zur Kindlichkeit an sich hinzufügen: Die kindliche Einstellung ist nicht so naiv, wie viele meinen. Sie ist sich ihrer Subjektivität sehr wohl bewusst. Wie sonst würde sie Wirklichkeit der Phantasie neben-, nicht überordnen? Und so die Welt in uns ist, ist sie Phantasie. Gedanken und Welt sind eins. Alle Welt ist Gedanke. So ist den Kindern sehr viel klarer, wie die Welt wirklich ist. Denn sie sehen die Welt mit ihren Augen, nicht mit der Erinnerung. Deshalb können sie in ihrer Welt nur die eine Welt sehen, die sich ihnen darbietet. Denn die Welt ist einzig. Mögen Teile auch erfunden, unerfahrbar sein, im Denken kommen sie zusammen.

Damit ist auch die Trennung zwischen Ernst und Albernkeit hinfällig. Es gibt da nichts zu trennen. Aber es ist mehr als das. Denn diese Begriffe sind in der Tat völlig leere Begriffe, zumindest als Gegensatz. Denn wer albern sein will muss auch ernst, und wer ernst sein will auch albern sein. Wer nämlich albern ist, aber nicht ernst, macht sich nur lächerlich. Wahre Albernkeit aber erkennt sich in ihrer Größe, dem epischen (davon wird noch später zu sprechen sein). Aber ohne Ernst kann man so etwas wie Epik gar nicht erkennen, denn episch ist eine Sache ja gerade dann, wenn sie ernsthaft einem Ziel nachstrebt. Ohne Ernst kann man also nicht wirklich albern sein. Man würde dauernd über seine eigenen Witze lachen, dann wären sie nicht mehr lustig. Wer also albern ist, muss auch ernst gewesen sein.

Aber auch anders herum gilt das. Wahrlich ernsthaft strebende haben immer etwas Albernkeit. Anders könnten sie gar nicht leben. Wie sonst kämen sie denn darauf, ernsthaft zu streben? Nur unter dem Aspekt der Ernsthaftigkeit betrachtet kann man eigentlich gar nichts tun, das Leben ist nun mal höchst lächerlich. Akzeptiert man das nicht, so entwickelt man einen Starrsinn, der überall in der Welt böse Mächte im Spiel sieht, die das Leben eben so lächerlich machen. Das ist Grund für die hohe Ernsthaftigkeit der Verschwörungstheoretiker, Ideologen und nur allzu vieler Philosophen. Aber auch ohne böse Mächte ist das Leben lächerlich. Warum sollte es auch nichts zu lachen geben? Gerade ohne Böses ist das doch eher unwahrscheinlich. Deswegen kommen Ernst und Albernkeit immer miteinander. Wer meint, nur einen Teil zu haben, verstrickt sich in Widersprüche.

Erwachsenwerden als Verfall der Kindlichkeit

Warum aber glaube dann so viele (wie ich es auch früher tat), dass Ernst und Albernkeit Gegensätze sind? Woher kommt das? Diese Frage, mit der meine Untersuchung auch gestartet ist, liefert den Hintergrund von einem der schwierigsten Kämpfe der Geschichte: der ewige Kampf der Jugend gegen die Erwachsenen (Pubertät). Der Grundfehler hängt mit einer anderen Frage zusammen, nämlich die nach der Identität. Diese Idee ist es, die den Kampf erzeugt; das Problem beginnt schon in der Kindheit. Da ich Spekulationen über die Weltgeschichte vermeiden will (die, wie Popper eindrücklich gezeigt hat, nur zu Unsinn führen können), beginne ich an irgendeinem Zeitpunkt mit folgenden Bedingungen:

Die Eltern eines Kindes haben die Idee von Identität und wollen sie dem Kind geben. Dabei ist diese Identität deutlich weniger bescheiden als unsere Identität der Kindlichkeit; sie spricht die Wahrheit der Realität offen aus und bezeugt einen Machtanspruch in der Welt. Diese Macht muss nicht mal groß sein, wichtig ist nur, dass die Eltern das Kind irgendwie formen wollen. (es wäre auch genauso, dass die Eltern das Kind dazu bringen wollen, sich selbst so eine Identität zu suchen, solange sie nur versuchten, das Kind zu einer vorläufigen Suchidentität zu bringen (z.B. Schüler))

Da diese Identität das ernsthafte Streben nach einer Sache betont, versuchen sie, alle Albernkeit aus dem Kind herauszubekommen. Mittel dazu sind etwa das Ablehnen von ernst gemeinten Fragen, die als Überneugier abgewiesen werden, oder auch die stundenlange Beschallung mit langweiligsten Schulstunden. Das ist nicht zielführend, zerstört die Neugier, damit aber auch das Denken selbst. Erziehung ist Verbrechen, Schule Tyrannei.

Natürlich finden die Kinder das nicht gut, aber sie schaffen es nicht, sich dagegen zu wehren, weswegen sie sich selbst als geringer als die Erwachsenen sehen (obwohl es eigentlich andersherum ist, die Kinder sind ja an der eigentlichen Identität). Sie wappnen sich also für einen einzigen, schlagenden Angriff. Dieser ist die Pubertät. Darin geben sie all ihren Hass von sich, indem sie den Ernst, den die Eltern in sie bringen wollen, komplett ablehnen, und damit die höchstmögliche Provokation hervorrufen. Dadurch werden sie natürlich völlig lächerlich, denn sie haben ja allen Ernst verloren. Sie bauen sich dann eine falsche Idee einer Gegenidentität auf, die zwar albern ist, aber auch genauso falsch wie die der Erwachsenen. Wenn sie das merken, denken sie, die Erwachsenen lagen doch richtig und nehmen das erwachsene Identitätskonzept an, häufig bleiben nur leere Hüllen der Gegenidentität übrig. So wird die nächste Generation vom Wahn der Identität angesteckt, und so fort.

Diese Darstellung von Pubertät und Erwachsenwerden ist eine Geschichte vom Niedergang. Aber man kann diesen Niedergang verhindern. Wenn man nämlich einsieht, dass es Identität in der üblichen Form gar nicht gibt, braucht man auch keine anzunehmen (und schon gar keine an Kinder weitergeben). Diese Einsicht versuche ich hier zu vermitteln, auch wenn ich glaube, dass das nicht viel helfen wird. Man hat sich also nur trotz der Erziehungs- und Bildungssysteme Neugier und Phantasie bewahrt und nicht wegen ihnen. Nur wirkliches Interesse, Neugier, kann Bildung schaffen. Man kann sich nur selbst bilden, niemand kann das übernehmen.

Neugier als Freiheit: Willensfreiheit als Urgrund der Welt - Urneugier

Die Freiheit, sich die Interessen zu suchen, ist die Voraussetzung von Bildung. Neugier ist Freiheit, nur bei freiem Denken bleibt man Kind. Das kann man auch daran erkennen, dass nicht neugierige Systeme höchst unfrei sind. Sie streben immer zur Dogmatik, zum Gegenteil von Freiheit. Aber worin besteht diese Freiheit? Wir haben ja schon gesehen, das alles Denken, was auch reflexiv ist, Neugier enthalten muss, bleibt es denn konsistent. Was aber bedeutet in diesem allgemeinen Fall die Freiheit? Freiheit hier vor allem auch in der Bedeutung der Willensfreiheit. Nur die Loslösung von Zwängen kann das nicht sein, es muss auch die Freiheit zu etwas bedeuten. Denn auch in dogmatischen Denksystemen, die völlig unfrei sind (und damit auch nicht reflexiv), kann es die Freiheit von Zwängen geben.

Was aber ist dann Freiheit? Freiheit hat ganz offensichtlich irgendwas mit dem Willen zu tun. Wenn wir uns aber an die Entscheidungen erinnern, so haben wir da ja festgestellt, dass wir sie gar nicht erfassen können. Unsere Entscheidungen liegen außerhalb unseres Denkens. Wir können sie zwar nachher beurteilen, treffen können wir sie aber nur einmal. Und eben darin liegt der Kern zur Frage der Willensfreiheit. Denn in der Entscheidung liegt die Freiheit, sich für etwas zu entscheiden. Diese Freiheit ist grundlegend, denn sie ermöglicht erst Entscheidungen.

Ich bin der Überzeugung, dass es letztlich immer diese Freiheit ist, die hinter der Welt steckt. Denn auch das Denken selbst ist Entscheidung. Wir sahen, dass zum Denken (neben dem komplett leeren Begriff vom Ich) die Phantasie, die Vorstellung einer Welt gehört und auch der Wille, in ihr voranzuschreiten, die Neugier. Beiden liegt eine Entscheidung zugrunde. Die Entscheidung zur Phantasie ist der Urgrund der Welt, die Entscheidung zur Neugier die Urneugier. Damit ist die Willensfreiheit kein Problem der Erkenntnistheorie, sondern ihre Lösung. Es ist die Welt und nicht vielmehr nichts, eben weil wir uns so entschieden haben. Es ist unsere Entscheidung, es ist unsere Verantwortung - die Verantwortung für die Welt.

Diese Verantwortung ist es, die uns antreibt, die Welt zu verändern. Sie ist der Motor der Revolutionen. Ich nenne das die epische Wende des kindlichen Denkens, da eben hier die Umwertung der Albernkeit vorgenommen wird: Während vorher die Albernkeit selbst albern dargestellt wird und sich letztlich komplett lächerlich macht, wird hier die Albernkeit, die Phantasie, zur Grundlage aller Weltveränderung. Unsere Neugier, vorher verlacht, ist der Grund, warum wir uns überhaupt um die Welt sorgen. Denn sie ist erst dadurch unsere Welt.

Epische Kindlichkeit - kindliche Epik

Ich will nun noch genauer auf die epische Wendung eingehen und mich daher mit dem Begriff vom Epischen überhaupt beschäftigen. Was meine ich, wenn ich sage, ein Lied oder eine Geschichte ist episch? Dass damit nicht die literaturwissenschaftliche Einordnung gemeint ist, ist klar, da ich sie nicht mal wirklich kenne und sie mir für diesen Begriff auch reichlich egal ist. Ich kenne zwar den Unterschied zwischen Epik und Lyrik, gebe aber nicht viel auf ihn - auch Lyrik kann schließlich episch sein, wie man an den Liedern erkennen kann. Es hat offenbar etwas mit der Sache selbst zu tun. Es liegt dabei kein Unterschied in der Form, wie etwas präsentiert wird, sondern wirklich im Inhalt. Das ist etwa daran erkennbar, dass ich dasselbe Lied in verschiedenen Klangstufen bzw. mit oder ohne Gesang gleich episch finde, ebenso etwa eine Geschichte mit oder ohne großartige darstellerische Effekte. Diese innere Größe ist aber offenbar wandelbar. Während früher langsames Orgelspiel oder gemächliche Orchestermusik als episch bezeichnet wurde, finde ich diese vollkommen langweilig. Dahingegen sehe ich die Epik gerade im Gegensatz zur Langeweile, so dass das keine Grundlage sein kann.

Die Epik liegt, so wie es mir erscheint, in einer Art inneren Größe. Genauer gesagt: in der Größe, weiter darüber nachdenken zu können. Natürlich kann man auch über nicht epische Dinge länger nachdenken, doch letztlich werden sie belanglos. Sie verlieren sich in der Langeweile. Doch die Dinge, die selbst im reinen, kindlichen Denken, das keine Langeweile duldet, noch hängenbleiben, sind wahrhafte Zeichen der inneren Größe. Deshalb sind es oft auch Kinderlieder und Kindergeschichten, die die allerepischsten werden. Sie müssen nicht unbedingt für Kinder geschrieben werden, aber doch von solchen, die im Denken Kinder geblieben sind. (So steht es etwa bei sehr viel klassischer Videospielmusik). Diese Art der Epik bezeichne ich als kindliche Epik. Sie ragt über alle anderen ästhetischen Formen durch die Klarheit ihres Kriteriums heraus. Damit sind etwa Ohrwürmer nichts als epische Lieder, wenn auch manchmal unangenehme.

Es gibt jedoch noch ein weiteres Kriterium für Epik. Und das liegt in der Kindlichkeit selbst. Wir haben schon gesehen, dass die Kindlichkeit in ihrer Neugier eine Verantwortung für die Welt sieht und auch im Allgemeinen einen deutlich klareren Blick hat. Der Ausdruck dieses klareren Blickes, oft als Naivität belächelt, ist die Grundlage der epischen Kindlichkeit. Sie ist der Ausdruck höchster Weisheit, denn sie weiß, wie gering sie ist und verneint doch nicht die Welt. Sie sieht die Dinge, wie sie sind. In ihr können alte, festgefahrene Vorstellungen übergangen werden, denn sie sieht sich nicht an die Welt gebunden. Sie handelt aus sich selbst heraus. Aus ihrer eigenen Verantwortung.

Ich denke hier vor allem an Figuren wie Asbel Lhant aus Tales of Graces f, der für seine Ideale (mögen sie auch meinen teilweise widerstreben) selbst das Ende der Welt überwand. Er nahm die Einsamkeit von Lambda in sich auf, von dem, der die Welt selbst zerstören wollte, und vertraute sich ihr am Ende sogar an. Solche Größe muss kindlich sein, anders ist sie nicht möglich. Oder man denke, um eher realeres zu nehmen, an den ethischen Rigorismus von Sokrates, Jesus oder Kant. Auch er ist kindlich oder, wie nur allzu viele auch sagen, naiv.

Diese epische Kindlichkeit ist der wahre Ausdruck der Neugier. In ihr sehen wir wirklich, wie groß das kindliche Denken sein kann.

Dieser Kindlichkeit wird nur allzu häufig vorgeworfen, naiv zu sein. Und in der Tat ist sie das, sie glaubt, die Welt ist das, was uns erscheint. Doch diese Naivität ist nicht unreflektiert. Durch die Sprachgebundenheit ist unser Denken sogar verdammt dazu, naiv zu sein, sonst müssten wir ja ein tieferes Wesen erkennen können, was einfach unmöglich ist. Deshalb halte ich Naivität nicht für schlecht, sondern im Gegenteil für ein Zeichen der wahrlichen Größe des kindlichen Denkens, da sie die eigene Bescheidenheit ausdrückt, eben nicht die Welt hinter der Welt zu erkennen

Objektiv – Subjektiv - Intuitiv

Eine Frage bleibt aber noch offen: Wie ordnen wir diese Epik ein? Gibt es in unserer Ordnung der Welt nach Stufen dafür einen Ort? Wir haben ja schon alle Felder ausgefüllt, und dennoch muss noch irgendwo Platz sein. Wir haben eine Dimension übersehen. Diese Aufteilung, die ich als methodische Aufteilung bezeichne, richtet sich nach der Art der Erkenntnis. Wir haben jetzt zumindest drei verschiedene gesehen: die Erkenntnis vom Inhalt, von der Form und von der inneren Größe, der Epik (oder auch Schönheit, wenn man will). Diesen drei Arten ordne ich die Begriffe objektiv, subjektiv und intuitiv zu. Nun kann man diese drei Begriffe auf die Göttertafel anwenden (hier noch um die mathematische Ebene vermehrt als 0. Ebene). Sie lauten also:

EbeneIchPhantasieNeugier
Götter
0Leere MengeZusammensetzungModus ponens
1NichtsPhänomeneLust
2Leere NaturgesetzePlan
3GleichgültigkeitMoralGewissen
Objektiv
0InhaltslosigkeitZusammenhangSchritt von A nach B
1keine WahrnehmungMöglichkeit der WahrnehmungAkt der Wahrnehmung
2SprachgebundenheitFalsifizierbarkeitWeltzusammenhang
3ethische GebundenheitMoralprinzipMoralische Urteile
Subjektiv
0erstes Prinzip, MonadeZusammensetzenWille zum Denken
1SelbstwahrnehmungExistenz der DingeWille zur Wahrnehmung
2TautologieHarmonieSuche nach Harmonie
3UnsicherheitWerte, Ethikgutes/schlechtes Gewissen
Intuitiv
0PunktStrukturWeg
1DunkelheitErhabenheit der NaturLust, Hunger
2VanitasSchönheit des DenkensSuche nach dem Weltprinzip
3Seelenruhemoralische Überzeitlichkeitepische Kindlichkeit

Zu dieser Aufteilung werde ich nichts weiter sagen, da sie sich aus den dargestellten Prinzipien ergibt. Falls sie unklar sein sollte, so eher durch die Begriffe im Schema als durch ihre Aufteilung.

Es kommt nun zu großen Problemen, wenn man diese Unterteilungen ignoriert, wie schon bei der Göttertafel. Das offensichtlichste und bedeutendste Beispiel ist der unsinnige Begriff vom Gefühl. Denn unter diesem Wort werden ganz allgemein unklare Vorstellungen zusammengefasst, ganz egal wo sie hingehören. Oder warum sonst sollten so verschiedene Dinge wie die Vorstellung einer drohenden Gefahr (Angst), das ästhetische Schönheitsempfinden und das eigene Gewissen mit einem Wort bezeichnet werden? Noch absurder wird es, wenn man berücksichtigt, dass es sich auch auf den Tastsinn bezieht. Das passt einfach nicht zusammen. Wenn man dagegen die genannten Begriffe nach Ebenen aufteilt, wird das klarer: die Angst ist die objektive Vorstellung eines Phänomens, also eine Wahrnehmung. Schönheitsempfinden ist dagegen intuitiv und basiert auf Phantasie, es entspricht der Erhabenheit der Natur. Das eigene Gewissen schließlich ist eine subjektive Vorstellung der Moral, mit Willen versehen, also mit Neugier.

Mit diesen Begriffen kann man alle genannten Sachen sehr viel logischer und klarer beschreiben als durch schwammige Begriffe wie Gefühl. Ich schlage daher vor, den Begriff vom Gefühl vollkommen fallen zu lassen, da er sowohl im eigenen Denken als auch in der Beschreibung vom menschlichen Verhalten keinerlei Vorteile bringt. Es ist einer der wirklich gefährlichen Ausdrücke, da sich hiermit alle Ansprüche auf klare Begriffe verneinen lassen. Er hat keinen Platz im meinem Weltbild. So sind Gedanke und Gefühl schlicht dasselbe, jeder Begriff vom Gefühl ist völlig leer.

Idealismus, Resignation und Dekonstruktion

Ich komme nun zu einem Punkt, der mir während der Beschäftigung mit der Philosophiegeschichte aufgefallen ist. Es geht hier um die Entwicklung von Denksystemen aus inneren Zwängen. Ich sehe vor allem ein Muster, was sich ständig wiederholt: Zunächst gibt es eine idealistische Theorie, die eine Vorstellung zur Größe erhebt. Woher die kommt, ist zunächst unerheblich, nur, dass die ganze Theorie auf ihrer Richtigkeit basiert. Danach erkennt man, dass das so hoch gesetzte Ideal den eigenen Ansprüchen gar nicht genügt, man resigniert. Schließlich entwickelt sich aus der Resignation ein Wille, auch andere Fehler aufzudecken, es kommt zur dekonstruktiven Theorie. Dieses Dreierschema Idealismus - Resignation - Dekonstruktion zieht sich durch die Philosophiegeschichte. Ich will hier nur einige Beispiele anbringen, um zu zeigen, wie weit das geht:

Auch wenn es natürlich davon abhängt, ob man es finden will (Muster sind schließlich nur in unserer Anschauung als Form), ist es schon auffällig, wie oft sich die Positionen wiederholen. Es ist nun die Frage, was das heißt. Ist das notwendig? Ist das gut?

Zur ersten Frage ist zu sagen, dass es offenbar nicht notwendig ist, sobald wir das Schema erkannt haben. Das Schicksal herrscht nur solange, wie wir es herrschen lassen. Und es ist auch gar nicht klar, dass das so sein muss. Es muss nämlich nur so lange so sein, wie wir uns dafür entscheiden, und das kann man nicht vorhersagen. Ich finde aber, dass diese Entwicklung äußerst schädlich ist, denn so wiederholen sich die Irrtümer. Doch woher kommt dieser Kreislauf? Was ist seine Ursache?

Der Fehler liegt, so ich es sehe, im Übergang vom Idealismus zur Resignation. Die anderen Übergänge sind nämlich völlig unproblematisch. Denn eine dekonstruktive Position erlaubt einem viel mehr, die Welt zu verstehen als eine resignative, bei der man immer stehen bleibt. Auch ist die Idealisierung der Dekonstruktion im Prinzip nicht falsch, die Dekonstruktion bezieht sich ja auf die Resignation, nicht auf die Ideale. Den Übergang von Idealismus von Resignation will ich fortan Dogmatisierung nennen, denn das ist es, was passiert. Eine zunächst als Ideal gehaltene Vorstellung wird zum Dogma, an dem man nur verzweifeln kann.

Doch wie kann so etwas passieren? Das ist immer noch nicht klar. Der Übergang kann ja nur passieren, wenn der Inhalt des Idealismus ernster genommen wird als seine Form, als seine Sprache. Denn die idealistische Sprache ist frei von eigenen Dogmen, sie ist ja eher dazu da, neue Ideale darzulegen, die gelten, weil sie gut sind, nicht, weil sie Dogma sind. Dieser Übergang kann nur in der falschen Auffassung von absoluter Wahrheit passieren, und diese wiederum nur bei einem Fehlen von Kindlichkeit, vom Bewusstsein seiner eigenen Nichtigkeit.

Deshalb ist die Kindlichkeit der Ausbrauch aus diesem Kreislauf. Sie ist es, die das Denken klar machen kann, indem sie uns zeigt, dass wir unwissend sind. Unsere Art zu denken ist groß, unsere Gedanken selbst sind winzig. Nur so können wir uns wirklich verstehen. Denn den Inhalt der Welt können wir überprüfen, und sehen deshalb unsere eigene Kleinheit. Unsere Form aber ist unvergleichlich, denn wir haben keinen Vergleich. Das macht sie aus.

Die Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit

Dieser Erkenntnis, der Erkenntnis unserer eigenen Kleinheit, will ich mich nun widmen, denn sie ist der wichtigste Punkt meiner ganzen Argumentation. Ich will nun im Folgenden darlegen, warum wir Niemande sind und was das bedeutet.

Das grundsätzliche Argument ist recht einfach, aber trickreich. Es basiert darauf, dass die Welt in uns ist und nicht wir in der Welt.

Prämisse 1: Die Welt ist in uns und nicht andersherum
Prämisse 2: Was in uns ist, ist Welt

  1. Angenommen, wir könnten uns selbst vorstellen
  2. Dann wären wir in uns.
  3. Also wären wir nach 2. in einer Welt.
  4. Aber nach 1. sind wir nicht in der Welt.
Konklusion: Widerspruch! Also können wir uns selbst nicht vorstellen.

Zu den Prämissen ist folgendes zu sagen: 1. gilt immer, solange man an meinem Ideal der Erkenntnis ohne Wissen um die Existenz der Welt festhält. Die 2. Prämisse ist tatsächlich ein weiteres Axiom meines Weltbildes, genauso wie die Aussage, dass Sprache die Form des Denkens ist. Ich kann sie nicht begründen, brauche sie hier aber.

Aber das spielt letztlich auch keine entscheidende Rolle. Denn wir könnten den Begriff Welt hier durch beliebige andere austauschen. Denn es gibt einen allgemeineren Beweis. Er lautet so:

Prämisse: Wir haben die Fähigkeit, uns Dinge vorzustellen.

  1. Angenommen, wir könnten uns uns selbst vorstellen.
  2. Dann könnten wir uns also die Fähigkeit zum Vorstellen vorstellen
  3. Aber dann würden wir die Fähigkeit selbst dazu benötigen
  4. Damit aber wird die Fähigkeit auf etwas angewandt, was sie selbst gar nicht kann
  5. Denn dann müsste sie sich enthalten
  6. Aber Gedanken können sich nicht enthalten, sonst wären sie widersprüchlich
Konklusion: Also können wir uns uns selbst nicht vorstellen.

Was hierin noch enthalten ist, ist das Verbot einer sich selbst enthaltenden Vorstellung. Dieses Verbot scheint mir aber wegen den zahlreichen mengentheoretischen Widersprüchen dadurch doch sehr gerechtfertigt. Es ist immerhin auch Teil von ZFC, NBG und MK, den wichtigsten Axiomensystemen, als Fundierungsaxiom.

Die Unerkennbarkeit von uns selbst ist in einem Spezialfall, der sich nur auf die Mathematik beschränkt, in der Mengenlehre wohlbekannt. Der Spezialfall besagt, dass das Mengenuniversum keine Menge ist. Er wird etwa dadurch bewiesen, dass sonst das Mengenuniversum sich selbst enthalten müsste, was widersprüchlich ist.

Dieser Spezialfall kann sogar als Beweis vom allgemeinen Satz genommen werden, wenn man unterstellt, alles Denken basiert auf Mengen. Denn dann kann man noch nicht einmal diesen Teil des Denkens ganz überschauen, wie sollte man den Rest erst überschauen? Dieser Beweis sieht gut aus, beweist aber genau das nicht. Denn das Mengenuniversum ist nicht die Fähigkeit, Mengenlehre zu betreiben, sondern ihr Ergebnis.

Hier können wir viel eher darauf schließen, dass wir das Ergebnis von allem Denken nicht erkennen können, was auch eine wichtige Aussage ist. Denn somit können wir nicht vom Denken als einer Gesamtheit reden, die verschiedenen Kategorien sind vielmehr Eigenschaften bloß von dem Teil, den wir bisher denken konnten. Darin zeigt sich unsere Nichtigkeit noch in anderer Form: dass wir nicht nur nicht uns, sondern auch nicht unsere Gedankenwelt (und damit auch nicht die Welt als solche) verstehen können.

Hier wird offenbar, dass wir uns selbst nicht als eine Sache begreifen können. Auf diesem Missverständnis beruht der übliche Begriff von Identität. Aber, wie bereits gesagt, ist Identität in der Welt unmöglich. Nur die Welt als Ganzes würde dem gerecht. Nun können wir die Welt als Ganzes nicht begreifen, ebenso wenig wie uns selbst. Sie sind beide nichtig. Eben darum sind wir niemand.

Aber trotzdem haben wir eine Art Identität. Denn unsere Kindlichkeit ist der notwendige Bestandteil unseres Denkens, damit ist sie die transzendentale Identität, denn aus ihr entfaltet sich die Welt. Dieser Unterschied ist entscheidend. Es ist nicht unsere Identität, es ist die Identität unseres Denkens. Denn unsere Identität ist eigentlich das Nichts, denn wir können uns ja nicht erkennen.

Niemand und Welt - Schatten der Welt - die Welt als Schatten

Ein ganz wesentlicher Grund für diese Verwechslung ist die Verwechslung unseres Körpers mit uns. Zwar spüren wir unseren Körper, aber wir können ihn nur von außen wirklich betrachten. Er ist uns solange nicht Objekt, wie wir ihn von innen sehen. Deshalb ist er für uns ein Teil der Welt. Aber eben deshalb ist er nicht dasselbe wie wir. Er ist vielmehr unser Spiegelbild in der Welt. Diesen Unterschied sich klarzumachen bedeutet, zu verstehen, dass unsere Weltgebundenheit allein im Denken liegt. Deswegen sind wir die Welt. Deswegen sind wir das Nichts.

Doch unser Denken ist mit der Welt verbunden, und so auch unsere Identität mit der unseres Denkens. Diese Verbindung geht in beide Richtungen, das macht sie besonders. Auf der einen Seite sind wir der Schatten der Welt, denn außerhalb der Welt gibt es für uns nichts. Wir sind bloß das, was von der Welt übrig bleibt, wenn man alles außer ihrer Ursache von ihr löst. Wir sind durch die Welt geformt. Die Welt wirft ihren Schatten auf uns. Diesen Schatten sehen wir in der objektiven Methode, der Suche nach dem Inhalt unserer Gedanken.

Aber auch die Welt ist unser Schatten. Denn sie ist nur, so wir sie erkennen. Wir sind die Grundlage der Welt, und die Welt unser Abbild. Damit sind wir der Schatten der Welt, und die Welt ist unser Schatten. Doch woher kommt der Schatten? Woher kommt das Licht, wenn es die Schatten auseinander entstehen lässt? Die Antwort ist kurz. Es gibt kein Licht. Denn wir beide sind Nichts. Diese Dunkelheit, die alles Denken um das Absolute erfüllt, zeigt die Grenzen unseres Denkens. Wir sind unsere eigene Grenze. Wir können nicht über uns hinaus.
Denn wir sind für uns alles und eben darum nichts.

Meine schlafende Kindlichkeit

Diese Art der Kindlichkeit hat in mir geschlafen. Lange Zeit.
Nun ist sie erwacht. Doch konnte sie je schlafen?
Ich dachte vorher auch, mein Denken wär falsch.
Doch das ist es nicht, das kann es nicht sein!
Was falsch war, war nicht mein Denken, es war seine Einordnung.
Ich dachte, alles Denken müsste eins werden.
Schon immer eins gewesen sein.
Doch irgendwann musste es aus mir heraus.
Da erst habe ich es erkannt.
Die Stärke meiner Phantasie.
Die Stärke meiner schlafenden Kindlichkeit.
Ich spüre nun stärker als zuvor die Größe meiner Gedanken.
Nicht in ihrer Vereinzelung, gerade in ihrem Zusammenhang.
Bleiben sie groß wie sie sind, so bleibe auch ich stark.
In der Welt geboren, Schatten der Welt
jener Schatten, dem die Welt auch nur Schatten ist.
Ich werde dieser Niemand bleiben.
Mein Denken wird es überdauern!

ich täuschte mich vor langer Zeit
dass die Wahl wär nur dazwischen
ob ich der Jugend oder dem Ernst
mein Leben geben sollte
doch nun weiß ich: es ist nicht so
das Denken geht darüber weg
ich bin nicht ernsthaft oder albern:
wenn ich eins, so bin ich beides
und so seh ich nun in mir
die Albernkeit, die immer war
ich hab die Jugend abgelehnt
aber kindlich bin ich stets geblieben
ich hab mein Denken tief verborgen
vor mir und so vor aller Welt
und nun seh ich, dass grad dadurch
ichs wiederhaben kann
ich hab mein Wesen doch gefunden
und werd es niemals geben fort.
von nun bis alle Ewigkeit
ich werds nicht mehr verbergen!

Schrei der Kindlichkeit – Schrei der Verzweiflung
dass ich Kind bleiben möge